Nach Putschversuch: Säuberungswelle in der Türkei

Nach dem missglückten Putschversuch in der Türkei betreibt Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan eine massive Säuberungsaktion in Militär, Justiz, Verwaltung, religiösen Behörden und Medien. Nachdem Reporter ohne Grenzen (ROG) zuvor bereits die Schließung von mehr als einem Dutzend Nachrichtenwebseiten durch die Aufsichtsbehörde für Telekommunikation kritisiert hatte, wurde nun bekannt, dass die Telekommunikationsbehörde RTÜK darüber hinaus 24 Radio- und Fernsehsendern die Sendelizenz entzogen hat.

ROG hatte die türkischen Behörden bereits am 18. Juli aufgefordert, den Putschversuch nicht als Vorwand zur Schließung kritischer Medien zu missbrauchen. Demnach habe die Aufsichtsbehörde für Telekommunikation (TIB) auf Bitten des Büros des Ministerpräsidenten in den 48 Stunden zuvor mehr als ein Dutzend Nachrichtenwebseiten, darunter ABCGazete, Gazeteport, Can Erzincan oder Özgür Düsünce, gesperrt. Die Schließungen seien ohne die erforderlichen Genehmigungen durch einen Richter erfolgt. Die Organisation befürchtet auch weitere Verhaftungen von Journalist_innen. Am Montag sei bereits ein Haftbefehl gegen die Online-Journalistin Arzu Yildiz erlassen worden.

Wie bild.de nach Informationen von dpa/AFX mitteilt, hat die Telekommunikationsbehörde RTÜK unterdessen nach einer Sondersitzung am heutigen Dienstag 24 Fernseh- und Radiosendern die Sendelizenz entzogen. Zeit Online berichtet zudem nach Informationen der Nachrichtenagenturen Anadolu und DHA sowie des türkischen Fernsehsenders CNN Türk, dass beim türkischen Geheimdienst 100 Angestellte, im Amt des Ministerpräsidenten mehr als 250 Personen und in der Religionsbehörde Diaynet knapp 500 Mitarbeiter suspendiert worden seien. Damit sei die Zahl der Suspendierungen im öffentlichen Dienst nun auf insgesamt 29.000 gestiegen. Zuvor seien bereits mehr als 15.000 Mitarbeiter durch das Bildungsministerium suspendiert und fast 20.000 Angehörige von Polizei, Verwaltung, Justiz und Armee festgenommen oder abgesetzt worden.

Offiziell begründen Erdogan und seine Ministerien die Säuberungswelle mit der Gefahr, die von der Bewegung des in den USA lebenden türkischen Predigers Fethullah Gülen ausgehe. Erdogan hatte die Gülen-Bewegung als Urheberin des Putschversuches ausgemacht. Die bisher in der Türkei suspendierten, entlassenen oder festgenommenen Personen werden verdächtigt, Anhänger des Erdogan-Rivalen Gülen zu sein. Beobachter vermuten jedoch, dass dies nur als Vorwand für eine weitreichende Säuberung der öffentlichen Institutionen und der Medien von Oppositionellen und Regierungskritikern diene.

Gestern hatte Harald Gesterkamp in seinem Kommentar auf M Online seine Befürchtungen über eine anstehende Säuberungswelle auch in den Medien geäußert. Die wenigen noch kritischen Zeitungen und Fernsehsender hätten in den kommenden Wochen und Monaten das Schlimmste zu befürchten, so Gesterkamp. Die aktuellen Meldungen aus der Türkei sprechen dafür, dass sich diese Sorgen offenbar schneller bewahrheiten als man mutmaßen konnte.

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Nicaraguas bedrohte Medien

Die Diktatur des nicaraguanischen Präsidentenpaars Daniel Ortega und Rocio Murillo hat in den letzten Jahren immer mehr Journalist*innen ins Exil getrieben. Unter erschwerten Bedingungen berichten Menschen wie Lucía Pineda vom Nachrichtenkanal "100% Noticias" oder Wendy Quintero nun aus dem Ausland. Für diese Arbeit nehmen sie stellvertretend für viele andere am 26. November 2024 den Menschenrechtspreis der Friedrich-Ebert-Stiftung entgegen.
mehr »

Österreich: Gefahr für die Pressefreiheit

In Österreich ist die extrem rechte FPÖ bei den Nationalratswahlen stärkste Kraft geworden. Noch ist keine zukünftige Koalition etabliert. Luis Paulitsch erklärt im Interview, welche Entwicklungen in der österreichischen Medienlandschaft zu erwarten sind, sollten die FPÖ und ihr Spitzenkandidat Herbert Kickl an der Regierung beteiligt werden. Paulitsch ist Jurist, Zeithistoriker und Medienethiker. Von 2019 bis 2024 war er Referent des Österreichischen Presserats, dem Selbstkontrollorgan der österreichischen Printmedien;  seit 2024 bei der Datum Stiftung für Journalismus und Demokratie.
mehr »

KI beinflusst Vielfalt in den Medien

Künstliche Intelligenz kann journalistische Texte in verschiedene Sprachen übersetzen und damit viel mehr Nutzer*innen ansprechen. Gleichzeitig kann sie aber auch Stereotype, die in diesen Texten enthalten sind, verfestigen. Gefahren und Chancen von KI-Anwendungen im Journalismus standen im Fokus der diesjährigen NxMedienkonferenz der Neuen deutschen Medienmacher*innen (NdM), die sich für mehr Vielfalt in den Medien einsetzen.
mehr »

ARD & ZDF legen Verfassungsbeschwerde ein

Nachdem die Ministerpräsident*innen auf ihrer Jahreskonferenz Ende Oktober keinen Beschluss zur Anpassung des Rundfunkbeitrags ab 2025 fassten, haben heute ARD und ZDF Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe eingelegt. Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di begrüßt die Initiative.
mehr »