Besonders auf Social-Media-Plattformen wie TikTok und Telegram verbreiten sich rechtsextreme Narrative, die zur Polarisierung der Gesellschaft beitragen. Wie Journalist*innen dem entgegen wirken und antidemokratische Diskursräume zurückgewinnen können, diskutierten und erprobten etwa 70 Teilnehmende der diesjährigen #krassmedial-Sommerakademie von ver.di am Wochenende in Berlin-Wannsee.
Vor rechtsextremer Rhetorik auf Social Media warnte die Kulturwissenschaftlerin Vera Klocke, Host des Podcasts „Fashion the Gaze“, gleich zu Beginn. Wenn Martin Sellner, Sprecher der Identitären Bewegung in Österreich, sage „Tiktok ist Metapolitik auf Speed“ meine er damit den diskursiven Umsturz der Demokratie. Die AfD habe bei politischen Posts auf TikTok bereits einen Marktanteil von 70 Prozent.
Die Videos seien klassische Talking Heads von Abgeordneten, aber auch transportierte Codes der Rechten. Die Struktur von TikTok unterscheide sich von der anderer Plattformen wie Instagram, wo User den Inhalten folgen müssen. TikTok habe keine Followerstruktur, sodass die User schnell in Echokammern gerieten, die sie gar nicht aktiv suchten und aus denen sie dann nicht wieder rauskommen.
Social Media als „Schlachtfeld der Demokratie“
Die AfD hat schon viele Jahre Accounts in sozialen Medien, investiert dort 50 Prozent ihrer Parteigelder – das sind 7 Millionen Euro im Jahr. Die SPD investiere dort weniger als ein Prozent ihres Fraktionsbudgets, sagt Orkan Özdemir, Sozialdemokrat im Berliner Abgeordnetenhaus. Er sei mittlerweile auch aktiv auf TikTok, denn das „Schlachtfeld der Demokratie ist in sozialen Medien“. Die AfD führe dort einen gut organisierten „Informationskrieg“. Wenn Maximilian Krah etwas poste, „leiten das tausend andere weiter und so machen das alle“. Die AfD habe Vorfeldakteure gekapert, die Menschen leben in der „Realität der AfD“ und denken, „in Berlin ist Straßenkampf“.
Aus seiner Partei, der SPD, bekomme er für seine TikTok-Aktivitäten auch Kritik, berichtete Özdemir. Etablierte Politiker*innen hätten die emotionsgetriebenen Spielregeln von TiktTok nicht verstanden und sagten: „Das ist nicht mein Niveau“. Er selbst versuche, den Algorithmus zu überlisten, „um überhaupt an User zu kommen“, denn er müsse „gegen diese Rechten arbeiten“.
Demokratische Positionen stärken
Ein anderes Selbstverständnis hat die Gewerkschaft ver.di, die seit 2022 auf TikTok aktiv ist. Es gehe dort weniger um ein „Gegengewicht gegen Rechts“, sondern vielmehr um das eigene Empowerment, so Andreas Stangl, Leiter Social Media bei ver.di. „Gegen rechte Kommentare zu Themen wie Migration, Demokratie und Sozialstaat wollen wir die eigenen gewerkschaftlichen Positionen stärker in den Diskurs einbringen“, erläuterte er – allerdings ohne „etwa toxische Algorithmen, die auf Emotionen und Angst basieren“, zu bedienen. Es gehe um Aufklärungsarbeit, Vermittlung digitaler Bildung statt „im Straßenkampf anzutreten“. Ver.di wolle auch auf TikTok „eigene Erfolge stärker vermarkten. Wir wollen dort mit eigenen Themen gegensteuern, auch wenn wir dann weniger Reichweite haben. Das ist besser, als ständig hinterher zu laufen.“
Mit eigenen Themen aktiv gegensteuern
Orkan Özdemir, der in prekären Verhältnissen aufwuchs, entgegnete: “ Wenn Leute aus dem Bildungsbürgertum drüber reden, klingt sehr viel Klassismus mit!“ Er habe immer noch Kontakt zu seinem Kiez. Die Jugendlichen dort erzählten von Krah, der Erdogan lobe, weil er „für seine Türken einsteht“, doch Olaf Scholz kennen sie nicht. “Mit einer Strategie wie der von ver.di erreicht man Kevin oder Mohammed nicht!“ Deshalb brauche es den Ghetto-Handshake, man müsse in den Straßenkampf gehen, findet der Sozialdemokrat. Andreas Stangl meint, man brauche beides: die eigene Themensetzung, aber auch die angemessene Vermittlung.
Reclaim TikTok
Wie man Diskursräume auf TikTok für die eigenen Themen zurückerobern kann, zeige die Kampagne #reclaimtiktok, die Fridays for Future vor der Europawahl startete, so Vera Klocke. Die Klimaaktivist*innen luden dazu ein, Content zu teilen und auf Tiktok über Klimaschutz, Demokratie, soziale Gerechtigkeit und Europa zu sprechen. Für viele sei es ein Problem, dass sie auf TikTok nicht differenziert kommunizieren können. Doch es sei allein aus Quantitätsgründen wichtig, dass Jugendliche auch andere Infos bekommen, denn „sie benutzen TikToK wie Google, wenn sie etwas wissen wollen“. Eine weitere Möglichkeit, die Plattform zurückzuerobern, bestehe darin, rechten Hass und Hetze zu melden, so Klocke. Sie sei optimistisch, denn die hetzerischen Inhalte, die sie zu Forschungszwecken gespeichert hatte, sind jetzt gesperrt.
