Auf dem Freienkongress in Leipzig stand die Wertschätzung von freien Mitarbeiter*innen bei ARD und ZDF im Fokus. Parameter dafür sind die Honorierung, rechtliche Sicherheiten im Job und die Mitbestimmung in den Arbeitnehmervertretungen des öffentlich- rechtlichen Rundfunks. Die fast 200 Teilnehmer*innen machten jede Menge Handlungsbedarf für Intendanzen, Politik und Beschäftigte aus.
Freie produzieren in Deutschland 90 Prozent des Programms im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Sie sind also von existenzieller Bedeutung für den Rundfunk – immer wieder gern betont von den Senderverantwortlichen. Die gelebte Wirklichkeit spiegelt das jedoch nicht wieder. Formell werden Freie als Sachmittel geführt. Sie haben nicht die gleichen Rechte wie fest Angestellte, bei der Beschäftigungssicherung, im Arbeits- und Gesundheitsschutz, in der Mitbestimmung… Sie müssen häufig um ihre berufliche Existenz bangen, vor allem wenn Sparmaßnahmen anstehen. Ein heißes Thema im Zuge der aktuellen Diskussion über die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und der dort angeschobenen Strukturreform.
Freie Mitarbeiter*innen tragen in jeder einzelnen Rundfunkanstalt „tagtäglich mit hoher Professionalität und viel Engagement, mit einem ganzen Stück Leidenschaft dazu bei, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk in der Gesellschaft akzeptiert wird“, betonte MDR-Intendantin Karola Wille dann auch zur Eröffnung des zweitägigen Kongresses.
Sie hob die Verantwortung des Rundfunks in Zeiten alarmierender Angriffe gegen die Pressefreiheit hervor. Er habe die Wirklichkeit differenziert, faktengetreu und nicht verzerrt widerzugeben, um den Menschen Orientierungshilfe zu bieten. Die Politik tue gut daran, über den Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks „groß und in die Zukunft gerichtet“ nachzudenken. Den Rundfunkbeitrag am derzeit diskutierten Indexmodell auszurichten, gebe Planungssicherheit. Jedoch stehe jetzt – nachdem es zehn Jahre keinerlei Beitragserhöhung gegeben habe, was real sinkenden Budgets entspreche – ein Teuerungsausgleich an, betonte Wille. Das sei auch wichtig für die soziale Sicherung der Freien.
Vernünftige Lösung durch Intendanz und Politik
Auch Michael Kretschmer, Ministerpräsident des Freistaates Sachsen, betonte in der zweistündigen Podiumsdiskussion am ersten Kongresstag, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk eine finanzielle Ausstattung braucht, um seinen Auftrag zu erfüllen und seine Leute, Feste wie Freie, zu ordentlichen Konditionen zu beschäftigen. Die zwei nebeneinander agierenden Züge – Intendanz und Politik – müssten dafür zu einer vernünftigen Lösung kommen. Kretschmer bot den Freienräten in ARD/ ZDF und dem MDR mit Blick auf die Ministerpräsidentenkonferenz im Juni zeitnah Gespräche an.
MDR-Verwaltungsdirektor Ralf Ludwig bekräftigte: „Wir brauchen die Beitragserhöhung ganz dringend, sonst können wir das Programmgerüst weder in Qualität noch in Quantität aufrechterhalten.“ Er widersprach Hektor Haarkötter von der Hochschule Bonn-Sieg, der darauf verwies, dass in den letzten Jahren sehr wohl massiv am Programm gespart worden sei, besonders zu Lasten der Freien. Ludwig hielt dagegen, dass die Kosteneinsparungen zu Lasten der Anstalten gingen. Die Intendanten hätten einen Auftrag zu erfüllen und seien dennoch an Einsparungen gegangen, beispielsweise durch Prozessoptimierung. Haarkötter erwiderte, dass ganze Formate wie etwa Live1 inzwischen „journalismusfrei“ seien oder dass, etwa im WDR3, keine produzierten Beiträge mehr liefen, sondern nur noch Gespräche z.B. mit Politikern oder Experten. Das untergrabe die Legitimation des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, der so seiner Kernaufgabe nicht nachkomme.
