Die Hängepartie um Finanzierung und Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks (ÖRR) geht weiter. Nach wie vor sträuben sich ein halbes Dutzend Ministerpräsidenten, der Empfehlung der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) für eine Beitragserhöhung um 58 Cent auf 18,94 Euro zu folgen. Bis Oktober wollen die Länder einen Reformstaatsvertrag vorlegen, um künftig über Sparmaßnahmen Beitragsstabilität zu erreichen. Einzelne ARD-Sender streichen bereits jetzt schon ihre Hörfunkprogramme zusammen.
Mit Rücksicht auf drei Landtagswahlen im September (Sachsen, Thüringen, Brandenburg) ist die Rundfunkkommission der Länder bemüht, die Brisanz der Debatte zu drosseln. Der angepeilte Reformstaatsvertrag soll als Dach über die fünf existierenden Staatsverträge gespannt werden.
Das sind: der Rundfunkfinanzierungsstaatsvertrag, der ARD-, ZDF- und Deutschlandradio-Staatsvertrag sowie der Medienstaatsvertrag, der den gesamten Rundfunk in Deutschland regelt. Laut epd erwägt die Kommission neuerdings, vom Einstimmigkeitsprinzip im Ratifizierungsverfahren abzuweichen. Das Veto eines einzelnen Bundeslandes (wie 2020 durch Sachsen-Anhalt) würde dann nicht mehr ausreichen, um die KEF-Beitragsempfehlung zu Fall zu bringen.
Non-linear statt analog
Mit teilweise drastischen Sparvorschlägen und reduzierten Programmaufträgen will die Rundfunkkommission zudem die opponierenden Länderfürsten gefügig stimmen. Bereits auf einer Klausurtagung Anfang des Jahres hatte sie die Anstalten gedrängt, die non-lineare Mediennutzung deutlich stärker zu gewichten. Damals hieß es: „Die Anstalten müssen die Möglichkeiten der Flexibilisierung des Dritten Medienänderungsstaatsvertrags nutzen“, wozu die Zusammenlegung und Streichung linearer Spartenkanäle sowie die Überprüfung der Hörfunk- und Online-Angebote gehörten.
Nachdem die ARD ihre Ankündigung, bis Ende 2023 einen ihrer Spartenkanäle einzustellen, nicht einlöste, will die Kommission jetzt wohl Taten folgen lassen. Zur Disposition stehen bei der ARD möglicherweise ARD One und ARD alpha, beim ZDF die Kanäle ZDFinfo oder ZDFneo. Auch der Verbleib von Tagesschau24 (ARD) oder Phoenix (ARD und ZDF) ist nicht unumstritten.
Auf der wesentlich radikaleren Wunschliste Bayerns (niedergelegt in einer Protokollerklärung vom Januar) steht eine Verminderung der Spartenprogramme von zehn auf fünf, unter anderem durch die Zusammenlegung von arte und 3sat, außerdem die „Einsparung von „mindestens 14“ der aktuell 72 Hörfunkprogramme der Öffentlich-Rechtlichen. Dies könne auch durch die „Eingliederung von kleinen Anstalten in Mehrländeranstalten“ geschehen. Den Saarländischen Rundfunk (SR) und Radio Bremen hält die CSU für verzichtbar.
Ausdünnung der Radiolandschaft
Dass der Südwestrundfunk den SR oder der Norddeutsche Rundfunk den Kleinstsender Radio Bremen schluckt, erscheint unwahrscheinlich. Zu massiv wirken die Standortinteressen der beteiligten Länder. Anders sieht es in der Frage einer Ausdünnung der Radiolandschaft aus. „Wir werden die Hörfunkprogramme reduzieren“, kündigte Heike Raab, rheinland-pfälzische Medienstaatssekretärin und Koordinatorin der Rundfunkkommission schon mal an.
Wesentlich konkreter klingen da die Beschlüsse, die der Hessische Rundfunk Mitte Juni bei der Verkündung seiner neuen Radiostrategie skizzierte. Hauptziel sei, „Ressourcen für digitale Produkte und für mehr Dialogangebote zu generieren“. Die angepeilte „Fokussierung der Radioangebote“ läuft auf eine Konzentration der Ressourcen auf die reichweitenstarken Frühprogramme von HR 1 und HR 4 hinaus – am Abend soll verstärkt mit dem SWR kooperiert werden. Auch bei HR 2 Kultur liegt der Fokus auf der Frühsendung, gefolgt von einem Klassik-Musikprogramm „ohne originären Content“. Gleichzeitig sollen Wortformate zweitverwertet und die aktuelle Kulturberichterstattung zu HR-info verlagert werden. Einzig die Popwelle HR 3 bleibt von Sparbeschlüssen verschont.
