„Wir sind so frei“, sagten sich die freien Medienschaffenden der ARD und gründeten auf ihrem Kongress beim SWR in Stuttgart am 21./22. April einen gemeinsamen Freienrat. Er soll künftig die Freien der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten bundesweit vernetzen und so ihre Interessen „schlagkräftiger vertreten“.
Rund 18 000 arbeitnehmerähnliche freie Mitarbeiter_innen gibt es im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Sie arbeiten unter sehr unterschiedlichen Bedingungen und sind doch alle gleichermaßen unentbehrlich für das Programm. Die Initiative der ARD-Freien, die sich zum ersten Mal im vergangenen Jahr beim RBB in Berlin traf, fordert deshalb: „Mehr Respekt und Rechte für Freie“ – in Zeiten eines enormen Spardrucks, der Multimedia-Entwicklung und einer avisierten ARD-Strukturreform umso wichtiger, war der Konsens in Stuttgart und Thema der Eröffnungsdiskussion. So ging die erste Frage nach den politischen Vorgaben für die Strukturreform an Heike Raab, Staatssekretärin und Bevollmächtigte beim Bund und in Europa für Medien und Digitales. Als unschätzbarer Pfeiler der Meinungspluralität und damit stabiler Faktor der Demokratie müsse der öffentlich-rechtliche Rundfunk auch in Zukunft auskömmlich finanziert werden, sagte Raab. Dazu gehöre die Akzeptanz des Beitrags. Beim Strukturvorhaben richte sich der Blick unter anderem auf die Chancen der Digitalisierung, eine Modernisierung des KEF-Verfahrens, die Anpassung des rechtlichen Rahmens für den Telemedienauftrag, die Einnahmeseite und die Altersversorgung – „ein großes Spannungsfeld“.
ARD-Projektleiter Strukturreform Reinhart Binder (RBB) versicherte: „Landesrundfunkanstalten zusammenzulegen, steht nicht zur Diskussion. Die Autonomie der Landesanstalten soll unberührt bleiben.“ Ausgehend vom großen Gewicht der linearen Programme stünden auch diese nicht zur Disposition. Alles andere wie Verwaltung, Produktion, Technik, Programmerstellung schon. Ein Ziel sei, sich auf einheitliche Standards zu verständigen, technische und administrative Strukturen zu vereinfachen und zu vereinheitlichen und damit Kosten zu senken. Es gelte, die ARD zu einem integrierten, gut strukturierten Medienverbund zu entwickeln, der das gesamte publizistische Potenzial besser nutzbar mache. Es seien vielfältige Vorhaben, die bis September geprüft würden. Dann solle „alles klar sein“, sagte Binder zu.
Fragestellungen nach sozialer Sicherung immer wichtiger
In dieser Gemengelage werde die Rolle der Freien für das Programm immer wichtiger, betonte Cornelia Haß, dju-Bundesgeschäftsführerin in ver.di. Zugleich bestehe bei ihnen eine große Verunsicherung: „Sind wir die ersten, die dem Rotstift zum Opfer fallen?“ Deshalb seien Fragestellungen nach der sozialen Sicherung, der Honorierung und der Mitbestimmungsrechte aktuell besonders brennend. „Die Relevanz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks steht und fällt mit dem Programm“, hob Stefanie Schneider, SWR-Landessenderdirektorin Baden Württemberg, hervor – was im Laufe der weiteren Diskussionen auch von anderen immer wieder betont wurde. Sie verwies auf den bereits Jahre andauernden erfolgreichen Sparprozess beim SWR, bei dem man auf Fluktuation und Effektivität gesetzt habe. Keiner sei entlassen worden. Und auch an den Freien würde nicht gespart. Wichtig sei dabei, ergänzte Hans-Albert Stechl, SWR-Verwaltungsratsvorsitzender, dass Einspareffekte nicht nur für die Beitragsstabilität genutzt würden, sondern auch um das Programm zu stärken. Beim SWR gehe ein definierter Teil der Einsparungen ins Programm. So konnten beispielsweise Nachrichtenstrecken um 100 Prozent ausgebaut werden. Davon würden dann auch die Freien profitieren, so Stechl.
