Bis zum 7. Mai 2026 muss die Anti-SLAPP-Richtlinie der Europäischen Union in nationales Recht umgesetzt werden. Auf der Basis einer Umfrage, an der sich 227 Personen im September 2024 beteiligten, hat die Mannheimer Professorin Stefanie Egidy untersucht, gegen wen sich diese Strategischen Klagen in Deutschland richten, was ihre besonderen Merkmale sind und welche Reformen im deutschen Recht nötig sind, um Betroffene zu schützen und zu unterstützen. 60 Prozent der Teilnehmer*innen, die auf eigene Erfahrung verweisen konnten, arbeiten im Journalismus.
Die Studie „Einschüchterung ist das Ziel – Strategische Klagen gegen öffentliche Beteiligung (SLAPPs) in Deutschland“ wurde nun als Arbeitspapier der Otto Brenner Stiftung (OBS) veröffentlicht. Zu den Auftraggebern gehören die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF), das Umweltinstitut München und die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union in ver.di, die zur Teilnahme an der Umfrage aufgerufen hatte. Die dju ist auch Projektpartnerin der No SLAPP Anlaufstelle zum Schutz publizistischer Arbeit in Deutschland, die Medienschaffende seit Mai 2024 berät und schult.
Einzelpersonen im Visier
Als „Meilenstein“ wird die EU-Richtlinie gegen SLAPPS (Strategic Lawsuits Against Public Participation) in der Kurzfassung der Studie bezeichnet, weil sie ein weltweites Problem mit negativen Folgen für die Demokratie aufgreift, das allerdings laut Egidy schon seit den 1980er Jahren beobachtet werde. Häufig beginnen die juristischen Einschüchterungsversuche mit anwaltlichen Informationsschreiben über eine Klageandrohung, Unterlassungsforderungen oder Abmahnungen, wie Bettina Hesse, Referentin für Medienpolitik in ver.di, beschreibt. Dabei richten sich die angedrohten Klagen oft gegen Einzelpersonen, nicht gegen die Verlage, Sender oder Nicht-Regierungsorganisationen, und rufen einen enormen Streitwert auf. Bei den Betroffenen der Umfrage ging es bei einem Drittel um Streitwerte von 100.000 bis 500.000 Euro, was große Prozesskosten und damit Abschreckung bedeutet.
Ein Fünftel der Befragten gab an, sich künftig nicht mehr mit dem umstrittenen Thema befassen zu wollen.
„Diverse Akteur*innen nutzen mit juristischen Einschüchterungsversuchen systematisch die strukturelle Schwäche freier Journalist*innen oder solcher ohne großes Medienhaus im Rücken sowie die sinkenden Rechtsschutzbudgets in den Verlagen und Sendern aus“,
erklärt dazu Christoph Schmitz-Dethlefsen, für Medien zuständiges Mitglied im ver.di-Bundesvorstand.
Nur 46 Prozent der Betroffenen haben laut Umfrage ihren Fall komplett gewonnen, die Dauer der Auseinandersetzungen lagen zwischen mehreren Wochen bis zu fünf Jahren durch mehrere Instanzen. Eine erfolgreiche Umsetzung der EU-Richtlinie verlangt deshalb einen neuen Blick der Richter*innen auf die Intention von Klagen, die bisher im Prozessrecht keine Rolle spielt.
Kostenerstattung bei SLAPPs
Die EU-Richtlinie bezeichnet laut Studie als SLAPPS nicht nur „offensichtlich unbegründete Klagen“, sondern auch „missbräuchliche Gerichtsverfahren, die sich gegen die öffentliche Beteiligung der Beklagten richtet“. Die Richtlinie fordert, unbegründete Klagen schneller abzuweisen und die Motivation der Prozessführer zu überprüfen. Sie gibt Merkmale an, wann es sich um missbräuchliche Verfahren handeln könnte, etwa bei großer Machtungleichheit, einschüchterndem Verhalten des Klägers oder Häufung von Klageforderungen. Für SLAPP-Fälle sieht sie eine Kostenerstattungspflicht und die Einführung effektiver Sanktionsmöglichkeiten gegen die Kläger vor sowie eine Transparenz- und Berichtspflicht an die EU-Kommission.
Studienautorin Egidy fordert den Gesetzgeber auf, darüber hinaus mehr Unterstützung für die Beklagten in den Verfahren und mehr Beratungsmöglichkeiten einzuführen. Denn die psychische Belastung durch SLAPPS erwies sich in der Umfrage als groß: Nur 13 Prozent gaben an, von einem juristischen Einschüchterungsversuch nicht belastet gewesen zu sein.