Was bedeutet es heute, Journalist*in zu sein? Welche Dynamiken und Entwicklungen lassen sich im Berufsfeld wahrnehmen? Was brauchen wir, um gute und professionelle Arbeit machen zu können? Zu diesen Fragen führt das Langzeitforschungsprojekt „Worlds of Journalism“ seit 2007 weltweit Befragungen durch. Von 2021 bis 2023 ging die Studie in die dritte Runde. Unterstützt von UNESCO und der International Federation of Journalists, fokussiert die aktuelle Umfrage auf den Themenkomplex Risiken und Ungewissheiten. Ein Blick in die Schweiz.
Mit der Studie „Journalist*innen in der Schweiz. Wer sie sind, wie sie arbeiten und was sie plagt“ liegt nun ein erster Teilbefund von „Worlds of Journalism 3“ vor. Insgesamt nahmen mehr als 110 Länder an „Worlds of Journalism 3“ teil. Für den Länderreport der Schweiz hat ein Team der Züricher Hochschule für Wissenschaften (ZHAW) eine repräsentative Befragung von Journalist*innen aus allen drei Sprachregionen des Landes durchgeführt. Befragt wurden 2023 freiberufliche und festangestellte Journalist*innen, die zu mindestens 50 Prozent journalistisch tätig sind und daraus mindestens die Hälfte ihres Arbeitseinkommens erzielen.
Schlechtere Bedingungen für Frauen
Insgesamt stellt die Studie fest: Verbesserungsbedarf gibt es nach wie vor bei der Repräsentation von Frauen. Darüber hinaus ist es auffällig, dass die Schweizer Medien unterschiedlichen Alterskohorten, Ausbildungshintergründen, Konfessionen sowie Nationalitäten und Herkünften noch immer zu wenig Raum geben. Zudem sind die Arbeitsbedingungen auch für Schweizer Journalist*innen prekär geworden, Belastungen und Bedrohungen verschiedener Art nehmen zu.
Der aktuelle ZHAW-Studie zufolge ist der typische Schweizer Journalist männlich, 43 Jahre alt, in der Schweiz geboren, konfessionslos, politisch eher links der Mitte positioniert und verfügt über einen akademischen Abschluss. Zudem erstellt er in der Regel journalistische Inhalte für mehrere Medienformate gleichzeitig. Der Frauenanteil liegt bei 44 Prozent. In Führungspositionen sind Journalistinnen in der Schweiz um 7 Prozent weniger beschäftigt als Männer, zudem arbeiten sie häufiger in Teilzeit und sind immer noch weitaus weniger in den Ressorts Politik, Wirtschaft und Sport vertreten.
Im Vergleich zu 31 Prozent der Gesamtbevölkerung verfügen 80Prozent der in der Schweiz arbeitenden Journalist*innen über einen akademischen Abschluss. 87 Prozent der Journalistinnen sind in der Schweiz geboren, die wenigen ausländischen Kollegen kommen größtenteils aus den Nachbarländern Deutschland, Frankreich und Italien. Im Vergleich zu Gesamtbevölkerung sind Schweizer Journalist*innen zwar politisch eher links eingestellt. Allerdings betonen die Studienautoren, dieser Befund lasse keine Rückschlüsse auf die Inhalte und Art der Berichterstattung zu. Ohnehin würden inhaltsanalytische Studien die Berichterstattung in der Schweizer Medien eher der politischen Mitte zuordnen.
Mehr befristete Stellen
Seit 2015 ist der Anteil der befristeten Stellen von 6 auf 23 Prozent gestiegen. Nur 40 Prozent der Journalistinnen in der Schweiz und 60 Prozent ihrer männlichen Kollegen arbeiten Vollzeit. Dies dürfte mit dazu beitragen, dass ein großer Teil unter dem nationalen Medianlohn verdient. Wie sich die in der Studie ebenfalls thematisierten, häufig neben dem Journalismus ausgeübten Tätigkeiten in der Öffentlichkeitsarbeit, Unternehmenskommunikation und der Werbebranche finanziell auswirken, lassen die Autoren allerdings offen; genauso, inwieweit wie sich die Arbeit in beiden Felder inhaltlich, und stilistisch gegenseitig beeinflussen könnte. Kaum noch ein Journalist produziert inzwischen ausschließlich für ein einziges Format.
