Volontariat nur noch für Leidenschaftliche

Konzentriertes Nachdenken? Erschrecken? Verstecken? – Nein: „Entspannen“ bei „Werwölfe“, einem der derzeit beliebtesten Gesellschaftsspiele – am Abend eines langen Tages in der Allgäuer „Volohütte“ der Südwest Presse
Foto: Magdi Aboul-Kheir

Seit zweieinhalb Jahren gilt der novellierte Ausbildungstarifvertrag für das Volontariat an Tageszeitungen, der den ursprünglichen Tarifvertrag von 1990 endlich der elektronischen Gegenwart anpasste. Eine Besonderheit der Novelle ist eine bis Ende 2019 jederzeit kündbare Verlängerungsklausel des Volontariats um drei auf 27 Monate, wenn diese Monate keine zusätzlichen Kenntnisse und Erfahrungen für die Volontär*innen bieten. Nun hat die dju-Tarifkommission Bestandsaufnahme gemacht: Keine Klagen, keine Kündigung.

Tarifsekretär Matthias von Fintel, dju-Verhandlungsführer bei den Gesprächen zur Novellierung, hatte die Mitglieder der Tarifkommission, die häufig als Betriebsrät*innen in ihren Häusern im Einsatz sind, im Frühjahr um Nachfragen bei Volos und Ausbilder*innen gebeten. Das Resümee der Berichte für den dju-Tarifkommissionsvorsitzenden Klaus Schrage und für Tarifsekretär von Fintel: Es laufe alles in den gedachten Bahnen, die Kündigungsoption muss nicht gezückt werden.

Wie das Volontariat nun in verschiedenen Redaktionen aussieht, wollte M Online in einer Stichprobe erfahren, die sich allerdings als schwieriger herausstellte als erwartet. Aus etlichen Redaktionen, in denen die Ausbildungsredakteur*innen kontaktiert wurden, gab es keine Antwort. Eine Gesprächszusage wurde von der Chefetage wieder gekippt. Obwohl viele Redaktionen bei einer gemeinsamen Veranstaltung der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di, des Deutschen Journalistenverbands (DJV) und des Bundesverbands Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) im Frühjahr 2018 in Hannover durchaus Interesse an der Neugestaltung des Volontariats gezeigt hatten. Diese Erfahrung hat M Online allerdings nicht allein gemacht, auch der Deutschlandfunk hat bei einer Umfrage teilweise nur Schweigen geerntet. Trotz des schon länger beklagten Bewerbermangels bei Lokalzeitungen.

Weiterer Rückgang der Bewerbungen

„Die Zahl der Bewerber geht zwar zurück. Nicht aber die Qualität. Offenbar kommen nur noch die, die diesen Beruf unbedingt anstreben“, meint Matthias Stelzer, Leiter der Ausbildungsredaktion und Ressortleiter Regionales bei der Südwest Presse. Eine Beobachtung, die auch der Leiter der Henri-Nannen-Schule, Andreas Wolfers, konstatierte: „Jetzt wollen nur noch die Leidenschaftlichen zu uns.“

Holger Knöferl, stellvertretender Chefredakteur der Badischen Zeitung Foto: Miroslav Dakov

„Die Zahl der Bewerber ist zwar spürbar gesunken“, hat auch Holger Knöferl, stellvertretender Chefredakteur der Badischen Zeitung in Freiburg und Leiter der journalistischen Ausbildung, beobachtet. „Durch intensive Vorarbeit im Vorfeld des Volontariats (freie Mitarbeiter, Praktikanten) und den meines Erachtens guten Ruf der Ausbildung in unserem Haus ist das Bewerberfeld sowohl quantitativ als auch qualitativ als gut zu bewerten.“ Der Volontärsjahrgang bei der Badischen Zeitung besteht immer aus vier jungen Leuten, zurzeit zwei Männer und zwei Frauen.