Aufhorchen lässt die Aussage zur hauseigenen Jugendwelle: „You FM kooperiert entweder mit anderen jungen ARD-Programmen oder es wird zu deutlich reduzierten Kosten eigenständig weitergeführt.“ Ein klares Bekenntnis zu einem eigenständigen Kanal klingt anders. Für „nicht nachvollziehbar“ hält es Gewerkschaftssekretärin Anja Willmann, „dass ausgerechnet die Hörfunkprogramme ausgeblutet werden sollen“. Nach dem aktuellen Umbauszenario des HR sollen ab 2028 von derzeit sechs Wellen nur noch drei Vollprogramme mit eigenproduzierten Inhalten übrigbleiben. Bei einer solchen Ausdünnung des Angebots, so Willmann, sei „mit weiterem Akzeptanzverlust des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu rechnen“.
In einem Offenen Brief an den Intendanten Florian Hager kritisieren Beschäftigte Mitte Juli die sogenannte „Radiostrategie“ und deren mediale Kommunikation durch den HR. Über 270 Mitarbeitende der verschiedenen HR-Gewerken hatten unterzeichnet.
Kooperationen bei Hörfunkwellen
Dass die ARD verstärkt auf Kooperationen bei den Hörfunkwellen setzt, erscheint auf den ersten Blick vernünftig. Programminhalte, die nicht unbedingt einen stark regional geprägten Charakter haben, so die Begründung, müssen nicht mehr mehrfach produziert, sondern können von verschiedenen Anstalten geteilt werden. Und zwar vor allem in den Abendstunden, wenn die Radionutzung stark nachlässt. Ein Prinzip, das sich in Form etwa der ARD-Pop-Nacht oder der ARD-Info-Nacht seit Jahrzehnten bewährt hat.
Jetzt wird dieses Prinzip nach jüngsten Beschlüssen der ARD-Intendant*innen auch auf einzelne Landeswellen übertragen. Für Landeswellen wie SWR 1, HR 1 NDR 1 und Bremen 1 soll es zwei Optionen geben. Eine live moderierte Abendsendung mit Mainstream-orientierter Musik wird der MDR künftig von 20 bis 23 Uhr anbieten. Sie wird jeweils vor der ARD-Hit-Nacht ausgestrahlt, die ebenfalls vom MDR kommt. Die zweite Option wird SWR 1 von 20 bis 24 Uhr anbieten – geplant sind vielfältige musikjournalistische Formate mit Specials zu Rock, Country, Soul oder auch deutscher Musik. Ein Format, das es von SWR 1 Baden-Württemberg bereits gibt.
Logischerweise gehen diese Maßnahmen auf Kosten der regionalen Vielfalt. Im Zweifel merkt das Publikum gar nicht, dass die eigentliche Sendung gar nicht mehr von „seiner“ Landesrundfunkanstalt kommt. Eigenständige Abendprogramme für Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz gibt es von SWR 1 künftig nicht mehr. Auch die eigenständige Nachtschiene von SWR 1 wird eingestellt und durch die ARD-Hitnacht ersetzt, die auch von HR 1 und Bremen Eins künftig übernommen wird. Geplanter Starttermin der gemeinsamen Abendprogramme der Landessender ist das zweite Quartal 2025.
Konflikt um Urheberrechte
Für Hunderte von freien Autor*innen bedeuten diese „Reformen“ nichts Gutes. Ihr Auftragsvolumen dürfte drastisch sinken. Zudem kündigen sich massive urheberrechtliche Konflikte an, wenn Beiträge künftig von den Anstalten republikweit verwertet werden. Wieso die Abrissbirne bei den Öffentlich-Rechtlichen zuerst bei den Radioprogrammen ansetzt, ist auch nicht so recht einsichtig. Einsparungen beim Hörfunk fallen im Gesamtetat der ARD nicht sonderlich ins Gewicht. Laut jüngstem KEF-Bericht lagen die Produktionskosten einer Sendeminute beim ARD-Hörfunk 2022 im Schnitt bei 55 Euro, die Minutenpreise beim Fernsehen dagegen bei knapp 5.800 Euro.
Dass auch beim Hörspiel, der einzigen genuinen Kunstform, die das Radio hervorgebracht hat, gespart werden soll, wirft ein trübes Licht auf die Senderverantwortlichen. Immerhin ist das Hörspiel in der ARD-Audiothek das erfolgreichste aller Genres. Da die Transformation ins Digitale aus den laufenden Etats der Anstalten bezahlt werden muss, wird die Zahl der Neuproduktionen schrumpfen.
Hörspielförderung in Gefahr
Mit einem weiteren Offenen Brief protestierten außerdem am 1. Juli mehr als 670 Hörspielmacher*innen für den Erhalt der kurzfristig eingestellten Hörspielförderung durch die Film- und Medienstiftung NRW. Die Entscheidung, die besehende erfolgreiche Förderung ausgerechnet im Jubiläumsjahr „100 Jahre Hörspiel“ „faktisch auf Eis“ zu legen, zeuge von „Unwissen und Ignoranz gegenüber einer Kunstform, die sich durch ihre einzigartige Fähigkeit auszeichnet, mit minimalem Aufwand schnell auf gesellschaftliche und politische Veränderungen unmittelbar zu reagieren“.