Buchtipp: Feministische Politik für das Internet

Politische Bewegungen wie der Arabische Frühling oder Kampagnen gegen sexualisierte Gewalt wie #metoo verdeutlichen das demokratische Potential des Internets. Doch strukturell schreibt das Netz Ungleichheit und Diskriminierungen der analogen Welt im Digitalen fort, kritisiert Francesca Schmidt in ihrer feministischen Einführung in die Netzpolitik. Mit Blick auf digitale Gewalt wie Hassrede und Überwachungen à la Alexa lotet sie verschiedene Regulierungsmöglichkeiten aus und gibt wichtige Impulse für die aktuelle Netzpolitik.

Netzpolitik. Eine feministische Einführung. Verlag Barbara Budrich, Opladen

Nach Schmidt, Referentin für Feministische Netzpolitik bei der Heinrich-Böll-Stiftung, ist das Internet nicht neutral, sondern verstärkt durch seine Codierungen die in der realen Welt bestehenden Geschlechterungerechtigkeiten, rassistischen Stigmatisierungen und sozialen Ausgrenzungen. Diese Erkenntnis geht zurück auf Cyberfeministinnen wie Donna Haraway, die bereits Anfang der 1990er Jahre die Vision einer Netzkommunikation jenseits von dualistischen Zuschreibungen – etwa nach Geschlecht – und patriarchalen Herrschaftsverhältnissen entwickelten.

Doch davon ist die Realität des Internets heute weit entfernt, stellt Schmidt fest, wenn sie die Zugänge, Inhalte und den Kampf von Zivilgesellschaft, Staat und Wirtschaft um die Beherrschung des Netzes aus einer feministischen Perspektive analysiert. Ihre Sicht ist zugleich eine intersektionale, die außer Geschlecht auch andere Unterscheidungen, wie etwa soziale Herkunft, in den Blick nimmt. Frauen nutzen das Internet immer noch seltener als Männer – etwa weil sie durch Doppelbelastung weniger Zeit haben oder im Netz eher von Hassreden oder Cybermobbing betroffen sind. Um zu sichern, dass alle Daten gleichermaßen übermittelt werden, sei es wichtig, die Netzneutralität vor Internet-Service-Providern zu schützen, die für schnellere und unbegrenzte Erreichbarkeit ihrer Inhalte Geld verlangen und somit Einkommensschwächere benachteiligen. Schmidt fordert, dass Netzinhalte für alle abrufbar sein müssten und man sie deshalb am besten „der Macht- und Verwertungslogik entziehen“ sollte.

Seit den 2000er Jahren gebe der Markt den Ton an und „große Internetkonzerne füllen das regulatorische Vakuum, das die Politik hinterlässt“, so die Autorin, die im folgenden zweiten Teil ihres Buches zeigt, wie dem mit Regulierungen zugunsten der Zivilgesellschaft Einhalt geboten werden könnte. Digitale Gewalt von Hassreden bis zu Vergewaltigungs- und Morddrohungen haben zugenommen genauso wie die strukturelle Diskriminierung von Frauen, People of Color oder LGBTQA-Menschen.

Selbstregulierung könne keine wirksame Gegenstrategie sein, wenn Plattformen wie Facebook mit kommerziellen Interessen und auch gemeinnützige Communities wie Wikipedia, deren Autor*innen zu 90 Prozent gut gebildete weiße Männer aus der Mittelschicht sind, nach „patriarchal-heteronormativen Werten“ entscheiden, ob Inhalte als „anstößig“ gelöscht oder als „relevant“ veröffentlicht werden. Die staatliche Regulierung mittels Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) reiche nicht und sei aus „feministischer Sicht kritisch zu bewerten“, da die Rechtsdurchsetzung privatisiert und einer “marktwirtschaftlichen Logik“ überlassen werde. Schmidt plädiert deshalb zusätzlich für ein Verbandsklagerecht und die Möglichkeit von Sammelklagen, die in Deutschland noch nicht zugelassen sind, Betroffenen von digitaler Gewalt aber den Rechtsweg erleichtern würden.

Durch Überwachung von Racial Profiling bis zu kommerziellen Sprachassistenzsystemen wie Alexa und Co unterhöhlten Staat und private Unternehmen das „Recht auf Privatheit und informationelle Selbstbestimmung“. Sie sammeln persönliche Daten und verwenden sie in unterschiedlichen Kontexten, sodass sie „unser aller Leben beeinflussen können“, etwa: „Wie viel wird die Krankenversicherung zukünftig kosten, wenn sie weiß, wie oft ich als ungesund eingestufte Lebensmittel im Internet kaufe?“ Algorithmen, die solche Zusammenhänge herstellen, sollten transparent und ethisch angemessen sein. Das könne in einem „Antidiskriminierungsrecht für Algorithmen“ geregelt werden.

Francesca Schmidt bezieht Position und liefert aus feministischer Perspektive zahlreiche Informationen mit umfangreichen Quellennachweisen. Damit gibt sie viele Anregungen für medienpolitisch Interessierte, die darüber nachdenken, wie eine Politik für das Internet im Interesse einer demokratischen und inklusiven Gesellschaft gestaltet werden kann.

Francesca Schmidt: Netzpolitik. Eine feministische Einführung. Verlag Barbara Budrich, Opladen, Berlin, Toronto 2021, 188 Seiten, 18,90 Euro, ISBN: 978-3-8474-2216-7

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