Nicht einfach mit der Nachwuchsgewinnung ist es auch beim Main-Echo in Aschaffenburg, bestätigt Ausbildungsredakteurin Katrin Filthaus: „Der Bewerbungseingang ist schon seit mehreren Jahren eher spärlich. Unser aktueller Volojahrgang setzt sich aus freien Mitarbeitern und ehemaligen Praktikanten zusammen.“ Insgesamt sind es derzeit fünf Volos, vier davon sind weiblich.

Nina Harms, Redaktionsleiterin der Ostfriesen-Zeitung Foto: Klaus Ortgies

Auch Nina Harms, Redaktionsleiterin der Ostfriesen-Zeitung in Emden-Nord und Ausbildungsredakteurin für die Zeitungsgruppe Ostfriesland mit Sitz in Leer, steht vor diesem Problem: „Die Zahl der Bewerbungen ist deutlich zurückgegangen. Zwar kommen immer noch regelmäßig Initiativbewerbungen bei uns an. Die meisten Bewerbungsmappen landen aber tatsächlich dann auf unserem Tisch, wenn wir gezielt auf unterschiedlichen Plattformen werben.“ Die Zeitungsgruppe Ostfriesland bildet gerade zwölf Volontär*innen aus: „Der Anteil an Männern und Frauen hält sich exakt die Waage.“

Mehr inhaltliche Tiefe ermöglichen

Die Verlängerungsklausel wird bei der Badischen Zeitung nicht in Anspruch genommen, obwohl die Einführungswochen von zwei auf vier ausgeweitet wurden. Die Stationen im Lokalen wurden von drei auf zwei reduziert und dafür verlängert, „um mehr inhaltliche Tiefe zu ermöglichen“, so Knöferl. Im zweiten Jahr stehen die Ausbildungsstationen Newsdesk und Online jetzt deutlich stärker im Fokus.

Ausbildungsredakteurin Katrin Filthaus vom Blaulichtteam im Main-Echo Foto: Björn Friedrich

Beim Main-Echo ist die Verlängerungsoption erstmals genutzt worden für eine Volontärin, deren Muttersprache nicht Deutsch ist, und deren Sprachkenntnisse gezielt verbessert wurden. Angeregt vom Musterausbildungsplan, der dem novellierten Ausbildungstarifvertrag als Ideengeber beiliegt, ist zudem ein mehrwöchiges Volo-Projekt entstanden, in dem die Volontär*innen ein eigenes Thema für Print und Online erarbeiten, berichtet Filthaus.

Die nicht mehr tarifgebundene Zeitungsgruppe Ostfriesland hat die Ausbildung vor rund einem Jahr auf 30 Monate verlängert, unter anderem, um die Ausbildungsstation der Printvolontäre in der verlagseigenen Videoredaktion auszubauen, und um alle Ausspielwege und neuen Erzählformen aufbereiten zu können. Die Volotage sind nun eine regelmäßige Einrichtung, Exkursionen nach Brüssel und Berlin gibt es auch. „Aber auch hausinterne Veränderungen haben uns dazu bewogen, das Volontariat zu verlängern.“ Denn es gebe Pläne für eine eigene Mantelredaktion, in der die Volos künftig auch Station machen sollen. „Im Haus war man sich einig, dass sich die gestiegenen Anforderungen auch in der Ausbildung niederschlagen und Inhalte zu bestimmten Themen vertieft werden müssen, um eine umfassende Ausbildung gewährleisten zu können, mit der die fertigen Volontäre gut ausgerüstet ins Redakteursleben starten können“, berichtet Harms. „Für uns war es keine Option, in die zwei Jahre Volontariat noch mehr Inhalt zu packen. Mehr Inhalt benötigt mehr Zeit.“

Verlängerung für mehr Luft in den Ressorts

Matthias Stelzer, Leiter der Ausbidlungsredaktion und Ressortleiter Regionales bei der Südwest Presse Foto: Marc Höger

