Filmtipp: Frauen in Landschaften

Anke Domscheid-Berg in "Frauen in Landschaften" (2023) von Sabine Michel ©jip film & verleih

Ob irgendwann mal jemand von Markus Söder wissen wollte, wie er Kinder und Karriere unter einen Hut bekommen hat? Vermutlich nicht, Männer müssen solche Fragen eher selten beantworten. Bei erfolgreichen Frauen ist das Thema dagegen Standard. Trotzdem entspricht der Dokumentarfilm „Frauen in Landschaften“ nur scheinbar diesem Klischee, obwohl Sabine Michel ihre Protagonistinnen auch deshalb ausgesucht hat: Die vier Politikerinnen sind allesamt Mütter und stammen zudem wie die Regisseurin aus dem Osten.

Anke Domscheit-Berg (Jahrgang 1968) sitzt für die Partei Die Linke im Bundestag, Manuela Schwesig (1974, SPD) ist Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, Bundestagsvizepräsidentin Yvonne Magwas (1979) kommt aus dem sächsischen Teil des Vogtlands und ist CDU-Mitglied. Aus der Reihe fällt allein die gebürtige Dresdenerin Frauke Petry (1975): Ihre Familie ist noch vor dem Mauerfall in den Westen gezogen, die frühere AfD-Vorsitzende ist seit 2021 politisch nicht mehr aktiv. Michel wollte wissen: „Was bedeutet es heute, Frau und Ostdeutsche in der Politik zu sein?“

Das Thema mag angesichts der aktuellen Herausforderungen nicht unbedingt als vordringliche Frage erscheinen, zeichnet sich jedoch durch eine unerfreuliche Zeitlosigkeit aus. Der Beruf ist familienfeindlich, davor schrecken viele Frauen zurück. Ein Jahr im Bundestag, sagt Domscheit-Berg, „sind wie sieben normale Lebensjahre.“ Der politische Gegner warte nur auf Fehler. Männer könnten so etwas besser ausblenden, Frauen seien viel selbstkritischer. Bei Petry gilt das nur bedingt, ihre Distanzierung von früheren Positionen ist nicht überzeugend. Eine Journalistin hätte intensiver nachgefragt, auch in Bezug auf die rechtsextreme Entwicklung der AfD. Die mag sie bedauern, wie sie sagt, aber sie hat den Weg bereitet.

Das alles ist nicht neu, weshalb der mit reizvoller Akkordeonmusik (Cathrin Pfeifer) unterlegte Film immer dann besonders fesselnd ist, wenn das Quartett Einblicke gewährt. Der Titel „Frauen in Landschaften“ ist clever gewählt: Er weckt einerseits die Erinnerung an die einst von Helmut Kohl versprochenen „blühenden Landschaften“, ist andererseits durchaus wörtlich zu nehmen, weil Schwesig zum Beispiel ihren Lieblingsort auf Hiddensee vorstellt; er bezieht sich aber genauso auf die politische wie auch die seelische Landschaft. Magwas sorgt für den mit Abstand bewegendsten Moment, als sie, den Tränen nahe, erzählt, wie sie von Zuhause aus eine Online-Sitzung leitete und ihr kleiner Sohn plötzlich das Bewusstsein verlor, sodass sie um sein Leben fürchtete. Es ist nur schwer vorstellbar, dass sich ein männlicher Spitzenpolitiker derart vor einer Kamera öffnen würde.

Die Szene zeigt, dass sich während der dreijährigen Dreharbeiten zwischen der Politikerin und der Regisseurin ein Vertrauensverhältnis entwickelt hat. In dieser Zeitspanne liegt der erhebliche Vorteil solcher Langzeitdokumentationen gegenüber gängigen TV-Produktionen. Andererseits birgt so viel Nähe auch die Gefahr mangelnder Distanz, weshalb solche Filme immer ein Balanceakt sind. Dass sich Schwesig und Petry als nicht annähernd so nahbar erwiesen haben wie Domscheit-Berg und Magwas, dürfte eine Frage des Naturells sein; bei Schwesig kommt sicherlich auch das Amt hinzu. Aber selbst sie wird sehr persönlich, als sie von ihrer Brustkrebstherapie im Frühjahr 2020 erzählt, und natürlich spielt bei allen auch die ostdeutsche Herkunft eine Rolle.