Vom Anforderungsprofil, die Strukturen zu verändern, um den Beitrag stabil zu halten, zeigte sich Prof. Hektor Haarkötter, Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft, überrascht. „Es muss um Inhalte gehen“, sagte er. Dem Publikum sei es schnurz, ob sie 30 Cent weniger oder 1,50 Euro mehr bezahlen. Er verstehe auch nicht, warum sich der Rundfunk selber reformieren solle. Besser man würde das Publikum fragen!
Es sei nicht so, dass jeder alles gern zahle, widersprach Heike Raab. Zudem gebe es Parteien, die den Beitrag in Frage stellen bis zur Forderung nach der völligen Abschaffung. Das Programm müsse jedoch zeitgemäß weiter entwickelt werden. Dafür notwendige Investitionen wie etwa beim Jugendangebot „Funk“ von 45 Millionen Euro könnten nicht aus der Kaffeekasse bezahlt werden. Das müsse woanders eingespart werden. Beim Telemedienauftrag müsse man weg von der 7-Tage-Regelung. Bei der Plattformregulierung sei wichtig, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk auffindbar bleibe und alles benutzerfreundlich sei.
Rundfunkbeschäftigte im Strukturprozess mitnehmen
Cornelia Haß warb dafür, die Kolleg_innen in diesem Prozess mitzunehmen, transparent und ehrlich vorzugehen. Dazu gehöre, Freie entsprechend ihrer Arbeitsrealität fest anzustellen. Dieser Forderung schlossen sich viele der Teilnehmr_innen an. Sie berichteten von prekären Arbeitsverhältnissen, wie Freie komplett in die Sendungsprozesse eingebunden seien und so letztlich Scheinselbstständigkeit vorliege; von Problemen, wenn Mitarbeiter_innen nach befristeten Beschäftigungen ausgetauscht würden und Einarbeitungszeiten u.a.m. den Raum für die eigentliche Arbeit einschränkten, was letztlich zu Lasten der Qualität gehe.
Der Politik wurde als erstes Fazit mit auf den Weg gegeben, beim Nachdenken über Strukturen auch die Arbeitsverhältnisse in den Fokus zu nehmen. Sie dürften nicht weiter verschleiert werden, was letztlich Sozial- und Steuerbetrug beinhalte. Ausgerechnet bei Arbeitgebern mit einem öffentlich-rechtlichen Auftrag dürfe es solche Zustände nicht geben, wurde mehrfach von Teilnehmer_innen hervorgehoben. Zudem gehe es um eine wirklich umfassende Mitbestimmung der Freien in den Arbeitnehmervertretungen.
Dauerbrenner eingeschränkte Mitbestimmung
Das Thema „Mehr Rechte für Freie“ vor allem bei der Mitbestimmung ist nach wie vor ein Dauerbrenner. Zu unterschiedlich sind die Möglichkeiten in den einzelnen Anstalten. Das reicht von weitgehender Mitbestimmung im Personalrat etwa beim WDR über eine Freienvertretung als eingetragener Verein wie beim BR oder Freienstatuten wie beim RBB bis zum quasi Nullstatus beim NDR – hier gibt es die engagierte Gruppe „Freie im Norden“, die inzwischen schon mal angehört wird. Jedoch verfügt sie weder über eine senderunterstützte Infrastruktur, noch hat sie Mitbestimmungsrechte.
