Die Transformationswissenschaftlerin Maja Göpel fordert eine kritische und fundierte Berichterstattung über den Klimawandel, die nicht nur die Probleme, sondern auch Lösungsansätze und transformative Ideen hervorhebt. Mit M sprach sie über konstruktiven Journalismus, Triggerpunkte der klimapolitischen Debatte und das Collective-Action-Problem.
Frau Göpel, wann haben Sie sich zum letzten Mal so richtig über die klimapolitische Berichterstattung geärgert?
Wenn ich von Umfragen lese, in denen etwa gefragt wurde: „Würden Sie persönlich Wohlstandseinbußen in Kauf nehmen, um den Klimaschutz voranzubringen?“ Dieses Framing adressiert unmittelbar zentrale Triggerpunkte der klimapolitischen Debatte. Klimaschutz und Wohlstandswahrung werden einander gegenüberstellt. Die wichtige Erkenntnis aber, dass wir das Klima schützen müssen, um Wohlstand, oder besser: Wohlergehen zu erhalten, gerät dadurch aus dem Blick.
Dazu kommt, dass wir es beim fortschreitenden Klimawandel mit einem Collective-Action-Problem zu tun haben. Das heißt, niemand handelt zuerst, weil er oder sie denkt, dass die anderen nicht handeln wollen. Doch eigentlich würden alle besser wegkommen, wenn zusammen die Art der Wohlstandsgewinnung verändert wird. Doch auch das geht bei einem solchen Framing unter. Im Vordergrund steht hier der „persönliche Verlust“
Wie gelingt es ihnen, so hartnäckig am Thema zu bleiben und nicht fatalistischen Glaubenssätzen zu folgen?
Der Energieaufwand fürs Verdrängen ist größer als beim Dranbleiben und Weitermachen, wenn man weiß, was die Konsequenzen des Nichthandelns sind. Zudem analysiere ich ja nicht nur die negativen Trends der Naturwissenschafler*innen. Als Transformationsforscherin suche vielmehr auch nach Entwicklungen und Ereignissen, die zeigen: Wir haben schon viel geschafft, an das wir anknüpfen und auf dem wir aufbauen können.
Woran genau denken Sie?
Dass wir zum Beispiel in den letzten Jahren recht schnell mit der Energiewende vorankommen, geht in dem ganzen medialen Abgesang auf Deutschland unter. Oder auch, dass wir immer noch führend bei technologischen Erfindungen zum Klimaschutz sind. Wir müssten sie nur schneller in die Verbreitung bekommen. Es ist zwar sehr wahrscheinlich, dass wir das 1,5- oder 2-Grad-Ziel nicht erreichen, aber der Umkehrschluss kann nicht sein, deshalb aufzuhören zu handeln. Durchbrüche kommen nur, wenn wir dranbleiben. Aktuell befinden wir uns in einer „Zwischenzeit“, in einem „Interregnum“. Wir wissen zwar erst in der Zukunft, wie genau wir diese strukturelle Krise bearbeitet haben werden und mit welchem Ergebnis – aber ein Zurück zum Davor wird es nicht geben.
Diese Offenheit inmitten der Krise kann nicht nur zu Veränderung motivieren, sondern auch überfordern. Dem Klimawandel begegnen viele Menschen daher mit Verdrängung, Resignation oder Zynismus. Was braucht es, um diesen emotionalen Mechanismen produktiv zu begegnen?
Im Wesentlichen drei Zutaten, die etwa auch aus dem Kontext transformativer Führung bekannt sind. Erstens, das Wissen darüber, was gerade passiert. Das beinhaltet eine Einschätzung, in was für einer Art von Krise wir uns gerade befinden und welches Ausmaß an Veränderung nötig ist. Zweitens, Handlungswissen, das aufzeigt: Was können wir tun, welche Ressourcen gibt es dafür, wie können wir auch bestmöglich Ressourcen bündeln, um effektiver zu werden?
Eine Grundvoraussetzung dafür, sich in einer Krise als resiliente und selbstwirksame Akteurin zu erfahren, ist die Bereitschaft, etwas anders zu machen. Daher ist auch der dritte Punkt so wichtig: das Gefühl, dass es sinnvoll ist, sich einzusetzen. Dazu gehört einmal die Überzeugung ob der Notwendigkeit, aber auch die Wahrnehmung, dass andere mitziehen, dass wir über die Summe der einzelnen Handlungen das Problem in den Griff kriegen können.
Inwieweit sehen Sie diese Aspekte in deutschen Medienberichterstattung zum Klimawandel ausreichend gewürdigt?
