Filmtipp: Face_It!

Künstler und Datenschutzaktivist padeluun in der Dokumentation "Face_It! - Das Gesicht im Zeitalter des Digitalismus" von Gerd Conradt
Bild: missingFILMs

Mit der automatischen Gesichtserkennung beschäftigt sich Regisseur Gerd Conradt in seinem neuen Filmessay „Face_It! – Das Gesicht im Zeitalter des Digitalismus“. Hintergrund ist ein Pilotprojekt der Bundespolizei zu digitalen Erkennungssystemen, mit deren Hilfe Straftäter sofort erkannt und festgenommen werden sollen. Conradt begibt sich auf eine Reise zu Akteur*innen, die sich mit der (De)Codierung des menschlichen Antlitzes befassen.

Mehrere Kameras filmen ein Jahr lang das Geschehen im Bahnhof Berlin-Südkreuz. Freiwillige Testpersonen, die regelmäßig die Bahnsteige nutzen, ließen vorab ihre Gesichter einscannen. Danach sollen drei Computerprogramme im Testlauf dieselben Personen wiedererkennen. Conradt ist vor Ort. Datenschützer protestierten, vorbeilaufende Passanten erklären, das Projekt diene schließlich der Terrorismus- und Verbrechensbekämpfung.

Wer meint, Conradts Film liefe nun auf eine platte Gegenüberstellung von Meinungen zum Sinn und Zweck der staatlichen Datensammelwut hinaus, liegt falsch. Er umkreist das Thema schrittweise mit ausgewählten Gesprächspartnern aus Politik, Wissenschaft und Kultur, um der Bedeutung des Gesichts vor und im digitalen Zeitalter nachzuspüren. Weil Conradt, anstatt einfach Fragen zu stellen, allen Expert*innen dokumentarische und künstlerische Videoclips zeigt und sie bittet, diese zu kommentieren, gelingt es ihm, ihnen mehr als die einstudierten Floskeln zu entlocken. Viele der Aufnahmen stammen von dem österreichischen Medienkünstler und Kuratoren Peter Weibel, der sich bereits seit den 1970er Jahren mit dem Abbild und Ausdruck des Gesichts befasst.

So vergleicht etwa die Staatsministerin für Digitales Dorothee Bär Bürger*innen, die ihr Gesicht nicht im öffentlichen Raum zeigen wollen, mit Bankräubern unter der Strumpfmaske, und zwar trotz ihrer Bedenken gegen zu viel Überwachung.

Siegrid Weigel, Literatur- und Kulturwissenschaftlerin, hält die automatische Gesichtserkennung für eine demokratisch legitimierte Geheimpolizei. Jeder stehe unter dem Bann „Du bist verdächtig!“. Die Methode sei eine Mathematisierung von Lebewesen. Dem voraus gehe eine Reduktion des Gesichts wie sie auf den Theatermasken der griechischen Antike zu sehen sei, resümiert Weigel.

Auf die digitale Jetztzeit übertragen ist die Voraussetzung für diese Mathematisierung der starre Gesichtsausdruck auf unseren biometrischen Passbildern. Sie dienen als Vergleichsfoto für die Automatische Gesichtserkennung durch die Algorithmen einer Software, wie sie am Bahnhof Südkreuz verwendet wurde. Ein Lächeln im Gesicht mindert den Wiedererkennungswert. Doch auch das Lachen, die Trauer und Furcht sind messbar. Was „Face to Face-Coaches“ mithilfe von „FACS“ (Facial Action Coding System) für die Personalentwicklung in Unternehmen vermitteln, können nun auch Algorithmen leisten. So ließen sich laut FACS-Coder Holger Kunzmann nicht nur mimische Ausdrücke, sondern auch die dazugehörige Emotion erkennen.

Der Künstler und Datenschutzaktivist padeluun betont indes, dass man es bei vereinzelten Protestaktionen im Bahnhof nicht belassen könne. Wer glaube, es sei gefährlich, wie mit unseren Daten umgegangen wird, müsse dem Parlament sagen: „So geht es nicht!“ Danach sollten entsprechende Studien aufbereitet werden.

Gegen Ende des Films räsoniert Gerd Conradt darüber, wer was mit unseren Daten macht. Er fordert, wir sollten Zugang zu unseren gesammelten Daten bekommen und darauf bestehen, dass bestimmte von ihnen gelöscht werden. Das ist außerdem ganz im Sinne des vom Verfassungsgericht festgeschriebenen Persönlichkeitsrechts auf informationelle Selbstbestimmung.

Was den Testlauf im Bahnhof Südkreuz betrifft, verkündete Innenminister Horst Seehofer übrigens im Oktober 2018, dass dieser mit einer Fehlerquote von 0,1 Prozent als erfolgreich zu werten sei. Jeder Tausendste wurde demnach falsch erkannt.


„Face_It! – Das Gesicht im Zeitalter des Digitalismus“

Regie: Gerd Conradt
D 2019, 80 min.
U.a. mit: Peter Weibel, Dorothee Bär, Julius von Bismarck, Sigrid Weigel, padeluun, Holger Kunzmann

Filmstart: 25. Juli 2019

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Fehlender Schutz für Journalistinnen

Anlässlich des Internationalen Tages gegen Gewalt an Frauen fordert die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di von der Politik und Arbeitgebern endlich mehr Schutz für Frauen in den Medien. Die Zahlen von Gewalttaten an Frauen sind sowohl online als auch offline gestiegen. Der Lagebericht 2023 der Bundesregierung zu geschlechtsspezifisch gegen Frauen gerichteten Straftaten zeigt: Besonders hoch ist der Anstieg bei frauenfeindlichen Straftaten im Zusammenhang mit politisch motivierter Kriminalität - 322 Straftaten - 56,3 Prozent mehr als noch in 2022.
mehr »

Neues vom Deutschlandfunk

Auch beim Deutschlandfunk wird an einer Programmreform gearbeitet. Es gehe etwa darum, „vertiefte Information und Hintergrund“ weiter auszubauen sowie „Radio und digitale Produkte zusammen zu denken“, erklärte ein Sprecher des Deutschlandradios auf Nachfrage. Damit wolle man auch „auf veränderte Hörgewohnheiten“ reagieren.
mehr »

Nicaraguas bedrohte Medien

Die Diktatur des nicaraguanischen Präsidentenpaars Daniel Ortega und Rocio Murillo hat in den letzten Jahren immer mehr Journalist*innen ins Exil getrieben. Unter erschwerten Bedingungen berichten Menschen wie Lucía Pineda vom Nachrichtenkanal "100% Noticias" oder Wendy Quintero nun aus dem Ausland. Für diese Arbeit nehmen sie stellvertretend für viele andere am 26. November 2024 den Menschenrechtspreis der Friedrich-Ebert-Stiftung entgegen.
mehr »

Österreich: Gefahr für die Pressefreiheit

In Österreich ist die extrem rechte FPÖ bei den Nationalratswahlen stärkste Kraft geworden. Noch ist keine zukünftige Koalition etabliert. Luis Paulitsch erklärt im Interview, welche Entwicklungen in der österreichischen Medienlandschaft zu erwarten sind, sollten die FPÖ und ihr Spitzenkandidat Herbert Kickl an der Regierung beteiligt werden. Paulitsch ist Jurist, Zeithistoriker und Medienethiker. Von 2019 bis 2024 war er Referent des Österreichischen Presserats, dem Selbstkontrollorgan der österreichischen Printmedien;  seit 2024 bei der Datum Stiftung für Journalismus und Demokratie.
mehr »