Astrologie und Punkrock

Liv Strömquist/avant-verlag

Die Schwedin Liv Strömquist ist eine der einflussreichsten Comiczeichnerinnen. Die Graphic Novel „Der Ursprung der Welt“ über die Kulturgeschichte der Vulva gilt manchen als moderner feministischer Klassiker. Ihr neues Buch handelt von Astrologie: Strömquist macht sich darin ausgiebig über die Eigenheiten der Sternzeichen lustig. Im Interview mit M erzählt sie, wie sie zu diesem Thema gefunden hat, wie Punk, Underground-Comics und ihr Studium ihren Stil geprägt haben und welche Frage sie in Interviews heute nicht mehr hört.

In ihren Comics nimmt sich Liv Strömquist aus feministischer Perspektive und mit viel schrägem Humor die grundlegenden Themen unserer Gesellschaft vor: Sie erforscht Schönheitsideale im Zeitalter sozialer Medien („Im Spiegelsaal“), die Ursachen stereotyper Geschlechterrollen („Der Ursprung der Liebe“) und den verklemmten Umgang der westlichen Kultur mit der Vulva („Der Ursprung der Welt“). Dabei setzt sie auf viel Theorie, aber auch auf antike Philosophie, berühmte Sagen und jede Menge Popkultur. 

Weniger kritisch geht es zumindest vordergründig in ihrem neuen Buch zu: „Liv Strömquists Astrologie“ handelt von den Eigenarten der Sternzeichen, erzählt am Beispiel berühmter Personen. So lernen wir den lüsternen Skorpion King Charles kennen, den schwatzhaften Zwilling Donald Trump und den hartnäckigen Widder Jane Goodall. Zugleich versucht Strömquist zu erklären, warum Menschen sich überhaupt für Horoskope interessieren, und lässt dafür unter anderem Adorno zu Wort kommen. 

Im Vergleich zu Deinen bisherigen Büchern wirkt das Thema Astrologie überraschend unpolitisch. Warum hast Du Dich entschieden, dieses Buch zu machen?  

Ich denke schon, dass es manche Stellen in dem Buch gibt, die sich als politische Kritik lesen lassen. Anfangs war das Thema nur ein Nebenprojekt. Bei meinen Auftritten habe ich als Abwechslung immer mal Comics über Astrologie eingebaut, das Publikum fand das sehr lustig. Dann habe ich angefangen, kleine Skizzen zu machen und sie bei Instagram veröffentlicht. Den Leuten hat das gut gefallen und ich wurde immer wieder gefragt, warum ich kein Buch über Astrologie mache. Es gab bisher wohl kein Thema, um das ich häufiger gebeten wurde. Also habe ich das Buch gemacht. Es soll ein lustiges Geschenk sein für Leute, die Horoskope unterhaltsam finden. Abgesehen von diesen Menschen hat mir aber fast jeder von dem Buch abgeraten. Meine Verleger, alle meine Freunde meinten: Mach das bloß nicht!

Diese kritischen Stimmen gibt es auch im Buch, zum Beispiel Deine Schwiegermutter, die Astrologie mit Faschismus vergleicht.

Nachdem ich eigentlich schon fertig war, konnte ich es nicht mehr so richtig verantworten, ein unkommentiertes Astrologiebuch zu machen. Deswegen habe ich das letzte Kapitel ergänzt, es ist eine kritische Analyse der Astrologie. Mir war wichtig, dass man sich nicht nur in dem Thema verliert, sondern es auch aus nüchterner Distanz betrachten kann.

Liv Strömquist Foto: Maja Fink

Du hast einen sehr eigenen Stil, in Deinen Comics arbeitest Du mit viel Text. Wie hast Du diesen Stil entwickelt? 

Ein großer Einfluss war für mich die dritte Welle des Feminismus, die feministische Punk-Bewegung. Ich war ein großer Fan von Bands der Riot-Grrrl-Bewegung in den 1990er-Jahren wie Bikini Kill. Ich hatte gehört, dass deren Frontfrau Kathleen Hanna ein Fanzine herausgibt. Mich hat die ganze Einstellung dieser Band inspiriert, bei der es mehr darum ging, was die Frauen zu sagen hatten und weniger darum, ein Instrument perfekt zu spielen. Nicht so stark auf Perfektion zu achten, auch mal eine unvollkommene Zeichnung zu machen, diese Haltung ist wichtig für mich. Ich habe dann angefangen, mein eigenes Fanzine zu machen. Zu dieser Zeit habe ich Politikwissenschaft, Soziologie und Philosophie studiert. Für die Uni habe ich Essays geschrieben, für die ich recherchiert und mit Fußnoten gearbeitet habe. 

