Es hat eine Weile gedauert, aber endlich gibt es auch deutsche Serien von internationaler Qualität. Medienlandschaft und Serienproduktion haben sich in den letzten Jahren stark verändert. Deshalb haben die Autoren von „Bleiben Sie dran!“, einem Standardwerk über Serien, ihr Buch komplett überarbeitet. Am Handwerkszeug hat sich nicht viel geändert, aber die ausführlich analysierten Fallbeispiele beziehen sich auf Produktionen der letzten Jahre. Sie stammen aus „Mord mit Aussicht“, „Weissensee“ (beide ARD) und „Der Lehrer“ (RTL) sowie den US-Importen „Grey’s Anatomy“ und „The Walking Dead“.
Das Buch richtet sich zwar in erster Linie an Menschen, die selbst im Seriengeschäft tätig sind, ist aber so verfasst, dass auch der interessierte Laie große Freude an den Ausführungen hat; außerdem gilt all’ das, was Gunther Eschke und Rudolf Bohne über Dramaturgie und Figurenzeichnung schreiben, natürlich auch für Spielfilme. Allerdings macht die Lektüre doppelt so viel Spaß, wenn man die entsprechenden Serien gut kennt.
Früher, schreibt der einstige NDR-Serienchef Bernhard Gleim in seinem Vorwort, seien die Markenzeichen deutscher Serien „langsame Erzählweise, eindimensionale Heldenfiguren, unterkomplexes Erzählen“ gewesen. Serienmacher hätten in zwei Welten gelebt: „Während sie tagsüber das deutsche Serienschwarzbrot in quadratische Scheiben schnitten, träumten sie abends von der komplexen Erzählweise amerikanischer Serien.“ Den Impuls zur „Morgenröte in der deutschen Serienlandschaft“ gab die Bedrohung von außen: weil das Fernsehen auf neue Anbieter wie Netflix und Amazon reagieren musste. In diesem Fall hat die Konkurrenz also tatsächlich das Geschäft belebt, aber erst die treffenden Analysen von Eschke und Bohne (beide selbst Dramaturgen) belegen, dass deutsche Serienmacher die Botschaft auch verstanden haben. Die Vorgehensweise des Autorenduos entspricht im Grunde der Arbeit von Rechtsmedizinern: Sie sezieren die Serien, um auf diese Weise alles über handwerkliche Grundlagen wie Aufbau, Figuren, Handlungsbögen und Wirkungsweise zu erfahren. Nebenbei fließen auch immer wieder wissenswerte Details etwa über die Rahmenbedingungen ein.
Aber es sind natürlich nicht nur formale Aspekte, die die Beliebtheit dieser Produktionen erklären. Entscheidender dürfte nicht zuletzt die Einzigartigkeit gewesen sein: „Weissensee“ erzählt den Kosmos eines hochrangigen Stasi-Offiziers als Familienserie, „The Walking Dead“ transferiert bekannte Serienmuster in eine von Zombies bevölkerte Welt. Anhand ihrer Beispiele zeigen die Autoren, wie schmal der Grat zwischen Innovation und Misserfolg ist, wenn ein Sender – wie das ZDF mit „KDD“ (2007 bis 2009) – der Zeit womöglich voraus ist. An einigen Stellen hätten Eschke und Bohne gern auch noch auf andere Serien verweisen können, etwa beim Kapitel über den Entwurf der Hauptfiguren, die erst dann richtig interessant werden, wenn sie mit einem „inneren Paradox“ leben müssen, also mit Brüchen und Widersprüchen. Davon abgesehen ist „Bleiben Sie dran!“ die perfekte Lektüre sowohl für Einsteiger_innen wie auch für Leser_innen, die glauben, sie wüssten bereits alles über Serien: weil die Autoren nicht nur das kleine, sondern auch das große Einmaleins der Seriendramaturgie erläutern.