Mit Qualität gegen Lügen und Hass im Netz
Polarisierung in der Kommunikation, darunter lassen sich die Themen des neunten Herbstforums der Initiative Qualität im Journalismus zusammenfassen: Ob Fake News, Desinformation, Verschwörungstheorien oder Hasskommentare, die Auseinandersetzungen im Internet werden härter. IQ suchte gestern nach Antworten.
„Überzeugen durch Qualität“ empfahl der Programmdirektor des Deutschlandradios, Andreas-Peter Weber, der die rund 80 Teilnehmer_innen zur Suche nach Strategien für Redaktionen im ehemaligen Rias-Gebäude in Berlin begrüßte. Die Forderung nach Qualität gelte für Printpresse und Rundfunk gleichermaßen, unterstrich er und kritisierte – nicht als einziger an diesem Tag – die in seinen Augen überflüssigen und ablenkenden Auseinandersetzungen zwischen den beiden Medienarten, wie sie der Spiegel-Titel „Die unheimliche Macht“ über ARD und ZDF jüngst wieder befeuert hatte.
Ein „Zerreiben der Mitte“ ist für den Mainzer Journalismusprofessor Tanjev Schultz das Ergebnis der jüngsten Mainzer Studie über das Medienvertrauen in Deutschland. Zwar sei das Vertrauen in die Medien seit einer Vergleichsstudie von 2008 von 29 Prozent auf 41 Prozent gestiegen, doch auch das Misstrauen ist von neun auf 22 Prozent gewachsen. Die misstrauischen Mediennutzer_innen würden zunehmend lauter und hätten mit den sogenannten sozialen Medien und dem Internet zudem einfache Mittel zur Hand, ihre Sicht der Dinge zu verbreiten. „Rüpel und Querulanten haben schon in Kindergarten und Schule die meiste Aufmerksamkeit bekommen“, betonte der frühere SZ-Bildungsredakteur. Medien sollten den „Zynikern“ und Anhänger_innen von Verschwörungstheorien „nicht hinterherlaufen“, sondern die „Skeptiker“ in der Mitte zurückgewinnen. Und zwar durch Qualität: „Die Skeptiker finden die Berichterstattung zu schlicht, die Zyniker finden sie nicht schlicht genug.“
Fakten statt Fake ist das Ziel der in jüngster Zeit immer häufiger in den Medien zu findenden Ressorts zur Überprüfung der Gerüchteküche im Internet. Die Mitarbeiter_innen des ARD-Faktenfinders, ursprünglich eingerichtet für die Zeit des Wahlkampfs, beobachten nicht nur Nachrichten, sondern auch Social-Media-Accounts von Verschwörungstheoretiker_innen und manchen Politiker_innen. Die Darstellungen dort seien meist nicht gänzlich falsch, aber aus dem Zusammenhang gerissen und verdreht, erklärte Rike Woelk: „Im Netz ist es in der Regel nicht schwarz oder weiß, sondern grau.“ Ab Klickzahlen über 1000 reagiert die Faktenfinder-Redaktion, antwortet auf den sozialen Netzwerken und gibt die Information dazu an die eigenen Nachrichtenredaktionen weiter.
Auch das Fact-Checking-Ressort des Journalistenkollektivs „Correctiv“ verfolgt die Debatten im Internet, wartet aber nicht erst hohe Klickzahlen ab, sondern nutzt ein Tool, um die virale Ausbreitung von Desinformation abzuschätzen und gleich zu reagieren. Virale Verbreitungsraten, so Jutta Kramm, konnten dadurch um bis zu 80 Prozent gesenkt werden. Allerdings seien die Verbreiter_innen im Netz immer schneller als die teils aufwändigen Recherchen für die Gegenargumentation. Woelk und Kramm betonten dabei die medienpädagogische Absicht der Faktenchecker gegen „das Gift der kleinen Lügen“ (Kramm).
ZDF-Autor Mario Sixtus („Im Netz der Lügen“) bezweifelte eine große Reichweite der Faktenchecker, denn die Menschen suchten gezielt nach Bestätigung ihrer Vorstellungen. So funktioniere das „Narrativ“ der Brexit-Befürworter_innen nach wie vor, obwohl die Lügen und Verdrehungen, von denen die Kampagne begleitet wurde, längst widerlegt seien. Eigentlich sei Faktencheck das Kerngeschäft jeder Redaktion, warf auch der Journalismusprofessor Stephan Russ-Mohl ein, der mit dem Europäischen Journalismus-Observatorium EJO in Lugano die europäische Medienlandschaft untersucht. Medien müssten seiner Ansicht nach klarer zeigen, wie sich das Verhältnis zwischen Journalismus und PR verschoben habe. Das hätten die Medien in ihrer Berichterstattung „dramatisch vernachlässigt“. Medienjournalist Stephan Niggemeier, uebermedien.de, forderte dagegen auf, sich von der Vorstellung zu verabschieden, nur „die anderen“ lebten in einer „Filterblase“, das sei eine Illusion.