Von einem großen juristischen Sieg des Personalrates für die Freien-Mitbestimmung bei Radio Bremen (RB) vor dem Bundesverwaltungsgericht berichtete Personalratsmitglied Hanna Möllers. 2008 wurde von der rot-grünen Koalition ins RB-Gesetz geschrieben, dass die Freien im Sender „Beschäftigte“ im Sinne des Personalvertretungsgesetzes sind und deshalb wie Festangestellte ein aktives und passives Wahlrecht im Gremium haben. Dennoch durften sie nicht über die Angelegenheiten von Freien mitbestimmen. Das wird sich nun durch das aktuelle höchstrichterliche Urteil ändern. Gleichwohl meinte die Intendanz von Radio Bremen nach dem langen Weg durch die Instanzen auch noch das Bundesverfassungsgericht anrufen zu müssen, weil diese Entscheidung die Rundfunkfreiheit nach Artikel 5 des Grundgesetzes einschränke. Die Reaktion der Verfassungsrichter fiel kurz aus: Damit werde man sich nicht befassen, hieß es.
Feigenblatt Freienstatut – Politik ist gefordert
Die Personalräte unterliegen zunächst den Landespersonalvertretungsgesetzen. Für Mehrländeranstalten wie den NDR oder für das Deutschlandradio (DLR) und die Deutsche Welle könnte das Bundesgesetz greifen. Jedoch fehlen auch hier Regelungen, die eine wirkliche Mitbestimmung festlegen. ver.di versuche schon sehr lange, die Rechte der Freien im Bundesgesetz zu etablieren. Da hier ein sehr dickes Brett zu bohren sei, habe man beim Deutschlandradio versucht, die Rechte der 600 Freien, die fast genauso arbeiten wie Festangestellte im NRW-Gesetz fest zu schreiben, berichtete Manfred Kloiber, ver.di im DLR. Vorzeigebeispiel und damit verheerend sei der RBB gewesen. Dort gibt es, nachdem die Parlamente in Berlin und Brandenburg zugestimmt haben, lediglich ein Freienstatut, das „weit weg von tatsächlicher Mitbestimmung“ sei, wie RBB-Freiensprecher Christoph Reinhardt erzählte (https://www.rbbpro.de/). Das betreffe zum Beispiel das Klagerecht. Erst nach dem Gang zum Gericht, war man bereit, dieses einzuräumen. Eine 140 Seiten langer Evaluierungsentwurf der Regelung liege beim Bundesverwaltungsgericht!
Und dieses RBB-„Vorbild“ schlug dann beim DLR zu Buche. Die Intendanz habe nun zu einer freundlichen Anhörung, quasi einem Kaffeplausch, einmal im Jahr eingeladen. Für Manfred Kloiber inakzeptabel. Für Heike Raab erstaunlich. Sie versicherte, dass die Intention beim Deutschlandradio eine wirkliche Mitbestimmung für die Kolleg_innen gewesen sei. Auch Tabea Rößner, Sprecherin für Medienpolitik der Grünen im Bundestag, sieht die Dringlichkeit des Problems und versprach, es in der nächsten Legislaturperiode einzubringen, sollten die Grünen erneut in den Bundestag gewählt werden. Politikerkolleg_innen sei nicht bewusst, wie Freie in den einzelnen Anstalten arbeiten, so Rößner. Sie appellierte, nicht nur Medienpolititker_innen, sondern auch Arbeitsrechtler_innen anzusprechen, in den Ländern das Gespräch mit den Verantwortlichen in den Fraktionen zu suchen. Ein Aspekt, der von vielen Teilnehmer_innen aufggriffen wurde. „Politiker_innen wüssten nicht, „was unter arbeitnehmerähnlichen Personen zu verstehen ist, die mitnichten selbstständig sind“, so Manfred Kloiber, auch Bundesvorsitzender der Fachgruppe Medin in ver.di. Aber es gelte auch, sich an die eigene Nase zu fassen und in den eigenen „Läden“ für mehr Bewusstsein zu sorgen. Entscheider in Rundfunk- und Verwaltungsräten sollten sich informieren und ebenso Personalräte – auch wenn noch nicht gesetzlich verpflichtet – können sich mit den Freien beschäftigen, mit ihnen reden. Im DLR gehe es so weit, „dass die Freien sogar von der Grippeschutzimpfung ausgeschlossen werden“, empörte sich Kloiber.
