Satire geißelt einen Kult der Dummheit

Autor und Buch. Foto: privat

Filmemachen ist Mannschaftssport: Kein Torjäger gewinnt ein Spiel allein, und auch Filme sind das Ergebnis von Teamarbeit. Trotzdem erhalten zumeist die Regisseure die Lorbeeren, obwohl es ohne Drehbuch gar keinen Film gäbe. Spricht man mit Autoren, hört man fast immer Klagen, allerdings stets mit der Bitte verbunden, sie nicht namentlich zu zitieren, damit sie nicht auf einer schwarzen Liste landen. Dieses Schicksal wird jetzt wohl Christoph Fromm blühen. Der Drehbuchautor rechnet in seinem satirischen Roman „Das Albtraumschiff“ mit der TV-Branche ab.

Der Grimme-Preisträger hat zuletzt die ARD-Serie „Die Stadt und die Macht“ (2016) und davor diverse Drehbücher für seinen Bruder Friedemann („Die Wölfe“, „Die Grenze“) und Dominik Graf („Die Katze“, „Spieler“) geschrieben. Nun hat er einen satirischen Roman verfasst, der einer Generalabrechnung mit der gesamten Branche gleichkommt: Hauptfigur Max Grohl ist ein einst als kommendes Genie gefeierter Autor, dessen Hauptarbeit nun darin besteht, seine Werke gegen ahnungslose Redakteure und überschätzte Schauspieler zu verteidigen.

Fromm betont zwar im Vorwort, die Handlung basiere nicht nur auf Gerüchten und bösartigen Fantasien, sie sei teilweise auch ins Groteske verzerrt, aber hinter der satirischen Überspitzung schimmert eine Wahrheit durch, die viele seiner Kollegen unterschreiben würden. Gerade die Sender kriegen ihr Fett weg: Hier wimmelt es nur so von Intriganten und Opportunisten, die ihren Job allein guten Beziehungen verdanken. Um zu kaschieren, wie fehl am Platz sie sind, zeichnen sie sich durch „diktatorische Scheinkompetenz“ aus. Die Produzenten sind allerdings auch nicht besser. Grohl wird wiederholt darauf hingewiesen, dass seine Dialoge auch von „RTL-Zuschauern mit Schulabbruch“ verstanden werden müssen. Die „Quotengeilheit aller Sender“ habe ohnehin zur Folge gehabt, dass es „keinerlei Qualitätsunterschiede“ mehr zwischen den Angeboten von ARD, ZDF und den Privatsendern gebe: „Der Geschmacklosigkeit sind keine öffentlich-rechtlichen Grenzen gesetzt.“ Das Buch wirft den Sendern vor, jahrelang einen „Kult der Dummheit“ gepflegt zu haben, der letztlich dafür verantwortlich sei, dass „die Demokratie den Bach runtergeht“.

„Das Albtraumschiff“ spielt, wie Fromm schreibt, „irgendwann nach den Nullerjahren“, die meisten Ereignisse, ergänzt er im Gespräch, stammten aus den Jahren 2015 bis 2017. Seither hat sich in der Branche jedoch Einiges getan. Viele Autoren haben sich zu „Kontrakt 18“ zusammengeschlossen; die Initiative fordert unter anderem einen größeren Einfluss der Verfasser auf den fertigen Film. Fromm glaubt jedoch nicht, dass sich dadurch irgendwas ändern werde: „Viele Kolleginnen und Kollegen sind schlicht verzweifelt.“ Sie hätten bis zu sechzig nicht verfilmte Serienentwürfe geschrieben, aber keinen Cent dafür erhalten. Bei anderen seien von vielen Drehbüchern gerade mal ein paar Krimifolgen realisiert worden, der Rest sei im Papierkorb gelandet. Dazu muss man wissen, dass Autoren ihre Gage in Raten erhalten. Die letzte Rate wird überwiesen, wenn eine Produktion von der Redaktion abgenommen worden ist. Es kommt aber oft vor, dass ein Regisseur eine eigene Drehbuchfassung schreibt; dann kassiert er die letzte Rate.