Höheres Maß an Verantwortung von der Politik gefordert
Es werde derzeit bereits gespart, „bis es quietscht“ und dabei stünden Freie zuerst im Fokus, so Cornelia Berger, Verantwortliche des Medienbereiches in ver.di. Beim Stellenabbau würden Freie in Lücken springen, nicht immer zu guten Bedingungen. Zudem hätten sie nicht die Sicherheiten von Festangestellten, obwohl sie häufig gleich verantwortliche Arbeiten ausführen. Berger erwartete von den Sendern mehr Ehrlichkeit, um dieses System der eigentlich „festen“ Beschäftigung klar zu benennen. Von der Politik wünsche sie sich ein höheres Maß an Verantwortung dafür und, dass sie den Rundfunk in der Öffentlichkeit offensiver verteidige. Die Ministerpräsidenten müssten an die Öffentlichkeit gehen und den Menschen sagen, dass „wir diesen Rundfunk brauchen, in seiner ganzen Schönheit und seiner Programmvielfalt!“
Der MDR habe eine „von allen gelebte und geschätzte, Unternehmenskultur“ als ein Unternehmensziel definiert. Das dafür 2016 ins Leben gerufene Projekt wurde auf einem Panel am ersten Kongresstag vorgestellt. Es lebe von der Mitarbeit der Beschäftigten. Sie könnten sich in fünf Projektgruppen einbringen, in denen es um Wertschätzung, Erfahrungen, Verantwortung, Verbundenheit und Mitgestaltung geht. Dabei sollen „die Ideen von unten nach oben fließen“, erklärte Projektleiter Gerrit Wahle. Das heiße, die Beschäftigten identifizieren Fragen, Probleme, Lösungen und tragen sie dann in die Geschäftsleitung. Dafür habe jede Gruppe eine Führungskraft als Paten bekommen. So wurden Mitarbeiter*innen befragt: „Wie und wodurch erlebe ich, dass ich im MDR wertgeschätzt werde“.
Corinna Waldbauer, freie MDR-Mitarbeiterin, berichtete von den ersten Ergebnissen. Danach fühlen sich mehr als 50 Prozent der Befragten nicht wertgeschätzt. Das liege vor allem an den Führungskräften, die über zu wenig Sozialkompetenz verfügen würden. Sie als Vorbild zu sehen, sei in erster Linie dann gegeben, wenn sie über eine hohe fachliche Kompetenz verfügen würden. Doch sei Akzeptanz im Job entscheidend sei für die Arbeits-Motivation. Das Arbeitsklima in den Teams wurde dennoch als „relativ gut“ bewertet, insgesamt im Sender dagegen eher nicht. Bei den Indikatoren Gleichbehandlung und Gerechtigkeit wurde erneut ein Missverhältnis zwischen Festen und Freien konstatiert. Eine weitere Feststellung: Ältere Arbeitsnehmer*innen fühlen sich häufig zurückgestellt. Als ein sehr kritischer Punkt wurde die extrem gestiegene Arbeitsbelastung benannt. Auch wenn der Rücklauf mit 13, 9 Prozent nicht allzu hoch gewesen sei, bewertete der Projektleiter die Umfrage dennoch als nützlich, um auf dem Feld der Unternehmenskultur weiter zu kommen. Oft seien es kleine Schritte, die voranbringen, so Wahle. So seien MDR-Expeditionen nach Berlin organisiert worden. Es gebe einen „Tag der offenen Bürotür“, auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf werde zunehmend thematisiert. Eine „Stunde des Scheiterns“ diene der Fehlerdiskussion.
