„Wie ich mir meinen Platz in der Fernsehhölle verdient habe“: Der Titel verspricht nicht zu viel. Autor Kai Tilgen hat einst als Kabelhilfe angefangen und ist heute Regisseur bei TV-Formaten wie „Deutschland sucht den Superstar“ („DSDS“), „The Biggest Loser“ oder bei „Reality“-Reihen am Nachmittag. Sein Buch ist als unverblümte Beschreibung vor allem eine Abrechnung mit dilettantischen Produktionsbedingungen und dem alltäglichen Zynismus der Branche. Doch sei für ihn als Geschichtenerzähler alles „Teil der künstlerischen Mischkalkulation“.
Das „unterhaltende Sachbuch“, wie Tilgen sein Werk völlig zu Recht beschreibt, ist die perfekte Lektüre für gleich mehrere Zielgruppen: Den treuen Fans von „DSDS“ bietet er desillusionierende Blicke hinter die Kulissen; und Zuschauer_innen, die von solchen Formaten gar nichts halten, aber trotzdem immer wieder mal hängenbleiben, erfahren, warum das deutsche (Privat-)Fernsehen so ist, wie es ist. Dringend empfohlen sei das Buch außerdem jungen Menschen, die beruflich „irgendwas mit Medien“ machen wollen. Es hat durchaus seine Berechtigung, wenn der Regisseur schreibt, er stehe „auf der dunklen Seite der Macht“. Schonungslos, aber ohne Reue schildert er, wie er „DSDS“-Teilnehmer_innen vor ihrem Auftritt manipuliert hat, so dass Kandidat_innen, die sich ihrer stimmlichen Limitiertheit sehr wohl bewusst waren, vor laufender Kamera plötzlich größenwahnsinnig wirkten. Eine von Tilgens gemeinsten Taten war die „Pissfleck“-Affäre. Sie gilt in der Branche als warnendes Beispiel, wenn auch nicht aus moralischen Gründen; RTL musste damals eine empfindliche Strafe zahlen. Genau diese Bekenntnisse eines „Fernsehfuzzis“ (wie Tilgen sich und seinesgleichen tituliert) sind es jedoch, die seine Erzählungen in den Status eines Enthüllungswerks heben. Der Hinweis auf Günter Wallraffs berühmtes „Bild“-Buch „Der Aufmacher“ hat durchaus seine Berechtigung – mit dem kleinen Unterschied, dass Tilgen seiner Arbeit mit großer Freude nachgeht.
Natürlich sind die Memoiren auch eine wahre Fundgrube an Anekdoten, die nicht alle lustig sind; einige sind sogar ausgesprochen desavouierend. Der Wert des Buches liegt jedoch nicht im Begleichen alter Rechnungen, sondern in der unverblümten Beschreibung des Produktionsalltags. Eigentlich erstaunlich, dass Tilgen noch Spaß an seiner Arbeit hat, denn den gelegentlichen Erlebnissen größter Befriedigung stehen offenbar viele frustrierende Mühen der Ebene gegenüber; erst recht, wenn Realisator und Kameramann/frau die einzigen sind, die über mehr als zwei Monate Berufserfahrung verfügen.
Nicht nur wegen solchen Insider-Wissens ist das Buch Medienkritik mit anderen Mitteln. Ursprünglich wollte Tilgen Filmregisseur werden, aber er wurde an keiner Filmhochschule angenommen. Freimütig schließt er von sich auf andere: „Alle, die beim Fernsehen sind, sind ja nicht gut genug für den Film.“ Der dennoch hohe Anteil schlechter Filme mache erst so richtig klar, „wie schrecklich schlecht das Fernsehen ist“. Wie fast alle freien Fernsehmitarbeiter_innen pflegt er zudem das Klischee, gerade in den behördenähnlich geführten Sendern säßen ausschließlich Menschen, die völlig unqualifiziert für ihren Job seien. Dass die meisten Redakteur_innen keine innovativen Ansätze zuließen und lieber an bewährten Lösungen festhielten – „Die Leute wollen das so“ -, ist dagegen ein Vorwurf, der sich anhand des Regelprogramms rund um die Uhr bestätigen lässt. Nach der Lektüre von Tilgens Buch ist auch klar, warum es so wenig gute Unterhaltung im Fernsehen gibt: weil die Verantwortlichen offenbar meistens schlechte Laune haben.
Kai Tilgen: Wie ich mir meinen Platz in der Fernsehhölle verdient habe, Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag, Berlin 2018, 240 Seiten, 12,99 Euro, ISBN 978-3-86265-701-8