Die deutsche Medienlandschaft hat aufregende Jahre hinter sich. Auf der Konferenz der Bundesfachgruppe „Medien, Journalismus und Film“ von ver.di in Berlin wurde nach vier Jahren wieder Bilanz gezogen und in die Zukunft geblickt. Die Delegierten debattierten über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, die zurückliegenden Tarifabschlüsse und das Verhältnis zwischen festen und freien Medienschaffenden. Auch die neue Präsidentin der EFJ war zu Besuch. Ein neuer Bundesvorstand wurde gewählt.
Die vergangenen vier Jahre habe die Fachgruppe nicht nur in der innerorganisatorischen Transformation gefordert, sagte der Vorsitzende Manfred Kloiber bei der Vorstellung des Geschäftsberichtes. Die globalen Krisen aus der Covid-Pandemie seit März 2020 und der Angriffskrieg der russischen Armee auf die Ukraine habe die Fachgruppe auch in weiteren Tätigkeitsfeldern vieles abverlangt und vor teilweise neue Aufgaben gestellt. Homeoffice, Kurzarbeit und die Unterstützung ukrainischer Kolleg*innen wurden organisiert.
Darüber hinaus prägten zahlreiche Tarifauseinandersetzungen und Streiks den Zeitraum des Berichts. Besonders hob Kloiber auch das zunehmend feindliche Klima für Medienschaffende und insbesondere Journalist*innen hervor. Die Fachgruppe und ver.di insgesamt seien aber wehrhaft und verteidigten eine freie Presse, den freien Rundfunk und damit einen Grundpfeiler der Demokratie. Auch die Ereignisse in den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten thematisierte Kloiber. Sie seien in tarifpolitischer Hinsicht, aber auch was Transparenz, Mitbestimmung und Gremienarbeit anginge wichtig für die Arbeit der Fachgruppe gewesen und werden es auch künftig bleiben.
Zeit für Kapitalismuskritik
Auch der virtuell zugeschaltete Bundesfachbereichsleiter Christoph Schmitz betonte in seiner Rede die Haltung der Gewerkschaft in Krisenzeiten: „Die DGB-Vorsitzende Yasmin Fahimi sagte zum Jahreswechsel, dass jetzt nicht die Zeit für Kapitalismuskritik sei. Das sehe ich anders.“ Weil sich gerade in Krisenzeiten die Schere zwischen arm und reich immer mehr öffne, müsse es das gewerkschaftliche Ziel sein, dagegenzuhalten. Auch gegen das rauer werdende Klima für unabhängigen Journalismus gelte es zu handeln. Schmitz sagte, er wünsche sich vor allem mehr Durchbrüche in Tarifverhandlungen. Dort habe es zuletzt auch immer wieder Erfolge gegeben, wie beispielsweise beim Berliner „Tagesspiegel“ oder beim Organizing in start-ups.
Vielfalt und Unabhängigkeit der Medien stärken
Mit dem Leitantrag der Konferenz „Vielfalt und Unabhängigkeit der Medien stärken – für eine demokratische Gesellschaft“ beschlossen die Delegierten einen wegweisenden Antrag für das digitale Zeitalter. Darin heißt es: „Nur freie, unabhängige und vielfältige Medien können ihrem demokratischen Auftrag gerecht werden. Nur wo Meinungs- und Medienvielfalt garantiert sind, Medienschaffende zu Bedingungen arbeiten, die ihre Unabhängigkeit sicherstellen, und alle Bürger*innen gleichermaßen fairen Zugang zu Medien haben, kann eine lebendige Demokratie funktionieren. Eine gewerkschaftlich gestaltete Medienpolitik setzt sich für diese Ziele ein.“ Der Antrag beinhaltet die Forderung den Öffentlich-rechtlichen Rundfunk zukunftsfest zu machen, indem Gremien gestärkt und der Programmauftrag verteidigt werden. Ebenso soll die Pressefreiheit nach innen und außen verteidigt werden, Journalist*innen in ihrer Arbeit geschützt und die publizistische Vielfalt gewahrt werden. Auch das Thema Urheberrecht spielt im Copy-und-paste-Zeitalter eine wichtige Rolle für journalistische Inhalte. Das Urheberrecht sei das Arbeitsrecht der Kreativen und verlange nach besonderem Schutz.
Dass zur Vielfalt auch die Diversität der Medienproduzent*innen selbst gehört, machten einige Teilnehmerinnen in der Antragsdebatte deutlich. Es sei nicht nachvollziehbar, weshalb Diversität in den Redaktionen und eine diskriminierungskritische Berichterstattung im Antrag fehlten. Gerade in einem Einwanderungsland wie Deutschland spiele die migrantische und postmigrantische Gesellschaft in der Medienlandschaft eine wichtige Rolle und dürfe auch im medienpolitischen Leitantrag der Gewerkschaft nicht fehlen. Ein Passus dazu wird vom Bundesfachgruppenvorstand nun nachträglich in den Antrag eingefügt, der dann über die Konferenz des gesamten neuen Fachbereichs „Finanzdienste, Kommunikation und Technologie, Kultur, Ver- und Entsorgung“ auf den Weg zum Gewerkschaftskongress gebracht werden soll.