Sie plädierte dafür, die Plattform auf jeden Fall zu nutzen, denn jede Art von Interaktion beflügele unterschiedliche Emotionen wie Angst und Hoffnung: „Rechte nutzen das für Fakenews, wir nutzen das, um faire Inhalte reinzubringen!“ SPD-Politiker Özdemir nannte das „progressiven Populismus“. Inhaltliche Verkürzungen könne man durch Links zur Vertiefung von Themen ausgleichen, um Menschen mit Sachthemen zu erreichen.
Mit Mut und Ermunterung
Wie sehr anti-demokratische Inhalte auf Social Media die journalistische Arbeit in der realen Welt beeinflussen, wurde deutlich in einem Gespräch mit der Filmemacherin Mo Asumang und Christoph Richter, DLF-Landeskorrespondent für Brandenburg. Beide wurden von Rechtsextremen bedroht – im Netz und auf der Straße. Richter erzählte, bei einer rechten Demo in Köthen 2018 habe er eine „wahnsinnig aggressive Grundstimmung erlebt“ und von der Polizei gehört: „Ihr Journalisten seid das Problem, ihr provoziert mit euren Fragen!“ Trotz allem plädierten beide – zwischen Angst und Mut – dafür, weiter mit Rechten zu reden – etwa mit den Wähler*innen der AfD, um sie durch offene, inhaltliche Gespräche zurückzuholen.
Praktische Tipps für Medienmenschen
In den Workshops erfuhren die Teilnehmenden durch viel Input und praktische Übungen, wie man soziale Medien nutzen und gleichzeitig journalistische Standards einhalten kann. Einige Beispiele: Felix Edeha, TikTok-Host bei ARD Aktuell zeigte, wie aus Agenturmeldungen ansprechende TikTok-Videos entstehen – etwa zum Eklat um den türkischen Wolfsgruß bei der EM. In anderen Workshops ging es darum, wie Journalist*innen Telegram-Chatgruppen zur Recherche und als Sensor für zukünftige Themen nutzen können, wie man antisemitische Codes und rassistische Stereotype erkennen kann, um dann problematische Formulierungen wie „Clan-Kriminalität“ und Bilder von anonymen Menschenmassen und vollen Booten zu vermeiden und diskriminierungssensibler zu berichten.
In der Feedbackrunde betonten die Teilnehmer*innen auch, wie wichtig der gegenseitige Austausch neben den inhaltlichen Impulsen ist, um sich bei Recherchen und Bedrohungen gegenseitig zu unterstützen. Nur so könne man anti-demokratischen Öffentlichkeiten Paroli bieten.
Außerdem noch bei #krassmedial:
Follow the money – Geldflüsse in Leaks recherchieren
Geheime Zahlungen, Schwarzgeldkonten und Briefkastenfirmen im Steuerparadies werden nicht selten zur Gefahr für demokratische Institutionen. Sie ermöglichen versteckte Einflussnahme – und führen dazu, dass Behörden verborgene Reichtümer nicht aufdecken können. In den letzten Jahren kamen derartige Fälle immer wieder durch Leaks an die Öffentlichkeit. Wie funktioniert Recherche in solchen Leaks, wie findet man Ausgangspunkte für Geschichten? Und wie bekommt man das trockene Thema Finanzen so erzählt, dass es für das Publikum spannend wird? Referentin: Sophia Baumann (PaperTrailMedia)
Schutz digitaler Daten – das Beste aus deutschen Medienhäusern
Mit der digitalen Vernetzung der Medienproduktion steigen automatisch auch die digitalen Gefahren, gegen die sich Journalist*innen in ihrer Arbeit schützen müssen. Es gilt, kritische Recherchen abzusichern und Quellen zu schützen – zunehmend aber auch, nicht mit nur einem Klick den Betrieb eines gesamten Medienhauses lahmzulegen.
In diesem Workshop nennt Lilienthal erste, noch unveröffentlichte Ergebnisse aus der umfangreichen Forschung, die begleitend zu den Workshops durchgeführt und von der Bundesbeauftragen für Kultur und Medien finanziert wurde. Moßbrucker gibt darauf aufbauend eine Reihe praktischer Tipps. Es geht um den Schutz von Kommunikation, das Teilen großer Datenmengen und das Verwalten von Zugangsdaten in Teamrecherchen. Bei allem gilt: Sicher ist nur, was im journalistischen Alltag auch umsetzbar ist.
Referenten: Prof. Dr. Volker Lilienthal (Medienwissenschaftler, Uni Hamburg), Daniel Moßbrucker (Freier Journalist, Trainer für digitale Sicherheit)