Alle müssen User werden

Forum Lokaljournalismus 2000 der Bundeszentrale für politische Bildung zum Thema „Modelle für Morgen“

Die Neuen Medien rauben den Chefredaktionen den Schlaf und den Anzeigenabteilungen die Kunden. Wer modern sein will, muss mitmachen: Online-Medienprodukte werden in den Regionalzeitungen als eine Möglichkeit gesehen, neue Leserinnen und Leser für die Print-Produkte zu gewinnen. Sagt man. Tatsächlich geht es aber darum, die ins Internet entwischenden Rubriken-Anzeigen nicht zu verlieren. Denn die bringen Geld. Alles andere kostet nur.

Die Irritation ließ ein wenig auf sich warten: Ordentliche, engagierte und sehr um den Fortschritt bemühte Chefredakteure deutscher Regionalzeitungen wie der „Main-Post“, der „Rheinpfalz“, der „Schwäbischen Zeitung“ und auch der „Leipziger Volkszeitung“ hatten da schon ihr Rollenverständnis für die Zukunft dargelegt: Noch nicht ganz weg von dem Alles- und Besserwisser und noch nicht ganz angelangt beim Product manager. Sie hatten selbstredend auf Quali-tät gepocht, ohne allerdings deutliche Worte darüber zu verlieren, was journalistische Qualität besonders im Bereich des Lokalen sein kann. Sie hatten über Neupositionierung und Modernität gesprochen, über die Einbettung der Neuen Medien in der redaktionellen Arbeit, über die redaktionelle Arbeit als Teil und Inhalt der Neuen Medien, sie hatten von Redakteurinnen und Redakteuren als „Diensleistern“ geredet, hatten sogar das Wort „Personalverschiebungen“ anklingen lassen in der Folge von „Produktivitätsrechnungen“ einfachster Struktur – wie viele machen wie viele Seiten? – und die deutsche Übersetzung von user, „Nutzer“, wollten sie gar als Synonym für Leserinnen oder Leser verstanden wissen. Nicht alle und auch nicht jeder alles, aber insgesamt doch so unisono, dass sie damit das Thema des Forums Lokaljournalism 2000 im Berliner Konrad-Adenauer-Haus punktgenau getroffen zu haben meinten. Der Veranstalter, die Bundeszentrale für politische Bildung, die seit nun 25 Jahren ein Lokaljournalistenprogramm offeriert, konnte zufrieden sein.

Doch dann, es ging auf Mittag des zweiten Tages, schlug es plötzlich Zwölfe, und alle trauten erst ihren Ohren nicht. Thomas Sixta, Herausgeber einer nun wahrlich winzigen Lokalzeitung in der weiteren Umgebung Augsburgs, erinnerte mit einfachen Worten und bar jeden Hinweises auf Internet und Online-Dienste daran, wie man im ländlichen Raum eine erfolgreiche Lokalzeitung macht: Dazu brauche es engagierte Redakteurinnen und Redakteure, die vor Ort wohnen und leben, mit den Bürgermeistern per Du sind, mal hier und mal dort auch eine Runde schmeißen und Leser-Blatt-Bindung weniger durch eine Küchenmaschine als Abo-Prämie herstellen als durch Präsenz. So ginge das, sagte der junge Mann, nachdem er en passant die Leser-Blatt-Bindung als Leser-Blattmacher-Bindung definiert hatte, und erntete jene distanzierte Ungläubigkeit, die den Teilnehmerinnen und Teilnehmern erst einmal angemessen erschien im nicht gerade homogenen Auditorium, in dem neben Redakterinnen und Redakteuren auch Chefredakteure, Leitende Redakteure und andere Männer aus Führungsetagen jener Regionalzeitungen saßen, die sich Lokalredaktionen halten müssen, weil sie allein die Auflagen garantieren.

Den Dämpfer, den der Mann von der „Aichacher Zeitung“ den Herren über die medialen Technologieparks und ihrer Innovationsfreudigkeit verpasste, hatte zuvor schon der nun wahrlich mit allen Wassern des deutschen Journalismus gewaschene Chefreakteur der Münchner „Agendzeitung“ (AZ), Dr. Uwe Zimmer, anklingen lassen, als er berichtete, dass die AZ zwar alles versucht hätte, was empfohlen worden war, um Leserinnen und Leser zu halten, dass die Auflage zwar stabil – „Stabil aber ist nicht genug“ -, aber nicht gesichert sei. Entscheidend sei offenbar die „emotionale Komponente“, Zeitung müsse, so Zimmer, ein „Lebensgefühl vermitteln“: „Ihre Zeitung – ein gutes Stück Heimat“, ist der Slogan der Aichacher Zeitung.