Erhalt des Medienmagazins
Eine heftige Debatte gab es um die Zukunft von „M Menschen Machen Medien“. Das Medienmagazin ist die medienpolitische Publikation von ver.di. Als tagesaktuelles Onlinemagazin und als vierteljährlich erscheinende Print-Ausgabe der Fachgruppe „Medien, Journalismus und Film“ mit Hintergrundinformationen, erreicht es ein Fachpublikum über die Gewerkschaft hinaus. Ab Oktober dieses Jahres muss es für die gegenwärtige Chefredakteurin eine Nachfolge geben. Diese ist jedoch noch weitgehend unklar. Die Verantwortung dafür obliegt dem Fachbereich, in dem die Medien-Fachgruppe beheimatet ist. In der Diskussion mit Christoph Schmitz auf der Konferenz wurde nachdrücklich für M plädiert. Das neu entwickelte hybride Konzept von M Online und dem gedruckten Magazin habe sich bewährt, hieß es. Auch Christoph Schmitz unterstrich den Stellenwert der Publikation und sagte: „Für mich stand das Magazin nie zur Disposition.“ Über die Finanzierung müsse aber weiter, auch mit den anderen Fachgruppen, beraten werden. In den dazu verabschiedeten Anträgen wird eine kontinuierliche Weiterführung gefordert: „M muss auch in Zukunft im eigenen Haus von journalistischen Mitarbeiter*innen erstellt werden, insbesondere in Bezug auf die Stelle der Chefredaktion“, heißt es unter anderem.
Blick über den Tellerrand
Als Gast sprach die neue Präsidentin der European Federation of Journalists (EFJ), die kroatische Journalistin Maja Sever auf der Konferenz. Die EFJ ist die größte Organisation von Journalist*innen in Europa und vertritt über 320.000 Kolleg*innen in 73 Journalistenorganisationen in 45 Ländern. Sever verdeutlichte die wichtige europäische und internationale Zusammenarbeit. Sie stellte Programme der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit und entsprechende Förderungen vor. Auf europäischer Ebene hob sie insbesondere den Kampf gegen sogenannte SLAPP-Klagen „Strategic Lawsuits against Public Participation” hervor. Mit diesen strategischen Klagen gegen öffentliche Beteiligung wird eine rechtsmissbräuchliche Form von Klagen bezeichnet, mit denen Medien eingeschüchtert und ihre Kritik aus der Öffentlichkeit verbannt werden soll. Die EFJ, in der auch die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di Mitglied ist, fordern von der EU wirksame Maßnahmen gegen diese SLAPP-Praxis, darunter einen EU-Hilfsfonds sowie eine EU-Gesetzgebung, die missbräuchliche Klagen erheblich sanktioniert.
Resolution für Belarus
Die Bundesfachgruppenkonferenz erklärte sich in einer Resolution solidarisch mit den verfolgten und inhaftierten Kolleginnen und Kollegen in Belarus. „Wir schließen uns der Forderung der European Federation of Journalists (EFJ) an und fordern die sofortige Freilassung des belarussischen Journalisten Andrzej Poczobut, der seit 2021 im Gefängnis sitzt.“ Derzeit sind in Belarus 33 Medienvertreter*innen inhaftiert.
Resolution: Gegen den Kahlschlag bei Gruner+Jahr
Gemeinsam mit der Bundesfachgruppenkonferenz „Druck, Verlage, Papier und Industrie“ verurteilte auch die Bundesfachgruppenkonferenz „Medien, Journalismus und Film“ die Zerschlagung des Verlags und die Kündigung von Beschäftigten in dem europaweit anerkannten Zeitschriftenverlag RTL, ehemals Gruner+Jahr, und erklärte sich solidarisch mit den Kolleg*innen, die um den Erhalt ihrer Arbeitsplätze kämpfen.
Wahlen in der Fachgruppe
Die Teilnehmer*innen der Konferenz wählten den Bundesfachgruppenvorstand, Vertreter*innen der Fachgruppe für die Vorstände des Bundesfachbereiches und der Frauen im Bundesfachbereich sowie Delegierte für die Bundesfachbereichskonferenz. In ihrer ersten konstituierenden Sitzung bestätigte der Bundesfachgruppenvorstand „Medien, Journalismus und Film“ erstmals auch den Vorschlag der Konferenz für die Mitglieder des neuen dju-Bundesvorstandes.
Der neue Bundesfachgruppenvorstand „Medien, Journalismus und Film“
(v.l.n.r.) Alexandra Roth (Fotografin), Manfred Kloiber (Deutschlandradio), Peter Freitag (Rheinische Redaktionsgemeinschaft), Eun Hi Yi (Selbstständige), Lars Hansen (Funke Mediengruppe), Renate Gensch (Selbstständige), Franz Kotteder (Süddeutsche Zeitung), Carmen Salas (Selbstständige), Dustin Pilz (ZDF), Joachim Kreibich (Reutlinger Generalanzeiger), Marco Puschner (Verlag Nürnberger Presse), Ayse Tekin (Seniorin), Johann Stephanowitz (Zeit Online), Nicole Birkholz (Filmschaffende), Andrea Valentiner-Branth (SWR), Melanie Thielebein (CinemaxX)
In seiner konstituierenden Sitzung wurden Manfred Kloiber zum Vorsitzenden, Carmen Salas und Peter Freitag zu den Stellvertreter*innen der Bundesfachgruppe „Medien, Journalismus und Film“ gewählt.
Der neue Bundesvorstand der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di
Alexandra Roth (Fotografin), Johann Stephanowitz (Zeit Online, Jugend), Lars Hansen (Funke Mediengruppe), Peter Freitag (Rheinische Redaktionsgemeinschaft), Tina Groll (Zeit-Online), Jan-Marcus Holz (MDR), Renate Gensch (Selbstständige), Annette Rose (Selbstständige) (v.l.n.r.)
In den Vorstand wurden auch Alina Leimbach (Selbstständige, taz) und Michael Trauthig (Stuttgarter Zeitung) gewählt. Sie konnten leider nicht an der Konferenz teilnehmen. Der Bundesvorstand der dju wird seine Vorsitzenden erst in seiner konstituierenden Sitzung wählen.
Diskussionsfreudig