Rundfunkreform mit vielen Fragezeichen

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Bis zuletzt hatten die öffentlich-rechtlichen Anstalten auf ein Ende der Blockade einer Beitragserhöhung durch die Ministerpräsidenten der Länder gehofft. Die Verweigerungshaltung der Politik ließ ihnen am Ende keine Wahl: Am 19. November kündigten ARD und ZDF eine Klage beim Bundesverfassungsgericht an, um ihren Anspruch auf die von der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs (KEF) errechnete Empfehlung einer Beitragserhöhung um 58 Cent auf 18,94 Euro monatlich durchzusetzen.

„Dieser Schritt fällt uns schwer, aber wir können eine Verletzung des Verfahrens nicht hinnehmen“, erklärte ARD-Vorsitzender Kai Gniffke. Eine ausbleibende Beitragsanpassung würde für die Rundfunkanstalten nach Einschätzung der KEF „die zur Erfüllung ihres derzeitigen Auftrags notwendige Finanzierung gefährden“. Ähnlich äußerte sich auch ZDF-Intendant Norbert Himmler: „Die Unabhängigkeit unserer Berichterstattung steht und fällt mit der Unabhängigkeit unserer Finanzierung.“

Auf der Ministerpräsidentenkonferenz am 25. Oktober hatten die Landesfürsten ihre Entscheidung zur Beitragsfrage vertagt. „Wir haben beschlossen, dass wir heute nichts beschließen“, hatte damals Alexander Schweitzer, SPD-Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz und Vorsitzender der Rundfunkkommission der Länder, zum Verdruss der Verantwortlichen von ARD, ZDF und Deutschlandradio gekalauert. Ein halbes Dutzend Ministerpräsidenten unterschiedlicher parteipolitischer Couleur plädiert seit geraumer Zeit für „Beitragsstabilität“. Die Verabschiedung eines neuen Rundfunkfinanzierungsstaatsvertrags setzt Einstimmigkeit der Länder voraus.

Vor dem Bundesverfassungsgericht

Zugleich hatte Schweitzer für den 12. Dezember die „finale Beratungsrunde“ angekündigt. Damit war ausgeschlossen, dass die KEF-Empfehlung zum turnusgemäß vorgesehenen Termin am 1.1.2025 umgesetzt werden würde. Als Reaktion darauf entschieden ARD und ZDF, wie schon 2021 das Bundesverfassungsgericht anzurufen. Damals hatte das höchste Gericht der Beschwerde gegen die damalige Blockade des Landes Sachsen-Anhalt stattgegeben.

Erwartungsgemäß fielen die Urteile über das Vorgehen der Öffentlich-Rechtlichen sehr unterschiedlich aus. Nathanael Liminski, Medienminister von Nordrhein-Westfalen, sprach von einer „falschen Entscheidung zur falschen Zeit“. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder warnte, ARD und ZDF liefen Gefahr, „die Akzeptanz und den Rückhalt in der Bevölkerung“ zu „verspielen“. Dagegen begrüßte die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di die Verfassungsklage. Die klaren Vorschriften für die Finanzierung der Öffentlich-Rechtlichen würden von den Länderchefs derzeit missachtet. „Wenn die Politik ihre Verantwortung nicht wahrnimmt, muss das höchste Gericht entscheiden, dafür leben wir in einem Rechtsstaat“, kommentierte Christoph Schmitz-Dethlefsen, für Medien zuständiges ver.di-Bundesvorstandsmitglied. Dass es dazu kommen müsse, bezeichnete er als „Armutszeugnis“.

Der letztendlich beschlossene Kompromiss kam indes nur zustande, weil die Politik ausgerechnet die wichtige Beitragsfrage einstweilen ausgeklammert hatte.

Grundlage der KEF-Empfehlung

Die Rundfunkkommission war von den Länderchefs beauftragt worden, „mögliche Optionen zu prüfen und einen Vorschlag zu unterbreiten“, heißt es in dem Beschluss. Nach Medienberichten gibt es unter den Ländern bereits Überlegungen für ein neues Beitragsverfahren. Laut FAZ sieht das favorisierte Modell vor, den Rundfunkbeitrag ab 2027 auf Grundlage der KEF-Empfehlung per Verordnung festzulegen. In diesem Zusammenhang ist von einem „Basiswert“ die Rede, der von der KEF durch eine vergleichende Betrachtung für die darauffolgenden vier Jahre fortgeschrieben werden soll. Diese Fortschreibung könne sich am Verbraucherindex orientieren, bei gleichzeitiger Berücksichtigung des „Rationalisierungspotentials“ in den Anstalten. Da die Parlamente der auf diese Weise ermittelten KEF-Empfehlung zustimmen müssen, erscheint auch bei diesem Modell künftiger Parteienstreit programmiert.

