Metier ohne Distanz: Reportage über Fußball

Cover des Arbeitspapiers

Der Sportjournalismus steckt in einem Dilemma: Einerseits soll er, wie andere Spielarten des Journalismus auch, seinen Gegenstand kritisch betrachten, auch die Schattenseiten des hochkommerzialisierten Profisports beleuchten. Andererseits ist er selbst Teil eines Betriebs, in dem eben solche unabhängigen, kritischen Stimmen vielfach als „produktschädigend“ angesehen werden. Der freie Journalist Tonio Postel hat, gefördert durch die Otto-Brenner-Stiftung, eine Bestandsaufnahme der aktuellen Situation vorgelegt.

Speziell im Profifußball dominiert vielfach eine Berichterstattung, in der jede Distanz verloren gegangen ist, wo aus Fanreporter-Perspektive Heldenverehrung betrieben und wo eine auch hintergründige Sicht der Verhältnisse einer besinnungslosen Live-Berichterstattung geopfert wird.

Tonio Postels Untersuchung der aktuellen Situation des Sportjournalismus, gestützt auf Dutzende von Interviews mit Akteuren des Fußballsportbetriebs, stellt der Branche kein gutes Zeugnis aus. Journalistische Kritiker kommerzieller Fehlentwicklungen sind nicht nur in der Minderheit. Sie sind bei Vereinen, Verbänden und Sportlern in der Regel nicht gut gelitten. Und werden zunehmend durch verbands- und vereinseigene Medien ausgebremst. Ohnehin überwiegt der Typ Reporter, der darauf achtet, seine Informanten nicht durch allzu unabhängige Recherchen zu verprellen. Die Übergänge von der halbwegs sachlichen Berichterstattung zur offenen PR sind gelegentlich fließend. Und das nicht nur auf individueller Ebene. Nicht selten arbeiten Regionalblätter mit dem örtlichen Profiklub zusammen.

Dabei erscheint der Bedarf nach kritischer Betrachtung gerade im Profifußball größer denn je. Denn das Publikum reagiert zunehmend verstimmt: auf die Korruptionsskandale von FIFA und UEFA, die hemmungslose Kommerzialisierung in Form explodierender Preise für attraktive Übertragungsrechte, die Gefährdung der Fankultur durch rücksichtslose Zerstückelung der Spielpläne etc. Beleg dafür sind die zuletzt registrierten sinkenden Einschaltquoten bei den Spielen des deutschen Nationalteams in der Nations League. Gleiches gilt für die Spiele der Champions League, die in dieser Saison erstmals nicht mehr im Free TV, sondern nur von den beiden Pay-TV-Anbietern Sky und Dazn übertragen werden.

Postel begnügt sich nicht mit einem Plädoyer für eine „kritische, mehrdimensionale Sportberichterstattung“. Einige der von ihm vorgeschlagenen Maßnahmen betreffen die Binnenentwicklung der Fußballbranche selbst. Etwa neue Regeln im Umgang zwischen Vereinen und Fans, Unterstützung von Fanprojekten etc. Andere erscheinen eher selbstverständlich, zum Beispiel die Organisation regelmäßiger Fortbildungen von Sportjournalisten und Pressesprechern durch den Verband Deutscher Sportjournalisten oder das Ausloben eines Preises für kritischen Sportjournalismus. Eher naiv mutet der Vorschlag an, „Profifußballvereine sollten die Medien stärken, indem sie die Bedeutung von kritischer, unabhängiger Berichterstattung öffentlich machen und ihren Fans die Unterschiede zu den selbst produzierten Werbebeiträgen, die die Vereine über die Klub-Kanäle im Internet verbreiten, erklären“. Dass hiesige Bundesligisten eine solche „Selbstverpflichtung“ jemals unterschreiben, erscheint denn doch nicht vorstellbar.

Tonio Postel: Zwischen Fanreportern und Spielverderbern. Fußballjournalismus auf dem Prüfstand. OBS-Arbeitspapier 33, Frankfurt/M. 2018.
Angebot zum Download hier.

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Buchtipp: Das Prinzip Trotzdem

Wie könnte ein selbstbewusster Journalismus aussehen, der sich gegen die aktuelle Medienkrise zu behaupten weiß und sich auf seine zentrale Rolle für funktionierende demokratischen Gesellschaften besinnt? Roger de Weck war Zeit-Chefredakteur, Generaldirektor des Schweizer Radios und Fernsehens sowie Mitglied des Zukunftsrats für Reformen des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks in Deutschland. In seinem jüngst erschienenen Essay „Das Prinzip Trotzdem. Warum wir den Journalismus vor den Medien retten müssen“ beschäftigt er sich mit genau diesen Fragen.
mehr »

„PR-Puppen“ proben den Aufstand 

Kreative, die der Tech-Konzern OpenAI (ChatGPT, DALL-E) zu einem geschlossenen Produkttest eingeladen hatte, leakten den Testzugang kürzlich und griffen OpenAI in einem Protestschreiben öffentlich an. Sie warfen dem Unternehmen u.a. vor, sie für Marketing und PR zu missbrauchen und Art Washing zu betreiben.Eine teilnehmende Person schildert M , wie es zu dem Leak kam und was Techkonzerne künftig bei der Zusammenarbeit mit Kreativen besser machen können.
mehr »

Studienergebnisse: Worlds of Journalism

Was bedeutet es heute, Journalist*in zu sein? Welche Dynamiken und Entwicklungen lassen sich im Berufsfeld wahrnehmen? Was brauchen wir, um gute und professionelle Arbeit machen zu können? Zu diesen Fragen führt das Langzeitforschungsprojekt „Worlds of Journalism“ seit 2007 weltweit Befragungen durch. Von 2021 bis 2023 ging die Studie in die dritte Runde. Unterstützt von UNESCO und der International Federation of Journalists, fokussiert die aktuelle Umfrage auf den Themenkomplex Risiken und Ungewissheiten. Ein Blick in die Schweiz.
mehr »

Presseversorgung: Bestens versichert

Die Vertreterversammlung der Versicherten der Presseversorgung hat beschlossen, die aktuelle Gesamtverzinsung im kommenden Jahr beizubehalten. In 2025 erhalten Kunden für das Vorsorgekonzept Perspektive eine Gesamtverzinsung von 4,3 Prozent. Diese ergibt sich aus einer laufenden Verzinsung von 3,0 Prozent und einer Schlusszahlung von 1,3 Prozent. Beim Produktkonzept InvestFlex wird der sichere Teil ebenfalls mit 4,3 Prozent verzinst.
mehr »