Konstruktiver Journalismus, der auch Lösungen aufzeigt, hat noch immer einen schweren Stand. Einer negative, skandalisierende und auf Emotionen anspielende Berichterstattung bindet noch immer mehr Aufmerksamkeit und wird durch die Algorithmisierung und Ökonomisierung im Online-Bereich zusätzlich befeuert. Dazu kommt die sogenannte Horse-Race-Berichterstattung. Anstatt über erfolgreiche demokratische Aushandlungsprozesse und die konkreten Ergebnisse politischer Kompromissfindung zu berichten, fokussiert sich diese Art des Journalismus auf einzelne, machtvolle Individuen.
So etwa auf Spitzenpolitiker, die wie in einem Wettkampf gegeneinander antreten, in einem Nullsummenspiel gegeneinander kämpfen und „Schwäche“ zeigen, wenn sie sich nicht „durchsetzen.“ Zudem kann ich es nicht nachvollziehen, dass etwa bei der Diskussion von Kosten und Folgen von politischen Maßnahmen nur selten eine langfristige Perspektive eingenommen wird. Denn damit würden auch die Konsequenzen des Nichthandelns sichtbar. Zu guter Letzt wird Berichterstattung, die konstruktiv auf Lösungen hinweist, oft als nicht ausreichend distanziert bewertet. Doch dabei geht es gar nicht ums Schönreden, sondern um die Schaffung des besagten Handlungswissen.
Wie könnte eine gelungene Art des Klimajournalismus aussehen?
Im Rahmen unseres Science-Society-Netzwerks „Mission Wertvoll“ veröffentlichen wir unter anderem den „Debattenkompass Wert und Wirkung,“ der diese Punkte adressiert. In diesem Format gehen wir der Frage nach, wie wir es als Gesellschaft schaffen, die Ziele zu erreichen, die wir uns gesetzt haben. So zum Beispiel zu den Themen urbane Mobilität, nachhaltiges Bauen, Gesundheit oder die Sicherung unseres Wohlstandes. Dabei orientieren wir uns an vier Leitfragen.
Das ist zum Beispiel die Kontextualisierung. Bevor wir über eine konkrete Maßnahme diskutieren, schauen wir mal einmal kurz: Woher kam die Idee, dass man überhaupt Maßnahmen entwickeln muss und warum steht dahinter eine positive Vision? Denn die meisten Nachhaltigkeitsthemen werden vorwiegend als Einschränkung verkauft. Und das, obwohl ihr Ziel doch eigentlich ist, dass wir wieder auf einen guten Pfad kommen und die Zukunft möglichst stabil und gestaltbar halten.
An welchen weiteren Prinzipien orientieren Sie sich im „Debattenkompass“?
Was würde passieren, wenn wir nicht handeln? Was kostet uns die Beibehaltung des Status Quo? Das ist der zweite Aspekt, der einen ausgewogenen Blick auf Kosten und Nutzen von Veränderung und Fortschreibung des Bestehenden lenkt. Der dritte Aspekt ist ein Blick darauf, wer schon etwas macht – in Deutschland, aber auch international. So werden die Vorreiter*innen sichtbarer – als ermutigende Balance zu den laut Schreienden, die häufig über gute Ressourcen, gute Verbindungen und gute Marketingbudgets verfügen. Denn diejenigen, die wirklich Kreatives und Neues in die Welt bringen, haben für Lobbying, PR-Arbeit und Agenda-Setting oft viel zu wenig Zeit und Ressourcen. Der letzte Punkt ist die Frage nach dem nächsten Schritt. Auch hier geht es darum zu zeigen: Es ist nicht „zu spät“, nur weil jetzt gerade etwas festhängt. Es gibt immer andere Wege und nächste Termine, an denen wieder was passieren kann.
Welche Rolle spielen dabei einflussreiche Rollenmodelle, die gängige Erzählungen von Wohlstand und Erfolg in Frage stellen?
Um aus dem Collective-Action-Problem rauszukommen, brauchen wir gerade von den Personen mit hohem sozioökonomischem Status (High SES) Signale. Diese Personen sind nicht nur einflussreich, weil sie im Vergleich mehr Geld haben, sondern auch weil sie Entscheider*innen in großen Organisationen sind oder Investor*innen. Auch von ihnen müssen Signale kommen, dass sie bereit sind, sich für eine nachhaltige Gesellschaft zu engagieren – selbst wenn sie dabei einige Bequemlichkeiten und Privilegien aufgeben müssen. Interessanterweise ist das auch der Plot aller fiktionalen Heldenreisen. Ein neuer Heldenepos könnte also ganz schön viel Dynamik für kooperative Zukunftsgestaltung freisetzen. Und in der Art, wie wir über Erfolg reden oder berichten, haben wir alle einen Einfluss darauf.
Mehr zum Thema Klimajournalismus lesen sie im M-Themenheft: