Hohe Quoten gab es im Mai für eine Geschichte, die mehr als ein halbes Jahrhundert alt ist und doch bis heute interessiert: Die Spiegel-Affäre 1962. Arte vervierfachte seine Zuschauerzahl bei der Erstausstrahlung, insgesamt wollten mehr als 4,6 Millionen den ARD-Film über die Ereignisse sehen, als Verteidigungsminister Franz-Josef Strauß vor Wut schäumte über den Spiegel-Artikel „Bedingt abwehrbereit“, der die Bundeswehr als Scheinriesen entlarvte. Herausgeber Rudolf Augstein, Autor Conrad Ahlers und andere büßten mit Untersuchungshaft wegen des Vorwurfs des Landesverrats. Doch Strauß hatte nicht mit den vielen Demonstrationen für die Pressefreiheit gerechnet und musste am Ende zurücktreten.
Die Pressefreiheit war neben den Notstandsgesetzen und der Mitbestimmung ein wichtiges Thema beim DGB-Bundeskongress vom 22. bis 27. Oktober 1962 in Hannover. „Mitten in diesen Kongress – der schon von der Kuba-Krise begleitet, nein: überschattet war – platzte die Meldung von der Besetzung der Spiegel-Redaktion durch die Hamburger Polizei“, berichtet das 92jährige dju-Mitglied Werner Behr in einem Schreiben an M. Behr begleitete den Kongress als Redakteur der DGB-Zeitschrift „Der Deutsche Beamte“. „Ich erinnere mich sehr genau, wie wir im Kreis der Gewerkschaftsredakteure diskutierten, was dieser Vorgang bedeutet hat. Allerdings haben wir die volle Tragweite des Vorganges wohl noch nicht verstanden. Aber wir waren uns einig in der Forderung, der DGB-Bundeskongress müsste eine Solidaritätskundgebung für die Spiegel-Redakteure und für die Freiheit der Presse und ihren Schutz vor obrigkeitlichen Einschränkungen abgeben.“
Die Gewerkschaftlichen Monatshefte schrieben dazu in ihrem Resümee der kulturpolitischen Beschlüsse im Februarheft 1963: „Noch einmal ist auf dem Kongreß eine – wenn auch makabre – Gelegenheit gewesen, den Standpunkt des DGB zur Pressefreiheit dazulegen. In der Nacht vor Schluß des Kongresses wurde von der Bundesregierung die Spiegel-Affäre vom Zaune gebrochen. In seiner Schlußansprache hat (der neugewählte DGB-Vorsitzende, die Red.) Ludwig Rosenberg mit besonderem Bezug hierzu gesagt, dass die Pressefreiheit ein Kompaß sei, nach dem sich die Gewerkschaften richten. … Diese Äußerung ist mit starkem Beifall aufgenommen worden. Damit hat der Kongress – aus Zeitgründen war die Verabschiedung einer entsprechenden Resolution nicht mehr möglich – kundgetan, daß er die Gefahr der Aktion wohl wahrgenommen hatte.“
Der Bericht schließt mit einem Zitat des späteren Justizministers und Bundespräsidenten Gustav Heinemann: „Außer Staatsgefährdung durch Geheimnisverrat gibt es auch Demokratiegefährdung durch Geheimnistuerei samt strafrechtlichen Fallstricken.“