Gesundheit in Medien als Zeitdiagnose

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Bei der Vermittlung von Gesundheitsthemen – sei es Managerkrankheit oder Corona-Pandemie – spielen Medien eine entscheidende Rolle. Informationen über Krankheiten und Gesundheit sind wichtig für die Stabilität einer Gesellschaft, aber auch für das Leben einzelner Menschen, etwa wenn es um Selftracking zur Optimierung des Körpers geht. Auf der Tagung „Geschlecht, Gesundheit und Medien“ in Augsburg wurde deutlich, wie sehr Medien dabei auch eine Zeitdiagnose gesellschaftlicher Ungleichheiten und Geschlechterordnungen stellen. Einige Schlaglichter.

„Es war erschreckend, wie glasklar sich unsere Vorannahmen ohne Zwischentöne bestätigten“, so Susanne Kinnebrock, Professorin für öffentliche Kommunikation an der Uni Augsburg. Zusammen mit ihrer Mitarbeiterin Cordula Nitsch hatte sie den Mediendiskurs über die „Managerkrankheit“ untersucht und festgestellt, dass die Presseartikel nach dem Zweiten Weltkrieg, als Frauen Familienernährerinnen waren, eine „Remaskulinisierung der deutschen Gesellschaft“ beförderten, indem sie weibliche Lebenszusammenhänge komplett ausblendeten.

In ihrer explorativen Studie analysierten die beiden Forscherinnen 25 Artikel, die zwischen 1953 und 1969 in der „Zeit“ erschienen. Die Befunde: Betroffen von der „neuen gefährlichen Krankheit“ sind in den Artikeln der Wochenzeitung ausschließlich „Männer in den besten Jahren“. Dabei handelt es sich um erfolgreiche Manager, die sich allein über ihre Arbeit definieren. Genannt werden selten psychische, sondern vor allem körperliche Symptome dieses „Männerleidens“ wie Herz-Kreislaufstörungen. Die Diagnose wird als „ehrenvoll empfunden“, denn der Erkrankte „opfert sich für den Betrieb.“

Die Managerkrankheit sei als Erschöpfungsdepression medizinisch vage geblieben, genauso wie heutzutage das Burnout als „die kleine Schwäche der ganz Starken“ gelte, so Nitsch. Sie wird in den Artikeln als „Zeit- bzw. Zivilisationskrankheit“ beschrieben, ausgelöst durch den „American Way of Life“ Anfang der 1950er Jahre. Beschleunigung, Entfremdung und Konkurrenzdruck in Zeiten des Wirtschaftswachstums kennzeichnen diese „Hetzjagd des modernen Lebens“. Die Menschen, hier ausschließlich Männer, leiden unter Überernährung, Alkoholkonsum und mangelnder Bewegung, gepaart mit „fast übermenschlicher Verantwortung und Arbeitslast“. Mit der Managerkrankheit als Konstrukt sei versucht worden, „die alte Geschlechter- und Klassenordnung wieder herzustellen“, so Kinnebrock. Die Betroffenen stammten ausschließlich aus dem Großbürgertum. Es werde vollkommen ausgeblendet, dass auch Männer aus dem Arbeitermilieu und Frauen unter der „Zeitkrankheit“ litten.

Desexualisierung in der Gesellschaft

Interdependenzen zwischen medialem und gesellschaftlichen Diskurs über Sexualität in Zeiten der Corona-Pandemie verdeutlichten Friederike Hermann und Pascal Tannich von der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt an einem Fallbeispiel aus dem interdisziplinären Forschungsprojekt „No touching“. Sie analysierten das Funk-Video „Was geht auf Tinder, Grindr & Co.? Dating im Lockdown“ des Y-Kollektivs vom Januar 2021 und die zugehörigen Kommentare auf YouTube. Interviewt werden dort Menschen unterschiedlicher sexueller Orientierung. Sie berichten von ihren zum Teil riskanten, mit den Corona-Regeln nicht konformen Sex-Praktiken, durch die sich viele User „verarscht“ fühlen.