Kontrakt 18, beteuert Fromm, habe an dieser Situation nichts geändert: „Die wenigen sehr gut verdienenden Autoren, die bereitwillig die Wünsche der Redaktionen erfüllen, erhalten auf diese Weise noch mehr Privilegien, aber die allermeisten Unterzeichner der Petition können Forderungen wie die Kontrolle über das eigene Drehbuch oder ein Mitspracherecht bei der Auswahl des Regisseurs in der Praxis niemals durchsetzen.“ Sender und Produktionsfirmen arbeiteten jetzt getreu der Devise „Hauptsache, die Quote stimmt!“ erst recht mit Autoren, die voll auf Senderlinie lägen: „Kritische, innovative Geister werden noch rigoroser aussortiert.“

Zu diesen Aussortierten dürfte Fromm nun selbst gehören, aber sein Arbeitsschwerpunkt sind ohnehin seit Jahren Romane, die wie „Das Albtraumschiff“ im eigenen Primero-Verlag erscheinen. Er macht sich auch keine Illusionen: „Ich glaube nicht, dass die deutschen Fernsehredaktionen über genügend Selbstironie verfügen, um mich nach dieser Satire noch zu beschäftigen.“ Es lägen zwar nirgendwo schriftliche Listen in den Schubladen, „aber selbstverständlich verständigen sich Sender und Produzenten darüber, wer pflegeleicht ist und wer als ‚schwierig’ gilt. Da Drehbuchautoren Freiberufler sind und keine Gewerkschaft haben, sind sie jeder Willkür schutzlos ausgeliefert.“ Im Einzelfall sei so etwas jedoch schwer zu beweisen, weil sich jederzeit vorgeschobene Gründe finden ließen, um ein Drehbuch abzulehnen. Andererseits fragt sich Fromm „angesichts des verheerenden Niveaus, das bei vielen fiktionalen Sendungen herrscht, ob es überhaupt noch erlaubt sein kann, ein Buch wegen mangelnder Qualität abzusagen“. Kein Wunder, dass er es als grotesk empfindet, wenn „Redakteure trotzdem bedeutungsbesoffen verkünden: ‚Wir machen das beste Fernsehen der Welt.’“

Cover

Christoph Fromm: „Das Albtraumschiff. Odyssee eines Drehbuchautors“. Primero Verlag, München 2020, 312 Seiten, 19,90 Euro, ISBN 978-3-9819732-3-5

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Buchtipp: Sprache des Kapitalismus

Über gendersensible Sprache läuft schon seit Jahren eine hochemotionale Debatte. In Bayerns Schulen, Hochschulen und Behörden gilt seit dem 1. April sogar ein Genderverbot. Über Begrifflichkeiten wie „steigende Preise“ oder Finanzkrisen, die wie ein „Tsunami“ über uns kommen, wird dagegen weniger gestritten. Sie beherrschen längst unser Denken und Sprechen, sind in unseren Alltag eingedrungen. Wer in diesem Wirtschaftssystem sozialisiert wurde, nutzt sie automatisch, ohne weiter darüber nachzudenken.
mehr »

Von Erbsensuppe und neuen Geschichten

„Vielfalt schützen, Freiheit sichern – 40 Jahre duale Medienordnung im föderalen Deutschland“. Dies war das Thema des Symposiums, das am 23.  April in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften stattfand. Ausrichter war die Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten (DLM).  Teilnehmer waren Verantwortliche aus Medienpolitik und -wissenschaft, Rundfunkregulierung und Medienunternehmen.
mehr »

Preis für behinderte Medienschaffende

Zum zweiten Mal schreibt in diesem Jahr die gewerkschaftsnahe Otto Brenner Stiftung zwei Preise und Stipendien für Journalist*innen mit Behinderung aus. Damit soll „ein klares Signal für die Förderung von Diversität als unverzichtbaren Wert in unserer demokratischen Gesellschaft“ gesetzt werden, sagt Jupp Legrand, Geschäftsführer der Stiftung. 
mehr »

Italien: Neun Jahre Haft für Recherche?

Drei Reporter*innen der italienischen Tageszeitung Domani müssen mit bis zu neun Jahren Gefängnis rechnen. Die Staatsanwaltschaft Perugia ermittelt gegen sie, weil sie vertrauliche Dokumente von einem Beamten angefordert und erhalten und das Geheimhaltungsprinzip der Ermittlungen verletzt haben sollen. Die dju-Bundesvorsitzende Tina Groll kritisierte, dass „hier investigative Berichterstattung über Mitglieder der italienischen Regierung unterdrückt werden soll."
mehr »