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Age Management: Gesund bis zur Rente kommen
Ein anderes der insgesamt acht Panels des Kongresses beschäftigte sich dem „Age Management“. Dabei geht es um eine gute Arbeitsfähigkeit und die Gesunderhaltung. Es wird nach Lösungen gesucht, damit Beschäftigte gesund bis zur Rente kommen können. Angesichts der auf dem Kongress wiederholt thematisierten Arbeitsverdichtung und des damit verbundenen zunehmenden Stresses sei das eine ernstzunehmende Frage, war man sich schnell einig. Jeder Mensch habe ein Reservoir an Kraft für seine Arbeit, dass endlich sei, sagte Martha Richards von ver.di zur Einführung. Es müsse durch Entlastung wieder aufgefüllt werden. Die Teilnehmer*innen benannten dafür Faktoren wie Freizeit, Familie, Bezahlung und – Wertschätzung. Ermöglichen müsse diese Entlastungskomponenten weitgehend der Arbeitgeber, dafür zu sorgen, liege in seiner Verantwortung. Gleiches gelte für Gesundheits- und Qualifizierungsmaßnahmen im Betrieb, damit beispielsweise neue Technik nicht zu Überforderungen führt. Kolleginnen von Radio Bremen berichteten, dass bei ihnen neben Festen auch Freie mit gesundheitlichen Einschränkungen nicht mehr in der Nachrichten-Frühschicht eingesetzt würden und dafür Ersatz angeboten werde. Auf Derartiges zu achten sei der Personalrat zuständig, der bei Radio Bremen auch mit Freien besetzt ist.
Das ist nicht in allen Sendern so. Aber beispielsweise wurde im MDR erfolgreich verhandelt, dass auch Freie 15 Tage im Jahr für die Pflege von Angehörigen freigestellt werden können, berichtete Ralf Leifer, DJV-Vertreter aus Thüringen. Und im Saarländischen Rundfunk wird ein Erfahrungszuschlag für Ältere „automatisch gezahlt – aus dem Etat des Intendanten, nicht aus dem der Redaktion“. Im RBB wurde ein Bestandsschutztarifvertrag für nicht programmgestaltende Freie abgeschlossen. Ein Fazit auch dieser Debatte: Der Austausch von Erfahrungen zwischen den Sender-Freien sei enorm wichtig. Für die bessere Vernetzung bot Martha Richards an, alle bereits vorhandenen „Best (und worst) Practices“ zentral bei sich zu sammeln.
„Das dicke Brett“ für die SWR-Freienvertretung
Ein gutes Beispiel ist auch der seit Jahresbeginn geltende Bestandschutztarifvertrag für Freie im SWR mit einer 100 Prozent Einkommensgarantie, Honorarstufensteigerungen wie bei den Gehältern der Angestellten und anderem mehr. Acht Jahre Verhandlung lagen auf dem steinigen Weg bis zu diesem bisher im öffentlich-rechtlichen Rundfunk einzigartigen Ergebnis. Nun stehe die Umsetzung an, „eine weitere große Herausforderung an alle Beteiligten“, so Stefan Tiyavorabun von der ver.di-Verhandlungskommission. Folgerichtig ging der Preis „Das dicke Brett“ des ARD-Freienrates in diesem Jahr an die SWR-Freien.
Mit dieser seit 2018 vergebenen Auszeichnung wird herausragendes Engagement für freie Mitarbeiter*innen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk gewürdigt. „Der SWR hat neue Maßstäbe gesetzt für die Integration von Freien“, so die Begründung der Jury. „Damit beweisen die Freien des SWR, egal wie dick das Brett ist, wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.“ Insgesamt waren sechs Vorschläge zur Preisverleihung eingereicht worden. Im vergangenen Jahr ging die undotierte Würdigung an die Freien des RBB.