Dabei gibt es „stark affektive Reaktionen“ auf den journalistischen Beitrag, wie etwa: „Rudelbumsen ist kein Grundbedürfnis“. Nach Hermann machen die zwischen Video und Kommentaren verdichteten Diskursstränge über angemessenen und unvernünftigen Sex eine Desexualisierung in der Gesellschaft sichtbar: „Sexualität ist wieder im Keller!“ Der Medienbeitrag evoziere beim Publikum Reaktionen, „die im gesellschaftlichen Diskurs angelegt sind“.  Auf die Frage, was von diesen Diskussionen zu Pandemiezeiten hängengeblieben sei, meinte Tannich: „Die Unterdrückung von allem, was nicht in Normalitätsvorstellungen passt!“

Wie Aktivist*innen ihre Botschaften durch Framing veränderten, um auch in Corona-Diskursen relevant zu bleiben, demonstrierte die Tübinger Medienforscherin Giuliana Sorce am Beispiel der digitalen Protestkommunikation von Fridays for Future (FFF). Gleich zu Beginn der Pandemie am 11. März 2020 postete Greta Thunberg, Begründerin der Klimaschutzbewegung, die „flatten the curve“-Infografik auf allen Social-Media-Kanälen und forderte auf, die Ausbreitung des Coronavirus einzudämmen. Ihren Aufruf, „zu Hause zu bleiben“ verknüpfte sie mit dem moralischen Appell, sich um andere zu kümmern und „verantwortungsbewusst“ zu handeln.

Verbindung von Klima und Gesundheit 

Sorce analysierte zusammen mit ihren Mitarbeiter*innen Facebook-Posts, die FFF zwischen Februar und April 2020 veröffentlichten. Sie entdeckten drei Framing-Prozesse mit Bezug auf die Coronakrise: Anpassung, Reframing und Mobilisierung. Im Februar übernahmen FFF die Solidaritätsappelle der Politik „zum Wohle der Gesellschaft“ und riefen dazu auf, auf die Wissenschaft zu hören – nicht nur die Medizin, sondern auch die Umweltforschung. Im März und April positionierten sie durch Reframing den Klimawandel als „wichtigste Krise“, die Pandemien wie Covid-19 begünstige. Der weiteren Mobilisierung für den digitalen Klimastreik am 24. April dienten schließlich Posts wie „Die Klimakrise macht keine Quarantäne“.

Sorces Fazit: Durch die Verbindung von Klima- und Gesundheitsframes (moralische Verantwortung, schnelles Krisenmanagement) mit der Forderung nach einer nachhaltigen „Zukunft“, bleibt die FFF-Bewegung auch in der Pandemie öffentlich relevant und erweitert ihren „umweltpolitischen Master-Frame“. Gleichzeitig markiert sie in der Pandemie „ihre intersektionale Sensibilität für vulnerable Gruppen“ – wie Geflüchtete, Sexarbeiter*innen, Wohnungslose oder Menschen mit Vorerkrankungen.

Nicht nur in medialen Debatten und Aktivitäten, sondern auch in individuellen Medienpraktiken lassen sich gesellschaftliche Ungleichheits- und Geschlechterkonstruktionen diagnostizieren. Etwa beim Selftracking im Alltag, mit dem Menschen ihren häufig als „defizitär empfundenen Körper“ den Erwartungen der Leistungsgesellschaft anpassen, spiegelten sich „tradierte Geschlechtervorstellungen“ wider, so der Augsburger Medienforscher Jakob Hörtnagl. So gehe es bei Männern oft um Muskelaufbau, wobei „Nahrung der Treibstoff ist“ und sie zählen eifrig Kalorien, die sie in Ernährungstagebüchern auflisten. Frauen eifern einem Schlankheitsideal nach, essen „Brokkoli und Quark“, obwohl „sie keinen Bock drauf haben“ und holen sich die Bestätigung für ihre Bemühungen bei den Weight Watchers.

Auch in einer Studie über Cybermobbing zeigte sich die „Beharrlichkeit alter Geschlechterstereotype“:  Schülerinnen, die Nacktbilder verschicken, gelten als „Schlampe“, bei ihren Mitschülern ist ein solches Verhalten „geschlechtskonform“.

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