Davon abgesehen stellt sich wie immer bei solchen Filmen die Frage, worin ihr Mehrwert besteht; Schwesigs Betriebsbesichtigungen zum Beispiel sind eher unergiebig. Die Antworten liefern vor allem Domscheit-Berg und Magwas: Die eine weiß seit der friedlichen Revolution, dass selbst scheinbar unrealistische Ziele erreicht werden können, die andere ist ohnehin eine pragmatische Optimistin. Als Mitglied des überwiegend weiblich besetzten Bundestagspräsidiums war Magwas maßgeblich daran beteiligt, dass sexistische Zwischenrufe, von den männlichen Kollegen früher gern durchgewunken, mittlerweile gerügt werden. Das erzählt allerdings nicht sie selbst, sondern Domscheit-Berg; ein schönes Beispiel dafür, wie wertegeleitete Politik über Parteigrenzen hinweg funktioniert. Für die Erhöhung des Mindestlohns war Magwas auch, doch bei der Abstimmung hat sie sich aus Gründen der Parteiräson enthalten – „mit Bauchschmerzen“.


„Frauen in Landschaften“ D 2023. Buch und Regie: Sabine Michel. Kinostart: 14. September

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Nicaraguas bedrohte Medien

Die Diktatur des nicaraguanischen Präsidentenpaars Daniel Ortega und Rocio Murillo hat in den letzten Jahren immer mehr Journalist*innen ins Exil getrieben. Unter erschwerten Bedingungen berichten Menschen wie Lucía Pineda vom Nachrichtenkanal "100% Noticias" oder Wendy Quintero nun aus dem Ausland. Für diese Arbeit nehmen sie stellvertretend für viele andere am 26. November 2024 den Menschenrechtspreis der Friedrich-Ebert-Stiftung entgegen.
mehr »

Österreich: Gefahr für die Pressefreiheit

In Österreich ist die extrem rechte FPÖ bei den Nationalratswahlen stärkste Kraft geworden. Noch ist keine zukünftige Koalition etabliert. Luis Paulitsch erklärt im Interview, welche Entwicklungen in der österreichischen Medienlandschaft zu erwarten sind, sollten die FPÖ und ihr Spitzenkandidat Herbert Kickl an der Regierung beteiligt werden. Paulitsch ist Jurist, Zeithistoriker und Medienethiker. Von 2019 bis 2024 war er Referent des Österreichischen Presserats, dem Selbstkontrollorgan der österreichischen Printmedien;  seit 2024 bei der Datum Stiftung für Journalismus und Demokratie.
mehr »

KI beinflusst Vielfalt in den Medien

Künstliche Intelligenz kann journalistische Texte in verschiedene Sprachen übersetzen und damit viel mehr Nutzer*innen ansprechen. Gleichzeitig kann sie aber auch Stereotype, die in diesen Texten enthalten sind, verfestigen. Gefahren und Chancen von KI-Anwendungen im Journalismus standen im Fokus der diesjährigen NxMedienkonferenz der Neuen deutschen Medienmacher*innen (NdM), die sich für mehr Vielfalt in den Medien einsetzen.
mehr »

ARD & ZDF legen Verfassungsbeschwerde ein

Nachdem die Ministerpräsident*innen auf ihrer Jahreskonferenz Ende Oktober keinen Beschluss zur Anpassung des Rundfunkbeitrags ab 2025 fassten, haben heute ARD und ZDF Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe eingelegt. Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di begrüßt die Initiative.
mehr »