Die unangemessene Provokation

Portrait von Günter Herkel

Günter Herkel lebt in Berlin und arbeitet als freier Medienjournalist für Branchenmagazine in Print und Rundfunk.
Foto: Jan-Timo Schaube

Meinung

Sie haben es wieder getan. Zum zweiten Mal nach 2020 verweigern die Ministerpräsidenten den öffentlich-rechtlichen Anstalten die von der KEF empfohlene Anpassung des Rundfunkbeitrags. Gegen diesen abermaligen Verfassungsbruch ziehen ARD und ZDF erneut vor das Bundesverfassungsgericht. Gut so! Denn nach Lage der Dinge dürfte auch dieses Verfahren mit einer Klatsche für die Medienpolitik enden.

Dennoch hat die Blockadepolitik der Landesfürsten Folgen. Wegen des Ausbleibens der turnusmäßig zum 1.1.2025 fälligen Beitragssteigerung geraten viele Sender in finanzielle Schieflage. Vor allem die kleineren Anstalten sind auf einen zuverlässigen Finanzzufluss angewiesen. BR und MDR gehen in ihren Planungen zwar von dem erhöhten Beitrag in Höhe von 18,94 Euro aus, kalkulieren aber für 2025 vorsichtshalber Fehlbeträge zwischen 12 und 15 Millionen Euro ein. Unabhängig davon sparen die meisten Sender schon jetzt, dass es nur so quietscht: Etats werden eingefroren, Programme gekürzt. Speziell den Freien drohen massive Auftragseinbußen.

Dabei hatten die Karlsruher Richter in ihrer Entscheidung 2021 abermals die Bedeutung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks hervorgehoben. Gerade „in Zeiten vermehrten komplexen Informationsaufkommens einerseits und von einseitigen Darstellungen, Filterblasen, Fake News, Deep Fakes andererseits“ trage der beitragsfinanzierte ÖRR eine besondere Verantwortung.

Was heißt hier stabil?

Wann Karlsruhe über die Verfassungsklage entscheidet, ist unklar. 2021 zog sich das Verfahren bis in den August. Zwar fiel es zugunsten der Anstalten aus. Auf eine rückwirkende Zahlung der entgangenen Beiträge wurde jedoch verzichtet. Diesmal wollen die Länder den bisherigen Beitrag gar für weitere zwei Jahre einfrieren. Es sei „gut“, dass die Beiträge für Bürgerinnen und Bürger und Betriebe stabil blieben, äußerte der wiedergewählte Ministerpräsident Brandenburgs Dietmar Woidke.

Nebenbei bemerkt: Zum 1. Januar 2025 sollen die Diäten der Brandenburger Landtagsabgeordneten um etwas mehr als 500 Euro auf rund 9.800 Euro im Monat steigen, so die Bekanntmachung im Gesetz- und Verordnungsblatt für Brandenburg. Das automatische Verfahren zur Erhöhung, heißt es da, richte sich nach der Entwicklung der Einkommen und der Verbraucherpreise.

Dieser kräftige Schluck aus der Pulle sei den Volksvertreter*innen gegönnt. Aber Inflation und Kostensteigerungen treffen die Anstalten und ihre Mitarbeiter*innen nicht minder. Wenn nun in der Debatte um die Höhe des Rundfunkbeitrags die Politik den Eindruck zu erwecken sucht, ein Beitragsplus von schlappen 58 Cent stürze die Bürger*innen des Landes in den Ruin, ist das schlicht unredlich bis lächerlich.

Anpassung an Inflation

Das ergibt sich auch aus einer im laufenden Beitragsverfahren vom KEF-Vorsitzenden Martin Detzel angestellten Berechnung. Seine Kalkulation: Wenn der Rundfunkbeitrag seit 2009 immer an die Inflationsraten angepasst worden wäre, läge er nicht wie aktuell bei 18,36 Euro, sondern etwa sechs Euro höher bei fast 25 Euro.

Vor diesem Hintergrund erscheint ein Indexierungsverfahren allemal sinnvoller als das angeblich soeben beschlossene neue „gestaffelte Widerspruchsmodell“, bei dem weiterhin die Medienpolitik entscheidenden Einfluss auf das Beitragsverfahren hätte.

Nicht die Verfassungsklage von ARD und ZDF ist „unangemessen und eine Provokation“, wie Bayerns Landesvater Markus Söder behauptet. Eher die Reaktion der Medienpolitik, die aus offensichtlich populistischen Motiven seit Jahren die verfassungsrechtlich vorgeschriebene bedarfsgerechte Finanzierung der Öffentlich-Rechtlichen sabotiert. Dass diese Strategien die Fundamentalattacken der AfD auf ARD und ZDF nicht eindämmen werden, dürfte sich schon bei den Bundestagswahlen in zwei Monaten zeigen.


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