Das relativierte manches, was dann noch folgte: Ob es nun eine eher misslungene Internet-Liveschaltung zur Multimediaredaktion des „Orlando Sentinel“ in Florida war, mit der eine High-Tech-Redaktion vorgestellt werden sollte, die alles macht – Zeitung, Radio, Fernsehen und Online-Dienste – oder ob es die Statements all derer waren, die in ihren jeweiligen Häusern die Verantwortung für Online-Dienste tragen und sich nicht ganz einig waren, ob Online die Ergänzung zu Print sei, ob die Trennung vollkommen aufgehoben werden müsse oder ob das eine belanglose Fragestellung ist, weil es tatsächlich nur darum geht, „mehr Nutzen aus einer Information zu schlagen“. Einig waren sie sich nur in ihrer Begeisterung, offen und selbstkritisch nur Klaus Krause, der den Online-Dienst der „Rheinischen Post“ leitet: Über journalistische Qualitäten schwieg er sich aus, über die User wusste er zu berichten, dass sie „jünger, klüger, reicher und männlicher“ als die Leserschaft der „Rheinischen Post“ seien. Bedauernd merkte er an, dass es noch Schwierigkeiten bereite, den Nutzer zu identifizieren, dass drei Viertel der Nutzer nicht im Verbreitungsgebiet der Zeitung wohnten, und dass mit Internet-Auftritten keine müde Mark zu verdienen sei – heute nicht, morgen nicht und übermorgen auch noch nicht. Deshalb ginge es darum, den absehbaren Verlusten der Zeitungen bei den Rubriken-Anzeigen etwas entgegen zu setzen, von dem man allerdings noch nicht wisse, wie es aussehen müsse.

Was Krause nicht wusste, wusste Gerd Schulte-Hillen auch nicht. Der Vorstandsvorsitzende von Gruner + Jahr, der das Abschlussreferat des Forums hielt, kalauerte eher unfreiwillig – „Die kleinste Zielgruppe ist das Individuum“ -, witzelte, dass die neue Technologie Fantasien auslöse – „Das ist auf der ganzen Welt so“ – und prognostizierte dann, dass „am Ende mehr Freiheit und mehr Wohlstand“ stünde.

All das fand einer aus dem Auditorium „euphorisiert und verwirrt zugleich“, und die gute Kinderstube gebot ihm hinzu zu fügen, dass er damit seinen Zustand und nicht den des Referenten meinte. Das aber war zum Lachen. Und so ging man fröhlich auseinander.


 

  • Bernhard Schneidewind (55), gelernter Lokalredakteur in Zürich und Gifhorn, dann „Die Neue“ (Berlin), „konkret“ und „Hamburger Rundschau“ (beide Hamburg), seit 1991 freier Journalist, Buch- und TV-Autor (Sat.1, Kanal 4, arte), Gesellschafter von „signum“ (Hamburg), lebt in Berlin.
nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Riesa: Einschränkung der Pressefreiheit

Die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union in ver.di Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen beobachtete am vergangenen Samstag die Demonstrationen in Riesa rund um den AfD-Parteitag. Ziel der Beobachtung war der Schutz der Presse- und Berichterstattungsfreiheit sowie der Aufdeckung potenzieller Gefährdungen für Journalist*innen. Insgesamt mehr als sieben Stunden war die dju während der zahlreichen Demonstrationen vor Ort. Die Gewerkschaft übt nun insbesondere gegenüber der Polizei Kritik am Umgang mit Journalist*innen und an der Einschränkungen der Pressefreiheit während des Einsatzes.
mehr »

Ampelbilanz: Von wegen Fortschritt

"Mehr Fortschritt wagen" wollte die Ampel-Regierung laut Koalitionsvereinbarung von 2021 – auch in der Medienpolitik. Nach der desaströsen medienpolitischen Bilanz der vorausgegangenen Großen Koalition, so die Hoffnung, konnte es nun eigentlich nur besser werden. Von wegen. Die meisten der ohnehin wenig ambitionierten Vorhaben der Ampel blieben im Parteiengezänk auf der Strecke. Für den gefährdeten Lokal- und Auslandsjournalismus bleibt weiterhin vieles im Unklaren.
mehr »

Österreichs Rechte greift den ORF an

Eines muss man Herbert Kickl lassen – einen Hang zu griffigen Formulierungen hat er: „Die Systemparteien und die Systemmedien gehören zusammen, das ist wie bei siamesischen Zwillingen,“ sagte der FPÖ-Spitzenkandidat auf einer Wahlkampfveranstaltung im September. „Die einen, die Politiker, lügen wie gedruckt, und die anderen drucken die Lügen. Das ist die Arbeitsteilung in diesem System“. Seinen Zuhörenden legte Kickl mit seinen Worten vor allem eins nahe: Die rechte FPÖ könne dieses dubiose System zu Fall bringen oder zumindest von schädlichen Einflüssen befreien.
mehr »

Die Entstehung des ÖRR in Deutschland

Im Jahr 1945 strahlten die deutschen Radiosender Programme der Militärregierungen aus. Zum Beispiel Norddeutschland. Dort hatte der nationalsozialistische Reichssender Hamburg am 3. Mai seine Tätigkeit eingestellt. Nur wenige Stunden später besetzten britische Soldaten das Funkhaus und schon am 4. Mai erklang eine neue Ansage: „This is Radio Hamburg, a station of the Allied Military Government.”
mehr »