„Wir haben unsere Ausbildungszeit auf 27 Monate verlängert“, erklärt Matthias Stelzer von der Südwest Presse. „Die Anregung dazu kam von den Volos selbst, die den Eindruck hatten, dass die Vielzahl der Ausbildungsangebote ihnen zu wenig Luft für die Regelausbildung in den Ressorts lässt.“ Die Südwest Presse in Ulm, die zurzeit mit den Töchtern in Metzingen und Schwäbisch Hall14 Volos, darunter neun junge Frauen, ausbildet, hat eine zusätzliche Volontärswoche im Allgäu eingeführt, die „Beginners‘ Days“ ausgebaut, eine Kooperation mit Radio 7 geschlossen, eine Studienfahrt nach Brüssel etabliert und die Inhouse-Seminare verstärkt.

„Wir investieren viel in die Ausbildung“, betont Stelzer von der Südwest Presse, „deshalb versuchen wir, alle Volontäre zu übernehmen. Nach Möglichkeit. Eine Garantie gibt es selbstverständlich nicht.“ Auch die Badische Zeitung hat ebenso wie die Zeitungsgruppe Ostfriesland und das Main-Echo das Ziel, für den eigenen Bedarf auszubilden. „In der Vergangenheit haben wir sicher eine Übernahmequote von 80 Prozent erreicht“, stellt Knöferl von der Badischen Zeitung fest. „Wobei wir auch die Erfahrung machen mussten, dass es teils schwer war, unsere gut ausgebildeten jungen Kollegen für Lokalredaktionen in Mittelstädten und dem ländlichen Raum zu begeistern.“

 

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Nicaraguas bedrohte Medien

Die Diktatur des nicaraguanischen Präsidentenpaars Daniel Ortega und Rocio Murillo hat in den letzten Jahren immer mehr Journalist*innen ins Exil getrieben. Unter erschwerten Bedingungen berichten Menschen wie Lucía Pineda vom Nachrichtenkanal "100% Noticias" oder Wendy Quintero nun aus dem Ausland. Für diese Arbeit nehmen sie stellvertretend für viele andere am 26. November 2024 den Menschenrechtspreis der Friedrich-Ebert-Stiftung entgegen.
mehr »

Öffentlichkeit ohne Journalismus

Schwindende Titel, schrumpfende Redaktionen, immer geringere Abonnentenzahlen – dass gerade der Lokaljournalismus vielerorts unter Druck steht, ist nicht neu. Doch was bedeutet das für die lokale Öffentlichkeit, die inzwischen von vielen selbstbewussten Medien-Akteuren mitgestaltet wird? Eine aktuelle Studie der Otto-Brenner-Stiftung beschäftigt sich mit genau dieser Frage.
mehr »

Die Medienwende nach dem Mauerfall

35 Jahre nach dem Mauerfall bietet die Medienlandschaft im Osten Deutschlands ein zwiespältiges Bild. Nach wie vor verlieren die von westdeutschen Großverlagen kontrollierten ehemaligen DDR-Traditionstitel überdurchschnittlich an Auflage und Anzeigenvolumen. Der aufgelöste staatliche DDR-Rundfunk ist nach anfänglichem Hickhack erfolgreich in ARD und ZDF integriert. Gescheitert ist indes früh der Traum der Ex-Bürgerrechtler von einem „Dritten“ Medienweg.
mehr »

Kodex für mehr Respekt beim Film

Auf Initiative der Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, des Bundesverbands Schauspiel (BFFS) und Allianz Deutscher Produzentinnen und Produzenten – Film, Fernsehen und Audiovisuelle Medien hat eine Gruppe aus Branchenvertreter*innen von Verbänden, TV-Sendern, Streamingdiensten, Förderern und unter Beteiligung der BKM, der Themis Vertrauensstelle e. V. und der BG ETEM nach über einem Jahr gemeinsamer Beratung heute den Respect Code Film (RCF) beschlossen.
mehr »