Beitrag zu Frieden und Deeskalation

Peter Becker (IALANA) im Gespräch mit Kabarettist Max Uthoff und Journalistin Daniela Dahn (v.r.n.l.)
Foto: Lucas Wirl (IALANA)

Harsche Kritik an der Mainstream-Berichterstattung, das „Segeln unterm Radar“ im Kabarett und  Möglichkeiten der Gegenöffentlichkeit durch „alternative Medien“ und Publikumsinitiativen prägten eine Medientagung der Vereinigung für Friedensrecht IALANA am Wochenende in Kassel. Es ging um die Frage, ob man „ein Leitbild ‚Friedensjournalismus‘, der Wahrheit verpflichtete und deeskalierende Berichterstattung etablieren“ kann. Einige Antworten. 

Dass die Bundesregierung den UN-Atomwaffenverbotsvertrag nicht unterzeichnen will, sei kein Thema in der Berichterstattung gewesen, meinte IALANA-Vorsitzender Otto Jäckel und fragte nach den medialen Möglichkeiten, das Friedensgebot des Grundgesetzes und das Gewaltverbot der UN-Charta durchzusetzen. Seiner Kritik schloss sich Keynote-Sprecherin Daniela Dahn an, indem sie die Berichterstattung der „Großmedien“ als „weichgespült“ bezeichnete. Beispielsweise hätten sie den völkerrechtswidrigen Einmarsch türkischer Truppen in Syrien überwiegend als „Offensive“ verharmlost, während von einem „Angriffskrieg“ nie die Rede gewesen sei. Andreas Zumach, freier Korrespondent in Genf und ebenfalls Tagungsreferent, relativierte den Befund mit Hinweis auf seinen taz-Kommentar, in dem er „Erdoğans Krieg“ verurteilte.

Mit „Narrenfreiheit“ gegen Mainstream-Lücken

In Mainstream-Medien wie dem ZDF bietet Kabarett „Chancen, Zweifel vor großem Publikum zu multiplizieren“, so Max Uthoff, seit 2014 zusammen mit Claus von Wagner Protagonist in „Die Anstalt“. „Es gibt keinerlei Zensur, die Redaktion steht hinter uns“, sagte Uthoff. „Wir haben Narrenfreiheit und sagen, was wir sonst im Mainstream nicht finden“, erläuterte er das Erfolgsrezept der „Anstalt“, die allmonatlich ein gut recherchiertes Thema zuspitzt. Im September 2014 wurde z. B. die Ukraine-Kriegsberichterstattung satirisch aufgespießt, die auch viele andere Vortragende, etwa Gabriele Krone-Schmalz kritisch analysierten.

Zum dreiköpfigen „Anstalt“-Team gehört Ekkehard Sieker, der den Tagungsteilnehmenden verriet: „Unsere Sendung ist bezahltes Selbstlernen.“ Er spielte auf die umfangreiche Vorbereitung an, die Uthoff beschrieb: „Die beiden anderen lesen Bücher und ich bringe die Schokolade mit.“ Normalerweise umfasst der Faktencheck zur Absicherung der inhaltlichen Aussagen, der auch fürs Publikum online gestellt wird, etwa 30, beim Thema „Neoliberalismus“ sogar 100 Seiten Quellen. Die „Anstalt“ werde von vielen Jugendlichen gesehen – vor allem auf Youtube oder in der Schule, wo Lehrer_innen sie im Unterricht zeigten. Uthoff: “Das macht mir Hoffnung.“

Mit Multiperspektivität zu „konfliktsensitiver Berichterstattung“

Wie Journalismus zu Frieden und Deeskalation von Kriegen beitragen kann, skizzierte Günther Rager, emeritierter Journalistikprofessor an der TU Dortmund. „Konfliktsensitive Berichterstattung“ nähere sich Wirklichkeit aus verschiedenen Perspektiven und benenne Parteien, Ursachen und Lösungen. Doch in „journalistischen Inszenierungen“ bleibe die Perspektive, der Standpunkt der Informationsgebung „oft im Unklaren“, während der Zeitpunkt aber zumeist benannt werde.

Wie es um die Umsetzung konfliktsensitiver Berichterstattung bestellt ist, wurde in einer aktuellen Dortmunder Dissertation über die Kriegsberichterstattung überregionaler Tageszeitungen untersucht. Danach werden Kriegshandlungen oftmals durch nicht-konfliktsensitive Begriffe wie „Intervention“, „Vergeltungsschlag“ oder „ausgeschaltet“ statt „getötet“ verschleiert – in 70 Prozent der Fälle zugunsten der Kriegsparteien, die Verbündete westlicher Regierungen sind. Auch kommen diese verbündeten Kriegsparteien viermal so häufig zu Wort wie die anderen, referierte Rager. NGOs und Expertenmeinungen seien „Nadeln im Heuhaufen“. Das Publikum solle einfordern, „dass Berichterstattung nicht nur aus einer Perspektive inszeniert wird“. Auch Politikprofessor Ulrich Teusch stellte fest: „Multiperspektivischer und diskursiver Journalismus wäre der beste Beitrag zum äußeren und inneren Frieden“ – das heißt zu Völkerverständigung und Stärkung der Demokratie.

