Fakten for Future

Carla Reemtsma mit Laptop

Carla Reemtsma, Sprecherin von FFF. Foto: Friederike Wetzels

Menschen jeden Alters machen sich Sorgen um die Zukunft unseres Planeten. Carla Reemtsma ist Klimaschutzaktivistin und Mitorganisatorin des Schulstreiks Fridays for Future („Klimastreik“) in Deutschland. Als Sprecherin vertritt sie die Bewegung auch in der medialen Öffentlichkeit. Wir sprachen mit ihr über Kommunikationsstrategien, Aktivismus und guten Journalismus.

Am 1. August war der diesjährige Earth Overshoot Day, der Tag, an dem alle natürlichen Ressourcen, die die Erde innerhalb eines Jahres zur Verfügung stellen kann, aufgebraucht sind. Wurde dieses Datum in den deutschen Medien angemessen gewürdigt?

Über den Earth Overshoot Day wird zwar jedes Jahr viel berichtet – meist aber auf eine fast schon ritualisierte Art. Auf einmal wirken alle ganz bestürzt, und dem Thema Klimawandel wird dann für einen Tag mehr Raum als üblich gegeben, vielleicht auch auf Seite eins. Und tagsdrauf geht es zurück zum Business as usual. Wir haben ein enormes Wissen über die Klimakrise, ihre Folgen und auch über konkrete Bekämpfungsmöglichkeiten. Doch der Schritt zu einer wirklichen Veränderung wird nach wie vor nicht gemacht. An der Zeit um den Earth Overshoot Day kann man diese Dynamik sehr gut beobachten: Alle sind bestürzt und dann geht es weiter wie bisher.

Wie erklären Sie sich diese Diskrepanz zwischen Wissen und Handlung?

Häufig gehen wir davon aus, wir selbst wären bereit, etwas zu verändern. Aber weil wir davon ausgehen, dass die Menschen um uns herum nicht bereit für Veränderung sind, lassen wir es am Ende auch selbst bleiben. Dabei unterschätzen wir, wie sehr wir eigentlich in der Lage wären zu handeln. Hierzu trägt auch bei, dass wir gerade in Bezug auf die Klimakrise stark Botschaften konfrontiert sind, die fälschlicherweise nahelegen: dieses oder jenes sei nicht machbar, sei zu ungerecht, zu teuer oder schlecht für die Wirtschaft.

Es ist sehr einfach, am Status quo festzuhalten. Erst einmal erscheint das komfortabel. Früher oder später werden wir uns aber in Zuständen bewegen, die für uns alle katastrophal und nicht mehr tragbar sind. Eigentlich wissen doch schon jetzt, dass wochenlange Temperaturen über 30 Grad wirklich alles andere als angenehm sind und unsere Städte und Infrastruktur darauf nicht ausgelegt sind. Doch die Glaubenssätze, eine umfassende Transformation könne nicht angegangen werden, sind in uns allen tief verankert. Von der fossilen Lobby und von Politikern, die nicht für Veränderungen nicht bereit sind, werden diese Glaubenssätze immer wieder nach vorne gebracht.

Für den 20. September riefen Fridays for Future, als deren bundesweite Sprecherin Sie aktiv sind, erneut zum globalen Klimastreik auf. Was genau fordern Sie? Wo gab es Unterschiede zu früheren Aufrufen?

Beim Klimastreik geht es selbstverständlich immer um das große Ganze. Darum, dass wir alles, was politisch und gesellschaftlich möglich ist, tun müssen, um die Klimakrise einzudämmen und um einen sozial gerechten Klimaschutz zu ermöglichen. An allererster Stelle heißt das: Wir müssen aufhören, Kohle, Öl und Gas zu verbrennen und eine vollständige Transformation hin zu den erneuerbaren Energien möglich machen. Daran messen wir alle politischen Parteien. Diese Forderung stand daher auch am 20. September, und damit ein Jahr vor der Bundestagswahl, wieder ganz im Vordergrund. Wir werden nicht müde, sie zu wiederholen.

Woher nehmen Sie und Fridays for Future als Bewegung die Energie und den Optimismus, dass es doch noch gelingen kann, das Ruder rumzureißen?

Ich denke nicht, dass Hoffnung oder Optimismus der zentrale Faktor dafür sind, bei Fridays for Future aktiv sein oder es zu werden. Mir selbst ist die Hoffnung ja nicht grundsätzlich als Gabe mitgegeben. Hoffnung entsteht für mich aber, wenn ich mit anderen Menschen zusammenschließe, auf die Straße gehe und mich für einen wirksamen Klimaschutz einsetze. Weil ich weiß, dass eine bessere Welt möglich ist und ich nicht mehr allein mit dem, was mir Sorgen macht. Dabei haben wir aber nicht unbedingt ein optimistisches, romantisches Bild von der Zukunft vor Augen, wie sich das Manche vorstellen – eine Wiese voller Blumen und Solarpanelen oder so etwas.

Inwieweit sehen Sie radikale klimapolitische Forderungen, wie sie von FFF vertreten werden, in den Medien ausreichend und seriös gewürdigt?

Aktuell erleben wir eine enorme Unverantwortlichkeit der politischen Entscheidungsträger. Alle reden von Klimaschutz, um im nächsten Atemzug neue Gasfelder erschließen zu wollen oder das Verbrenneraus abzusagen. Genau an diesen Punkten sind meiner Meinung nach Journalist*innen gefragt.

Wie könnte ihrer Meinung nach ein faktenbasierter, differenzierter, aber dennoch politischer Klimajournalismus aussehen?