Auf die konkreten Inhalte der Medienreform hatten die Ministerpräsidenten sich nach jahrelangen Verhandlungen Ende Oktober verständigt. An die 16.000 Stellungnahmen und Eingaben von Bürger*innen und Verbänden waren im Rahmen eines Online-Hearings zum Referentenentwurf bei der zuständigen rheinland-pfälzischen Staatskanzlei eingegangen. Darunter auch die gemeinsame Position von ver.di und DGB.

Der beschlossene Medienreformstaatsvertrag markiert eine Zäsur, denn er schwächt die Anstalten. Diverse Spartenkanäle werden eingestellt, ebenso jede vierte ARD-Hörfunkwelle. Gespart wird vor allem bei Kultur und Bildung. Beim Streitobjekt „Presseähnlichkeit“ von Online-Angeboten setzte sich die Verlegerlobby durch.

Ziel der Reform: ein „zeitgemäßer“ öffentlich-rechtlicher Rundfunk, der mit seinen Angeboten die Gesellschaft erreicht. Dafür soll der Auftrag von ARD, ZDF und Deutschlandradio qualitativ gestärkt und quantitativ begrenzt werden. „Moderner, schlanker, dabei auch zukunftsfest“ solle der ÖRR werden, so Schweitzer. Nicht alle Details des Paragrafenwerks sind bekannt, der genaue Vertragstext liegt noch nicht vor.

Starke Reduzierung von Hörfunkprogrammen

Elementare Bestandteile der Reform sind Zusammenlegungen von Spartenkanälen und eine starke Reduzierung von Hörfunkprogrammen. So sollen etwa im Bereich Nachrichten, Bildung und Information von den vier Sendern Phoenix, tagesschau24, ARD Alpha und ZDF info nur zwei übrig bleiben. Gegen die ursprünglich geplante Fusion von arte und 3sat hatte es massive Proteste gegeben. Offenbar unter dem Eindruck dieser kritischen Stimmen wurde diese Position jetzt abgeschwächt. Arte solle von einem deutsch-französischen Kulturkanal zu einer europäischen Kulturplattform ausgebaut werden, lockte Schweitzer. Eine Plattform, auf der „perspektivisch auch 3sat-Inhalte stattfinden“ könnten.

Die Gremienspitzen von ARD, ZDF, ORG (Österreich) und SRG (Schweiz) halten trotz dieser leichten Korrektur an ihrer grundsätzlichen Kritik fest. Man sei sich einig, dass 3sat nicht zu schwächen, sondern zu stärken ist. Die Bedeutung von 3sat für die länderübergreifende Vermittlung kultureller Vielfalt und Teilhabe mit einer täglichen Reichweite von mehr als fünf Millionen werde in Deutschland, Österreich und der Schweiz in Zukunft weiter zunehmen. Das gelte gerade in Zeiten der Verunsicherung und Spaltung, betonte Engelbert Günster, Leiter der ARD-Gremienvorsitzenden-Konferenz bei einem Treffen Anfang November. Es sei „wichtig, dass hier auch künftig alle Ausspielwege weiter genutzt werden und sich gegenseitig verstärken können“. Angesichts des mächtigen Monopols großer Digitalkonzerne sei eine gleichzeitige Reduktion kultureller Inhalte im ÖRR geradezu widersinnig, konstatierte Martin Andree, Professor für Medienwissenschaft und Digitale Medien an der Uni Köln. Schließlich ergebe sich aus dem 3. Medienänderungsstaatsvertrag „die zentrale demokratische Bedeutung der Kulturvermittlung“.

Fusion von Kanälen

Erhalten werden sollen auch drei Angebote, „die sich vor allem im Bereich Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene betätigen“. Das betrifft KiKa, das Online-Angebot funk, ARD One und ZDF neo. KiKa und funk gelten als gesetzt, die beiden Reprisenkanäle von ARD und ZDF dürften fusionieren. Reduziert werden soll auch der ARD-Hörfunk, und zwar nach einem ausgeklügelten Quotierungssystem um 17 Wellen auf dann noch 53. Möglicher Konfliktherd: Was wegfällt, sollen die Sendanstalten selbst entscheiden.