Wissenschaftliche Texte und Fußnoten spielen auch in Deinen Comics eine wichtige Rolle. 

An der Universität habe ich gelernt, dass man Fußnoten einfügen, dass man immer angeben muss, welche Quelle man benutzt hat. So ist diese Mischung entstanden. Ein weiterer wichtiger Einfluss für mich waren Underground-Comics, die zu dieser Zeit oft autobiografisch waren. Ich mochte diese Comics sehr, aber für mich war das nichts, ich fand es peinlich, autobiografisch zu arbeiten. Also hatten meine Comics einen ähnlichen Ansatz wie meine Essays, die ich für die Uni schrieb. Meine Themen haben immer einen persönlichen Hintergrund, aber ich nutze in meinen Büchern lieber bestimmte Charaktere oder Promis, um über diese Themen zu sprechen. 

Du bist von der alternativen Comicszene beeinflusst, aber im Mainstream war es lange so, dass Comics vor allem für Männer und Jungs gemacht wurden – Stichwort Superhelden. Das hat sich mittlerweile stark verändert. Wie hast Du diesen Wandel in der Comicbranche erlebt? 

Ja, das stimmt. Als ich anfing, Comics zu machen, gab es nur sehr wenige Frauen in diesem Bereich. Ich glaube, es war einer der letzten Orte, zu denen Frauen kaum Zugang hatten. Ich weiß nicht, wie es in Deutschland ist, aber so wie ich es als Teenager erlebt habe, war im Grunde alles, was Spaß macht, eine Sache für Jungs – also Comics machen oder Skaten oder Gitarre spielen. Ich habe das Gefühl, das hat sich wirklich verändert, auch in der Comicbranche. Wenn ich früher auf Comicfestivals eingeladen war, war ich die einzige Künstlerin zwischen etwa 20 Künstlern. Das kommt heute nicht mehr vor. Früher wurde ich oft gefragt, wie es sich anfühlt, eine weibliche Comiczeichnerin in einer von Männern dominierten Welt zu sein. In den letzten zwei Jahren hat mir niemand diese Frage gestellt. Ich denke, das ist ein gutes Zeichen. 

Liv Strömquists Astrologie, avant-verlag, März 2023, ISBN: 978-3-96445-094-4, 176 Seiten, Softcover, 22 Euro

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Nicaraguas bedrohte Medien

Die Diktatur des nicaraguanischen Präsidentenpaars Daniel Ortega und Rocio Murillo hat in den letzten Jahren immer mehr Journalist*innen ins Exil getrieben. Unter erschwerten Bedingungen berichten Menschen wie Lucía Pineda vom Nachrichtenkanal "100% Noticias" oder Wendy Quintero nun aus dem Ausland. Für diese Arbeit nehmen sie stellvertretend für viele andere am 26. November 2024 den Menschenrechtspreis der Friedrich-Ebert-Stiftung entgegen.
mehr »

Österreich: Gefahr für die Pressefreiheit

In Österreich ist die extrem rechte FPÖ bei den Nationalratswahlen stärkste Kraft geworden. Noch ist keine zukünftige Koalition etabliert. Luis Paulitsch erklärt im Interview, welche Entwicklungen in der österreichischen Medienlandschaft zu erwarten sind, sollten die FPÖ und ihr Spitzenkandidat Herbert Kickl an der Regierung beteiligt werden. Paulitsch ist Jurist, Zeithistoriker und Medienethiker. Von 2019 bis 2024 war er Referent des Österreichischen Presserats, dem Selbstkontrollorgan der österreichischen Printmedien;  seit 2024 bei der Datum Stiftung für Journalismus und Demokratie.
mehr »

KI beinflusst Vielfalt in den Medien

Künstliche Intelligenz kann journalistische Texte in verschiedene Sprachen übersetzen und damit viel mehr Nutzer*innen ansprechen. Gleichzeitig kann sie aber auch Stereotype, die in diesen Texten enthalten sind, verfestigen. Gefahren und Chancen von KI-Anwendungen im Journalismus standen im Fokus der diesjährigen NxMedienkonferenz der Neuen deutschen Medienmacher*innen (NdM), die sich für mehr Vielfalt in den Medien einsetzen.
mehr »

ARD & ZDF legen Verfassungsbeschwerde ein

Nachdem die Ministerpräsident*innen auf ihrer Jahreskonferenz Ende Oktober keinen Beschluss zur Anpassung des Rundfunkbeitrags ab 2025 fassten, haben heute ARD und ZDF Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe eingelegt. Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di begrüßt die Initiative.
mehr »