ver.di-Kampagne „Legalize it“
Freie, die wie Feste arbeiten und dennoch benachteiligt sind, bei zahlreichen Leistungen, aber vor allem was die Sicherung des Arbeitsplatzes angeht, gibt es in den öffentlich-rechtlichen Sendern zu Hauf in „nichtprogrammgestaltenden Bereichen“. Das sind zum Beispiel Cutter_innen, Grafiker_innen, Kameraleute oder Disponent_innen. Sie arbeiten wie Feste weisungsgebunden, fremdbestimmt und sind in der Regel vollständig in den Organisationsablauf der Produktion eingebunden. Sie könnten sich bei den Sendern einklagen. Die ver.di-Kampagne „Legalize it“ will eine kollektive Lösung dieses Problems befördern. Das Interesse dafür war groß beim Stuttgarter Treffen. Ausgangspunkt ist der „Gagistentarifvertrag“ beim Bayerischen Rundfunk (BR), über den Lorenz Hansen vom ver.di-Senderverband im BR berichtete. Mit Hilfe dieses Überleitungstarifvertrages sind nahezu 300 Freie in eine feste Anstellung auf ihren auch bis dato bereits ausgefüllten Arbeitsplätzen zu den gleichen Verdiensten gekommen. M berichtete darüber. Nach wie vor hat jeder Einzelne beim BR die Möglichkeit, seinen bisherigen Freienstatus beizubehalten, eine eigene Festanstellungsklage durchzuziehen oder diesen Tarifvertrag, der natürlich auch immer ein Kompromiss ist, zu nutzen.
ZDF, RBB, MDR und Deutsche Welle prüfen derzeit, einen ähnlichen Weg zu gehen. Entscheidend ist, dass sich Freie dafür kollektiv zusammenfinden, wenngleich jeder „Fall“ einzigartig ist und einzeln geprüft werden muss. Dafür steht ihnen ver.di kompetent zur Seite. Ohne juristischen Beistand sollte sich keiner in ein solches Verfahren begeben, betonte in einem eigenständigen und sehr gut besuchten Panel Ute Opritescu. Sie hatte als Juristin für ver.di den „Gagistentarifvertrag“ in München verhandelt.
Parallel zur Kampagne „Legalize it“ verhandelt ver.di derzeit im SWR einen Tarifvertrag, der die Situation der Freien in dem Haus erheblich verbessern würde, weil er ihnen eine weitgehende Beschäftigungs- und Einkommenssicherung gewährt. Ein nicht unumstrittenes und in Stuttgart diskutiertes Vorgehen, denn dieser Vertrag würde nicht zu Festanstellungen führen.
Insgesamt gab es neben den zwei Podien zehn Panels beim zweiten ARD-Freienkongress in Stuttgart mit Vertreter_innen von ver.di, DJV sowie Sozialversicherungsexperten. So informierten die Pensionskasse Rundfunk und das Versorgungswerk der Presse über Zuschüsse der Rundfunkanstalten bei Altersversorgung, Krankenversicherung und Berufsunfähigkeit. Die Botschaft aller Referenten war eindeutig: „Verschenken Sie keine Zuschüsse, tun Sie was.“ Gewerkschaftsvertreter_innen erklärten wie Freie vom neuen Urheberrecht profitieren können und was neue Tarifverträge angesichts des Spardrucks im öffentlich-rechtlichen Rundfunk bringen.
Die freien Medienschaffenden der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten beschlossen den Kongress zu einer bleibenden Institution zu machen. Ein Freienrat wird das operative Geschäft zwischen den Kongressen führen. In welcher ARD-Anstalt die Rundfunk-Freien 2018 zusammenkommen, konnte noch nicht festgelegt werden. Aber es gab keine Zweifel daran, dass es diesen wichtigen Erfahrungsaustausch auch im kommenden Jahr geben wird.
Der Freienkongress in Stuttgart fordert: „Freiheit für Deniz Yücel!“ und hat dazu eine Solidaritätserklärung beschlossen.Solidaritaetserklaerung Freie Stuttgart