Mehr als nur Medien

Er war überfällig und eigentlich hätte nur die Betrachtung der Medien gereicht. So wie aber die schon lange eingestellte Pressestatistik der Bundesregierung keinen umfassenden Überblick über die deutsche Zeitungs- und Zeitschriftenlandschaft gegeben hat, hätte auch ein reiner Medienbericht nach zehn Jahren zu kurz gegriffen. Mit dem Medien- und Kommunikationsbericht (www.kulturstaatsminister.de), den Staatsminister Bernd Neumann Ende Dezember vorlegte, ist jedoch ein echter Wurf gelungen.

Immerhin hätte sich der CDU-Minister im Kanzleramt auf seinen Kultur und Medientitel zurückziehen sowie regulatorische, ökonomische und technologiepolitische Aspekte ausblenden können. Hat er aber nicht und stattdessen auf einen umfassenden Ansatz und wissenschaftliche Expertise gesetzt. Deshalb deklarieren sich die rund 220 Seiten des Regierungsberichts bescheiden als Teil 1 und verweisen damit auf ein fast 380-seitiges Gutachten des renommierten Hans-Bredow-Instituts als Teil 2.
Herausgekommen ist eine profunde Analyse von Medien und Kommunikation sowie Konvergenz in Zeiten rascher Digitalisierung. Die Themenpalette reicht von Einzelbranchen wie Print, Tonträgern, Film/Video, Rundfunk und Online über mediale Arbeitswelt, Medien- und Telekommunikationsgesetze, Urheberrecht und Jugendschutz bis zu journalistischer Qualität, publizistischer Vielfalt sowie Technik- und Markttrends. Verbunden sind damit zugleich Reformvorschläge unter Beachtung des Bund-Länder-Spagats im föderalen Deutschland sowie der europäischen und globalen Komponenten. Filmpiraterie, „nomadische“ Nutzung von Endgeräten und „netzübergreifende Schnittstellen-Standards“ kommen im Bericht der Bundesregierung neben der Warnung vor digitaler Spaltung der Gesellschaft, Medienselbstkontrolle, und Qualitätssicherung vor. Suchmaschinen als möglicherweise gefährliche „Gatekeeper“ im Web stehen gleichberechtigt neben der Betrachtung von Bürgerportalen. So als gäbe es kein Bundeswirtschaftsministerium oder für Rundfunkfrequenzen zuständige Bundesländer fordert Neumann die „flächendeckende Bereitstellung von Breitband-Anschlüssen“, um allen Bürgern „Zugang zum Internet und zu qualitativ anspruchsvollen Medienangeboten“ zu ermöglichen.
Alle anderen, die im Feld von Medien und Kommunikation mitreden wollen, müssen sich nun an diesem multimedial-kommunikativen Ansatz sowie den übergreifenden gesellschaftspolitischen Zielen messen lassen. Isolierte Lösungen und einseitiger Lobbyismus sind „out“. Das trifft auf Pressehilferufe im Krisental ebenso zu wie auf Rundfunkgebührengejammer.

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Cooler Content für Europäer*innen

Das europäische Content-Creator-Netzwerk ENTR erstellt seit Mai 2021 journalistischen Content zu länderübergreifenden Themen, die junge Menschen in Europa bewegen. Ihr Ziel ist es digital und analog eine offene, authentische und konstruktive Debatte über das gegenwärtige und zukünftige Leben in Europa anzuregen. Verschiedene Multimedia-Inhalte wurden zunächst täglich in sechs, inzwischen sogar in neun europäischen Sprachen erstellt. Ein Projekt, das vor der Europawahl besonders relevant ist.
mehr »

Der Osten braucht einen starken MDR

Ausgerechnet im Osten Deutschlands soll beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk massiv gespart werden. Nach Ankündigung des Mitteldeutschen Rundfunks (MDR) sollen in den kommenden vier Jahren mindestens 160 Millionen Euro vom Sender eingespart werden. Die Kürzungen stellen eine Gefahr für die Sicherheit von Arbeitsplätzen und die Demokratie in den betreffenden Bundesländern dar.
mehr »

KI-Film über düstere deutsche Zukunft

Das dreiminütiges Science-Fiction-Video „Oma, was war nochmal dieses Deutschland?“ hat ein enormes Medienecho ausgelöst. Darin zeigt der Produzent und Podcaster Andreas Loff eine Dystopie aus dem Jahr 2060: eine fiktive rechtsextreme Partei mit dem Namen „Die Blauen“ hat in Deutschland die Macht übernommen und das Land nach massenhaften Abschiebungen vollkommen ruiniert. Eine alte Frau, gesprochen von Anna Thalbach, erzählt ihrer Enkelin an einer fernen Küste, wie es einst mit ihrer deutschen Heimat abwärts ging. Wir sprachen mit dem Macher Andreas Loff über den Film und den Einsatz der KI.
mehr »

Feminismus trifft Klassenkampf im Film

Das Internationale Frauenfilmfest (IFFF) wirft einen sehr außergewöhnlichen Blick auf die Arbeitswelt von Frauen im Film. Damit kommt es beim Publikum gut an und liegt voll im Trend. Denn es geht um Frauensolidarität, Antirassismus, Antisexismus und Klassenkampf. Bei der 41. Ausgabe des Festivals vom 16. bis 21. April in Köln gab es volle Kinosäle. Der Schwerpunkt der von Frauen produzierten Filme aus aller Welt lag in diesem Jahr auf dem Horrorgenre.
mehr »