Etwas konkreter fasste die Rundfunkkommission die „Presseähnlichkeit“, das Dauerstreitthema zwischen ÖRR und Verlagen. Weniger Konflikte erhofft sie sich von der Einführung einer zwölf Punkte umfassenden „Positiv-Liste“. Nicht beanstandet würden demzufolge unter anderem „Schlagzeilen und die weitere Echtzeitberichterstattung“, Faktenchecks, „Maßnahmen zur Barrierefreiheit“, Informationen über die Sender selbst oder Textangebote, mit denen die Sender gesetzlichen Pflichten zur Information nachkämen. Social-Media-Angebote seien ohnehin nicht betroffen, heisst es.

Kompromiss bei Presseähnlichkeit

Ob dieser Kompromiss die Dauerfehde zwischen Verlegern und Öffentlich-Rechtlichen auf Dauer beendet, darf füglich bezweifelt werden. Schließlich hatte sich die Verlegerseite bis zuletzt für noch strengere Regelungen ausgesprochen. Auch ARD und ZDF dürften keine Jubelchöre anstimmen. Die Fesseln, die ihnen online weiterhin angelegt werden sollen, widersprechen im Grunde der verfassungsrechtlich garantierten Bestands- und Entwicklungsgarantie des ÖRR. Diese Garantie, so hatten die Karlsruher Richter festgestellt, erstrecke sich auch auf neue Dienste mittels neuer Techniken.

Der langjährige ZDF-Verwaltungsrat Leonard Dombusch hatte es als „absurd“, bezeichnet, „Texte auf öffentlich-rechtlichen Angeboten einzuschränken, während private Online-Angebote längst crossmedial und voll mit Video- und Audioinhalten sind“. Sein harsches Verdikt: Dieses „Zombie-Konzept“ habe in einem Reformstaatsvertrag „nichts verloren“.

Dass die Länder in der Frage der Beitragsfestsetzung nach wie vor auf Kollisionskurs mit den Anforderungen des Verfassungsrechts liegen, stößt unter Fachjuristen vielfach auf Unverständnis. Für einen Verfassungsrechtler sei es schwer zu begreifen, „dass die Politik immer wieder ignoriert, dass die Höhe des Beitrags keine politische Entscheidung ist“, wundert sich zum Beispiel Wolfgang Schulz, Direktor des Leibniz-Instituts für Medienforschung (Hans-Bredow-Institut) in Hamburg in einem Beitrag für das Juristenportal „Legal Tribune Online“. Die Sender hätten gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG Anspruch auf funktionsgerechte Finanzierung. Zwar könne gespart werden, indem die Politik den Auftrag reduziere. Aber das wirke natürlich nicht sofort kostenmindernd. Verweigerten die Länder dem ÖRR eine notwendige Beitragsanpassung für einen Zeitraum, in dem die Sparmaßnahmen noch nicht greifen, werde der Rundfunk damit unterfinanziert. Schulz: „Das geht verfassungsrechtlich nicht.“

Das Verfahren zur Ermittlung des Finanzbedarfs schließe Abweichungen von der Bedarfsfeststellung zwar nicht aus. Programmliche und medienpolitische Zwecke kämen aber in diesem Zusammenhang nicht in Frage. Bei aller Anerkennung für die „durchaus beeindruckende Reformleistung des heterogenen Länderkreises“, findet Schulz, „das ganze atmet aber schon auch ein gutes Stück Reaktion auf populistischen Druck und wenig Vorstellung davon, wohin sich die öffentlich-rechtlichen Anstalten entwickeln sollen, damit wir auch künftig ein funktionierendes Kommunikationssystem haben“.

Politisch motivierter Druck auf den ÖRR

Politisch motivierten Druck auf den ÖRR kritisiert auch ver.di-Vorstand Christoph Schmitz-Dethlefsen. Mit der Verweigerung der Beitragserhöhung zum Jahreswechsel provozierten die Bundesländer mit der Kostenschraube „eine Einschränkung der Programmvielfalt und der Zukunftschancen“. Der Gang der Anstalten zum Bundesverfassungsgericht nach Karlsruhe sei damit ein logischer Schritt.

Das neue Jahr 2025 beginnt also mit vielen offenen Fragen, was die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks angeht. Zwar dürfte das Aus der Ampel-Regierung kaum Auswirkungen auf die umstrittene Medienreform haben. Rundfunkpolitik ist Ländersache. Der Kampf der Beschäftigten von ARD, ZDF und Deutschlandradio um angemessene Arbeitsbedingungen wird aber weitergehen müssen. Spitzenqualität trotz politisch verursachter klammer Senderfinanzen gepaart mit stagnierenden Gehältern und Honoraren – diese Gleichung kann nicht aufgehen.


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