Dauerbrenner: Freie in die Personalvertretungen
Auf eine „anständige Vertretung“ der Freien in den Personalvertretungen richtete sich der Fokus der Podiumsdiskussion am zweiten Kongresstag. Rund 18 000 freie Mitarbeiter*innen sind in den Sendern von ARD, ZDF und Deutschlandradio arbeitnehmerähnlich beschäftigt. Das heißt, sie sind in Senderstrukturen eingebunden und sowohl wirtschaftlich anhängig als auch sozial schutzbedürftig. Ihre Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte sind jedoch nach wie vor in den Rundfunkanstalten sehr unterschiedlich ausgeprägt und geregelt. Im RBB, berichtet Dagmar Bednarek, Mitglied der Freienvertretung, seien keine Freien im Personalrat. Die Freienvertretung wurde per Statut gebildet. Sie dürfe beraten, Ideen einbringen, habe jedoch juristisch gesehen keine Rechte. Das sei enttäuschend, denn: „Eine Freienvertretung muss auf Augenhöhe mit der Geschäftsleitung diskutieren können.“
Dafür würde Verbindlichkeit benötigt, betonte die Freienvertreterin und fand Zustimmung bei Dirk Gläßer, Vorsitzender des Gesamtpersonalrates im MDR. Dessen Freienvertretung werde durchaus angehört und ernst genommen, aber auch hier fehle die rechtliche Legitimation. Anders bei WDR, wo die Freien aktives und passives Wahlrecht und somit auch Sitze im Personalrat haben, bei voller Mitbestimmung, berichtete DJV-Vorsitzender Frank Überall. Er betonte: „Augenhöhe zu verordnen ist schön, Augenhöhe gesetzlich verbrieft zu haben, ist noch schöner.“ Auch beim Hessischen Rundfunk vertrete der Personalrat inzwischen alle Beschäftigten und bestimme sowohl bei Beginn und als auch bei der Beendigung einer Beschäftigung mit, ergänzte Knud Zilian vom HR. Möglich wurde das durch eine Änderung des Personalvertretungsgesetzes nach dennoch notwendiger, mehrjähriger Klärung vor Gericht.
Politik zu Gesetzesänderungen aufgefordert
Vielerorts fehlt jedoch die Unterstützung durch die Politik, ihr Wille, die Personalvertretungsgesetze zu ändern, so wie es bereits in Bremen und in Hessen geschehen ist. Auch im Bundespersonalvertretungsgesetz, das unter anderem für den MDR als Mehrländeranstalt und für die Deutsche Welle gilt, fehlen Regelungen zur Mitbestimmung von Freien im Rundfunk. Für eine Änderung will sich Martin Rabanus, medienpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, einsetzen.
Er halte es für „absolut zwingend notwendig, dass die Freien auch eine vernünftige personalrechtliche Vertretung haben“. Rabanus berichtete, dass im Innenministerium gerade eine Novelle des Gesetzes vorbereitet werde. Und er versprach, sich mit dem ARD/ZDF-Freienrat deshalb zeitnah zusammenzusetzen.
Aber auch die Unterstützung durch die Sender und ihre Einflussnahme auf die Politik wurde von den Kongressteilnehmer*innen eingefordert. Vom juristischen Direktor des MDR Jens-Ole Schröder gab es dafür eine klare Abfuhr: „Ich halte nichts davon, dass Freie in den Personalräten sind.“ Deshalb werde er auch „keine aktive Lobbyarbeit“ dafür machen. Wenn der Gesetzgeber etwas vorgebe, werde man natürlich damit umgehen, sagte Schröder. Das beschreibt dann wohl die dicken Bretter, die auch künftig von den Freien – sicher nicht nur im MDR – zu bohren sind! Es bleibt jede Menge zu tun, mindestens bis zum nächsten ARD/ZDF-Freienkongress, dem dann bereits fünften. Tagungsort und Gastgeber stehen noch nicht fest. Bisher traf man sich – außer in Leipzig – bereits in Berlin, Stuttgart und Bremen.
Für weitere Informationen:
https://www.ard-freie.de
https://www.facebook.com/MDRFreienrat
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