Die Forderung nach einem Schulfach „Medienbildung“ stieß zwar auf allgemeine Zustimmung, aber der Hinweis von Russ-Mohl auf eine Dresdener Studie, die auch die mangelnde Medienkompetenz der Lehramtsanwärter zeigt, war die passende Untermalung zur ratlosen Frage von Sixtus: „Wer soll das unterrichten?“.
Wie sollen Redaktionen mit Hasskommentaren umgehen, war die Frage des Nachmittags. Vorschläge und Beobachtungen dazu formulierte Ellen Wesemüller von den Neuen Deutschen Medienmachern. Sie leitet seit September das Projekt „No Hate Speech“ in Deutschland, Teil einer Kampagne des Europarats. Hate Speech richte sich überwiegend gegen Menschen aus „in der Gesellschaft benachteiligten Gruppen“. Ob Journalist_innen in diesem Sinn benachteiligt sind oder eben besonders exponierte Ziele darstellen, sei dahingestellt. Aber 42 Prozent gaben bei einer Befragung der Berufsgruppe im Jahr 2016 an, schon selbst bedroht worden zu sein. Wichtig für die Redaktionen seien laut der Studie des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld im Umgang mit Hasskommentaren auf jeden Fall eine schnelle Antwort, auch als Beistand für die Betroffenen, als Gegenpol und Anhaltspunkt für die schweigende Mehrheit. Doch nur 17 Prozent der Redaktionen hätten eine zusätzliche Stelle für die Betreuung der Kommentare eingerichtet. Das Projekt plant deshalb einen Leitfaden für Redaktionen.
Was den Umgang mit Kommentaren betrifft, sind derzeit verschiedene Strategien zu beobachten: Konsequente Moderation der Kommentare, dafür nannte Wesemüller die „Welt“ als beispielhaft. Andere Redaktionen blockierten die Kommentarfunktion inzwischen ganz, wie in den USA zu beobachten, oder ließen nur bestimmte Themen für die Kommentare zu. Dazu stellte Dr. Wiebke Loosen vom Hans-Bredow-Institut in Hamburg ein interessantes Projekt vor: Zusammen mit Informatiker_innen wird dort ein Tool erarbeitet, das die konstruktiven Kommentare erkennt und herauspicken kann. Bei den Nordstadtbloggern in Dortmund werden die Kommentare zwar moderiert, zusätzlich der Redaktion bekannte Leser motiviert, auf Hasskommentare zu reagieren. Es wird aber eben auch gelöscht. Diese Inhalte gehen dann per Screenshot zur Staatsanwaltschaft, erklärte Alexander Völkel.
Heinrich Maria Löbbers von der Sächsischen Zeitung in Dresden versucht hingegen, per Einladung mit Kommentator_innen ins Gespräch zu kommen. Zu den Pegida-Demonstrationen schickt die Redaktion inzwischen aber immer zwei Reporter, und zwar nicht die schmächtigsten. Ihn erstaune allerdings die Zahl der Hasspostings unter Klarnamen. Die Leute machten sich nicht klar, dass das Internet ein „öffentlicher Raum“ sei, erklärte in diesem Zusammenhang der Kölner Professor Andreas Vogel, #wortgewalt(ig). Er mahnte, die Kanäle zu den Leser_innen unbedingt offen zu halten. In einer „Rabaukenkneipe“ wie Facebook könne man aber keine philosophischen Debatten erwarten. Das Thema Moderation von Kommentaren gehöre heute auf jeden Fall in die Journalistenausbildung.
„Und die Prophylaxe?“ fragte Moderator Werner Lauff, der die lebhaften Diskussionen des Forums leitete. Mit den Leser_innen reden, Arbeitsweisen erklären, sagte Löbbers. Das Thema breiter anlegen, meinte Vogel und verwies auf die ausführliche Behandlung des Themas „Mobbing“ in Schulen, die viele junge Leute auch in ihren Postings habe achtsamer werden lassen. Die Kommunikation in der Zivilgesellschaft jenseits der Medienkommunikation müsse besser erforscht werden. Außerdem: „Es wäre doch komisch, wenn in einer Zeit der Umbrüche gerade der Journalismus nicht betroffen wäre.“ In einer „Dauerprophylaxe“ sah Loosen die Gesellschaft, die gerade grundlegend ihre Kommunikation hinterfrage.
Die Qualität im journalistischen Alltag zu wahren, resümierte IQ-Sprecherin Ulrike Kaiser, sei die Herausforderung für die Medien. „Hat differenzierte Meinungsäußerung noch eine Chance zwischen all den Pöbeleien?“ Raufereien gebe es auch im kleinen gallischen Dorf von Asterix und Obelix, aber am Ende doch immer ein gemeinsames Fest. „Wir sind im globalen Dorf“ mahnte sie und bat deshalb um eine professionelle Solidargemeinschaft aller Journalist_innen gegen Fake News und Hate Speech.