Öffentlich-rechtliches System auch für Print und Internet

Dass diese Art von Journalismus am besten in einem öffentlich-rechtlichen Rahmen umzusetzen ist, darüber schienen sich die Tagungsteilnehmenden weitgehend einig zu sein. So bezeichnete Medienforscherin Sabine Schiffer den öffentlich-rechtlichen Rundfunk als „eine Perle mit Defekten“. In der privatwirtschaftlich organisierten Presse schreite die Konzentration voran – zumeist nicht durch Fusionen, die das Kartellamt verhindern könnte, sondern durch Kooperationen von Zeitungsredaktionen, so Schiffer: „Interviews geben Sie jetzt der Funke-Medien-Gruppe.“ Dabei gehe es darum, die Gewinnmarge zu halten. Wachstum gebe es nur noch im Digitalen (vgl. auch M Print 4/2017).

Auch bei den Nachrichtenagenturen schlage die Gewinnmaximierung durch, wenn das Netz der Korrespondent_innen weiter ausgedünnt werde. Die ARD mit 30 und das ZDF mit 18 Auslandsstudios seien da noch gut aufgestellt und hätten ein „Pfund, mit dem sie wuchern könnten, wenn sie nicht zur Pensionskasse verkommen würden“. Das System sei aber leider „korrupt“ und mangelhaft kontrolliert. So verdiene ZDF-Moderator Claus Kleber deutlich mehr als der Intendant und für die vielen Freien bleibe nur wenig Geld. Dennoch sei das öffentlich-rechtliche System von seinem Ansatz her erhaltenswert und verbesserungswürdig. Es solle auf Print und Internet ausgeweitet werden – mit gewählten Publikumsräten.

Gegenöffentlichkeit durch Publikumsinitiativen

Eine solche Wahl von Kontrollgremien durch Beitragszahlende, analog zur Sozialwahl, forderte auch Maren Müller, die 2014 die “Ständige Publikumskonferenz der öffentlich-rechtlichen Medien e.V.“ gründete – eine bundesweite Initiative zur Umsetzung des Programmauftrags. „Die Rundfunkräte sind der Gesellschaft verpflichtet und nicht dem Intendanten“, betonte sie nach einer heftigen Kritik an unzureichender medienfachlicher Qualifikation, Zeitmangel („Habe keine Zeit, Fernsehen zu gucken“), Korrumpierbarkeit und Parteiennähe der Gremienmitglieder. So würden Programmbeschwerden vom Rundfunkratsvorsitzenden an den Intendanten weitergeleitet, der eine Stellungnahme der betroffenen Redaktion einholt und auf die Beschwerde antwortet, das heißt sie zumeist zurückweist.

Diese Erfahrung machten Friedhelm Klinkhammer, einst NDR-Gesamtpersonalratsvorsitzender, und Volker Bräutigam, ehemaliger Tagesschau-Redakteur. Sie hätten seit 2014, dem Beginn des Ukrainekrieges, 400 Beschwerden eingereicht und keiner einzigen sei stattgegeben worden, berichtete Bräutigam von ihren Erfahrungen, die in dem Buch „Die Macht um acht – Der Faktor Tagesschau“ veröffentlicht sind. „Sozialer Sprengstoff ist tabu“, die Tagesschau würde eher „sedieren statt zu informieren“. Als Beispiel nannte er Meldungen über die von der Bundesagentur für Arbeit gelieferten Erwerbslosenzahlen. Da die wechselnde statistische Erhebungsbasis nicht thematisiert werde, bleibe „das Elend in der Mitte der Gesellschaft“ verborgen. Bräutigam: „Warum gibt es nur einmal pro Monat Arbeitslosenzahlen, aber täglich Börsendaten?“

Nachrichtenunterdrückung werde jetzt nicht mehr als Beschwerde gewertet, sondern als „Anregung fürs Programm“, worüber die Redaktion dann selbst entscheide, so Klinkhammer. Eine Klage vor dem Verwaltungsgericht habe nur Aussicht auf Erfolg, wenn es um Beleidigung von Zuschauer_innen gehe und Rundfunkratsbeschlüsse seien rechtlich nicht überprüfbar. Da bot Peter Becker, Initiator der IALANA-Medientagung an, bei der Jurist_innenvereinigung einen Arbeitskreis „Programmbeschwerde“ einzurichten. In der abschließenden Diskussion wurde deutlich, dass solche Publikumsinitiativen genauso wie „alternative Medien“ positive Beispiele für Friedensarbeit oder andere Perspektiven der Zivilgesellschaft liefern können.

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