Für 85 Prozent der in der in der Schweiz tätigen Journalist*innen ist es wichtig, Informationen zu vermitteln und die Menschen zur Meinungsbildung befähigen. 79 Prozent sehen sich als unparteiische Beobachter, fast ebenso viele sehen ihre Aufgabe darin, Desinformation zu bekämpfen, und etwas weniger wollen mit ihrer Arbeit gesellschaftliche Missstände beleuchten. Fast 60 Prozent ist es wichtig, Geschichte zu erzählen, die emotional berühren. 49 Prozent zielen darauf ab, ein großes Publikum zu erreichen. 54 Prozent wollen mögliche Lösungen für soziale Probleme aufzeigen, 40 Prozent Geschichten veröffentlichen, die Minderheiten und Randgruppen eine Stimme geben.
Viel Stress im Job
Als wichtigste interne Einflüsse für ihre Arbeit nennen die Befragten die journalistische Ethik (70 Prozent) und Zeitdruck (60 Prozent). Die Verfügbarkeit von Ressourcen für die Berichterstattung, die Blattlinie bzw. redaktionelle Leitlinien, vorgesetzte leitende Redakteure und Kolleg*innen, Publikumsforschung und Marktdaten, aber auch eigene Werte und Überzeugungen liegen bei um die 50 Prozent und zum Teil stark darunter. Oft oder sehr oft in den letzten 12 Monaten haben 50 Prozent der Befragten Stress erlebt. Die Studienautoren empfehlen daher der gesamten Branche nachdrücklich, Strategien und Programme zur Work-Life-Balance und Stressreduktion zu verbessern oder überhaupt erst zu initiieren.
Gegen die eigene Person gerichtete Hate Speech erleben 73 Prozent der Journalist*innen in der Schweiz, die öffentliche Diskreditierung ihrer Arbeit 67 Prozent. Von Einschüchterungsversuchen berichten 37 Prozent, von behördlichen Maßnahmen gegen sie 18 Prozent. Ein weiteres, in der Studie allerdings nur wenig detailliert beleuchtetes Problem ist die sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz. Sorgen um ihr psychisches Wohlergehen machen sich 39 Prozent der befragten Journalist*innen, 22 Prozent um ihr körperliches Wohlergehen. 34 Prozent sorgen sich davor, dass Angriffe auf sie und Kolleg*innen ungestraft bleiben. 12 Prozent haben belastende Gedanken über einen Jobverlust innerhalb der nächsten 12 Monate.
Lücken im Forschungsdesign
„Journalist*innen in der Schweiz“ gibt einen soliden Überblick über Arbeitsbedingungen, Rollenverständnisse sowie über die sozio-demographische Zusammensetzung des Berufsfeldes vor Ort. Nach Kausalitäten fragt die Studie nur selten. Zudem wird immer wieder versäumt, auf naheliegende weiterführende Fragen einzugehen. So etwa nach den typischen Wegen in den Journalismus und den damit verbundenen Exklusionsmechanismen und Repräsentationsproblemen. Insgesamt dürfte die Studie vor allem als Grundlage für die weitere empirische Forschung sowie für Debatten zur Verbesserung der Arbeitssituation dienen.
Ausdrücklich begrüßt wird von den Studienautoren ein bereits 2023 veröffentlichter Aktionsplan des Schweizer Bundesamtes für Kommunikation, der darauf abzielt, auf die Sicherheitsherausforderungen für Medienschaffenden aufmerksam zu machen sowie die Gesellschaft und Politik für die zentrale Bedeutung der Medien für funktionierende Demokratien zu sensibilisieren. Für 2025 plant die ZHAW eine repräsentative Befragung von Schweizer Journalist*innen zur Wahrnehmung der eigenen Sicherheitssituation.
Vor dem Hintergrund des Zusammenlegens von Redaktionen, der Zentralisierung von Ressorts, der parallelen Bewirtschaftung verschiedener Distributionskanäle sowie dem Primat der Kosteneffizienz ist der Leistungsdruck für Journalist*innen auch in der Schweiz gewachsen. Unter den häufig prekären Arbeitsbedingungen wird es zunehmend schwieriger, die Rollen einzunehmen, welche die Befragten als für ihr journalistisches Selbstverständnis zentral einschätzen – und die unerlässlich sind für eine aufgeklärte, selbstreflexive und demokratische Gesellschaft.