Ein fundierter Klimajournalismus muss den Anspruch haben, Fakten zu vermitteln und Menschen zu informieren – und damit dem öffentlichen Diskurs etwas entgegensetzen, der von Parolen über einen angeblichen „Verbotswahn“, Unwahrheiten oder einer krassen Diskrepanz zwischen Selbstdarstellung und Wirklichkeit geprägt ist. Journalist*innen müssen aus ihren Recherchen ja keine Wahlempfehlung ableiten. Vielmehr ginge es um einen Transfer; darum, auf Grundlage von wissenschaftlichen Erkenntnissen für die Bevölkerung herauszuarbeiten oder abzugleichen, was ausreichende, notwendige und sinnvolle konkrete Maßnahmen gegen den Klimawandel sind und wie umfassend die Krise ist.

Sehen Sie beim Klimajournalismus auch das Problem, dass Grenzen zwischen möglichst objektivem Journalismus und politischem Aktivismus verschwimmen?

Das Problem sehe ich viel eher in dem Vorwurf selbst. Gerade im Bereich Klima wird Journalist*innen ja sehr schnell unterstellt, aktivistisch oder einseitig zu argumentieren. Doch was ist daran problematisch, wenn man als Journalist*in für die eigenen Leser*innen die Emissionsbeschränkungen, die von Regierungen selbst gesetzt wurden, mit der Realität abgleicht? Oder konkrete Gesetze auf ihre klimapolitische Wirksamkeit oder Bedeutung prüft? Meiner Meinung nach wird der Vorwurf des Aktivismus meist eingesetzt, um Leute einzuschüchtern und sie in ihrer Glaubwürdigkeit zu diskreditieren.

Oft wird behauptet, es gäbe einen grundlegenden Zielkonflikt zwischen dem Kampf gegen den Klimawandel und der Herstellung oder Bewahrung von sozialer Gerechtigkeit. Was entgegnen Sie dieser Aussage?

Zuallererst ist die Klimakrise eine Gerechtigkeitskrise. Natürlich gibt es Klimaschutzmaßnahmen, die sozial ungerecht sind oder bestimmte Arbeitsplätze gefährden. Aber nicht jede Maßnahme oder Klimaschutz insgesamt tun das. An den Folgen der Klimakrise leiden ja nicht die gehobene Mittelschicht oder DAX-Vorstände am stärksten, sondern eben die Menschen im globalen Süden und insgesamt eher marginalisierte Menschen. Und auf der Verursacherseite zeigt sich das Gerechtigkeitsproblem darin, dass reichere Menschen weitaus mehr CO2-Emissionen verursachen als ärmere. Das ist in Deutschland und weltweit so. Daher ist der Kampf gegen den Klimawandel auch ein Schritt hin zu mehr sozialer Gerechtigkeit. Es ist schon interessant, wie Parteien oder Menschen, die bislang wenig im Einsatz für soziale Gerechtigkeit aufgefallen sind, das Thema nun ausgerechnet beim Kampf gegen den Klimawandel für sich entdecken.

Welche Rolle spielt das Prinzip des ungebremsten Wirtschaftswachstums in ihrer Argumentation?

Klimaschädliches Verhalten steht uns nicht als Normalzustand zu. Genau dieser Normalzustand führt dazu, dass jetzt schon Menschen im Globalen Süden krass unter den Folgen der Klimakrise leiden und dass unsere zukünftige Generation de facto nur Aussicht auf eine Zukunft hat, die immer katastrophaler wird. Das müssen wir als Gesellschaft erkennen. Wir müssen ehrlich miteinander sein: In einer klimaneutralen Gesellschaft wird es bestimmte Dinge nicht mehr geben. So etwa Billigflüge oder den Anspruch auf eine extreme Mobilität. Wir sind nicht dazu berechtigt sind, uns alle in die maximale Scheiße zu reiten.

Junge Menschen in Deutschland blicken sehr pessimistisch in die Zukunft. Der Klimawandel bereitet ihnen aber, laut Stienlage, weniger Sorge als die Themen Inflation, teurer Wohnraum, die Kriege in Europa und Nahost und die Spaltung der Gesellschaft. Wie geht Fridays for Future mit diesen Befunden um?

Die Sorge über den Krieg oder die krasse Krise der Lebenshaltungskosten kann ich selbstverständlich absolut nachvollziehen. Auch in diesen aktuellen Krisensituationen ist es die Aufgabe der Politik, Antworten zu finden und die Menschen unterstützen, etwa durch Preisentlastungen. Doch auch in dieser Situation muss weitsichtig und mit Blick auf die Klimakrise gehandelt werden. Es geht um die großen Leitlinien, die sich ergeben aus den internationalen Klima-Abkommen, den nationalen Klimazielen und auch dem Grundgesetz, in dem der Schutz künftiger Generationen und Lebensgrundlagen verankert ist.

Auch bei Fridays for Future erleben wir, dass gerade jungen Menschen aktuell extrem verunsichert sind. Und dann überbringen wir ja auch keine frohe Botschaft, sondern kommen an mit einem weiteren harten Thema. Daher haben wir uns zum Ziel gesetzt, nicht nur gut und fundiert zu informieren, sondern auch aufzuzeigen: es kann besser werden, wir alle können mitdenken und mitgestalten, es gibt Handlungsoptionen, um das Horrorszenario zu verhindern – sofort und unmittelbar vor Ort. Dazu braucht es aber eine konsequente Ehrlichkeit darüber, dass das gute Leben für alle nicht mehr direkt vor der Haustür liegt.

 

 

 

 

Foto: Friederike Wetzels

 

 

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