Beschimpfungen, Behinderungen, Bedrohungen und Verhaftungen: Nicht nur in Serbien geraten Journalist*innen unabhängiger Medien in der Corona-Krise in Ost- und Südosteuropa zunehmend unter Druck. Autoritär gestrickte Landesfürsten versuchen den Ausnahmezustand zur Disziplinierung und Eliminierung lästiger Medien zu nutzen.
Von einer „alarmierend“ hohen Zahl von Regierungen, die die Pandemie als Ausrede zur Restriktion des freien Informationsflusses nutzen, spricht das International Press Institute (IPI) in Wien. Bis zu fünf Jahre Haft oder das Recht zur Schließung missliebiger Medien sehen die bereits verabschiedeten oder geplanten Notstandsgesetze der EU-Mitglieder Ungarn, Rumänien und Bulgarien sowie Russlands für die Verbreitung „falscher Informationen“ vor. Das Problem: Meist ist es allein den Regierungen überlassen, „falsch“ oder „richtig“ zu definieren.
Auch Serbiens gestrenge Landesmutter übt sich gerne in Medienschelte. Mit ihrem „Hass“ gegen Präsident Aleksandar Vucic würden die „sogenannten unabhängigen“ Medien den Staat „zerstören“, ereiferte sich Regierungschefin Ana Brnabic am 6. April im regierungsnahen TV-Sender „Happy“: „Wollt Ihr, dass die Epidemie länger dauert?“
Nach heftiger Kritik nationaler und internationaler Fachverbände hat Serbiens Regierung zwar ihre Verordnung zur „Zentralisierung“ der Medieninformationen über Corona wieder zurückgezogen. Doch der EU-Anwärter profiliert sich weiter als Vorreiter in der Region bei der Gängelung missliebiger Medien. „Freie Medien – die Schuldigen vom Dienst“, titelt in Belgrad die unabhängige Zeitung „Danas“. Mit ihren Attacken gegen professionelle Medien wollten die Machthaber vor allem vom eigenen Versagen in der Viruskrise ablenken, argwöhnt das Blatt.
Verhaftet nach Bericht über Missstände
Zu Monatsbeginn wurde die Journalistin Ana Lalic nach einem Bericht über Missstände im Klinikzentrum der serbischen Stadt Novi Sad für das Webportal „nova.rs“ wegen „Verbreitung von Panik“ verhaftet und erst nach heftigen Protesten der Berufsverbände wieder freigelassen. Gerne werden auch vermeintliche Verstöße gegen die Bestimmungen des Ausnahmezustands für Verhaftungen von Journalist*innen ins Feld geführt. So wurden im serbischen Zrenjanin Ende März ein Journalist und ein Kameramann des lokalen TV-Senders KTV verhaftet, weil sie sich beim Betreten des Rathauses angeblich einer Desinfektion verweigert hätten.
Im serbisch besiedelten und noch immer weitgehend von Belgrad kontrollierten Nordkosovo wurde am 11. April die Chefredakteurin des unabhängigen „KoSSev“-Portals Tatjana Lazarevic inhaftiert: Die Journalistin, die für ein Feature im Gesundheitszentrum von Zvecan unterwegs war, habe gegen die Ausgangssperre verstoßen, so die Begründung der Polizei. Ebenfalls in Nordkosovo wurde Nenad Milenkovic, der Direktor des lokalen TV-Senders „Puls“ zu Wochenbeginn vor dem Rathaus von Nord-Mitrovica am hellichten Tag von vier Männern mit Schutzmasken abgepasst und blutig geprügelt: Er hatte im Rathaus die ihm von den Schlägern entwendete Dokumentation zu einer getürkten Ausschreibung der Kommune abgeben wollen.
Schließung von Websites und Beschimpfungen
In anderen Staaten sieht es nicht besser aus. In Weißrussland wanderte Sergej Satschuk Satsuk wegen angeblicher Bestechlichkeit für zehn Tage hinter Gitter, nachdem der Chefredakteur des Webportals „EJ.BY“ einen Artikel über die von Minsk negierte Corona-Krise veröffentlicht hatte. In Moldawien wurde ein Dekret der Medienaufsicht, dass nur noch offizielle Erklärungen und „keine persönlichen Meinungen“ zur Pandemie veröffentlicht werden dürften, nach heftiger Kritik zwar wieder zurückgezogen. Doch mittlerweile hat der Geheimdienst SIS die Schließung von 52 Websites wegen der angeblichen Verbreitung von Fakenews angeordnet.
Über einen wachsenden Druck in der Viruskrise klagen aber auch Journalist*innen in EU-Staaten. „Verbreitet keine Lügen. Wir bezahlen Euch, um die Öffentlichkeit in diesen Zeiten zu informieren, nicht irrezuführen,“ warnte Sloweniens Regierungschef Janez Jansa Ende März den öffentlich-rechtlichen TV-Sender RTV per Twitter: „Anscheinend gibt es zu viele von Euch – und Ihr werdet zu gut bezahlt.“ Nachdem Jansa vergangene Woche auch noch den Enthüllungsjournalisten Blaz Zgaga per Twitter als „Lügner“ beschimpfte, der „so wie kein anderer in Sloweniens Geschichte“ den Berufsstand in Diskredit gebacht habe, sah sich selbst die EU-Kommission zu einer Reaktion genötigt. „Kein Hass, keine Drohungen, keine persönlichen Attacken“, so die Mahnung der EU-Kommissarin für Werte und Transparenz Vera Jourova an Sloweniens Regierung.
Mehr lesen zum Welttag der Pressefreiheit:
Die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di zur Wertschätzung journalistischer Arbeit in Deutschland und weltweit: https://mmm.verdi.de/beruf/journalismus-kompass-in-stuermischen-zeiten-66009
„Die Corona-Pandemie bündelt bestehende repressive Tendenzen weltweit wie ein Brennglas. Die aktuelle Rangliste der Pressefreiheit zeigt, dass schon vor der aktuellen Krise erschreckend viele Regierungen und politische Kräfte in ganz unterschiedlichen Ländern bereit waren, die Pressefreiheit ihrem Machtstreben unterzuordnen“, sagte die Vorstandssprecherin von Reporter ohne Grenzen, Katja Gloger. https://www.reporter-ohne-grenzen.de/rangliste/rangliste-2020/
Trotz Corona-Pandemie ist der Band „Foto für die Pressefreiheit“ mit eindrucksvollen Reportagen und aufrüttelnden Bildern aus Kriegs- und Krisengebieten erschienen.
Weitere aktuelle Beiträge zur Pressefreiheit auf M Online:
https://mmm.verdi.de/internationales/todesurteile-nach-grob-unfairem-verfahren-65993
https://mmm.verdi.de/medienpolitik/lotterie-gewinner-duerfen-fragen-stellen-65649
https://mmm.verdi.de/internationales/ungarn-medien-im-ausnahmezustand-65447