Alte Klischees in neuen Zusammenhängen

Kaitlynn Mendes von der englischen Universität Leicester berichtete über die internationale Anti-Vergewaltigungs-Bewegung "Slut Walk"
Foto: CGC

Ehe für alle, Gender-Mainstreaming, Quote, Antirassismus, Patriarchatskritik – das alles wird mit „Feminismus“ verbunden. Einiges ist mittlerweile gesetzlich verankert, vieles wird aber – zunehmend aggressiver – bekämpft. Welche Rolle Medien im (Anti-)feminismus-Diskurs spielen, zeigte sich jüngst auf der Tagung „Feminismus und Öffentlichkeit“ am Frankfurter Cornelia-Goethe-Centrum CGC.

Vorzeige-Feministin Alice Schwarzer wettert gegen Genderstudien und agiert als „Bild“-Reporterin. In ihrer Biografie fokussierten sich Paradoxien der Frauenbewegung, so Geschlechter- und Medienforscherin Elisabeth Klaus. Sie konstatierte eine „neoliberale Vereinnahmung quer-feministischer Anliegen durch Abtrennung von Gesellschaftskritik“ – etwa wenn Bundeskanzlerin Merkel sich im April auf dem  W20-Gipfel  als „Feministin“ bezeichnet. Anknüpfend an die historisch verankerte Forschung der scheidenden CGC-Geschäftsführerin Ulla Wischermann führte Klaus ins Tagungsthema „Feminismus und Öffentlichkeit“ ein: „Wenn tiefgreifende Wandlungsprozesse, Krisen und damit einhergehende Verunsicherungen Gesellschaften kennzeichnen, kann die Vergangenheit ein wichtiger Haltepunkt sein, um zu sortieren, was neu ist und was nicht.“

Bereits im 19. Jahrhundert glichen sich die Klischeebilder vom „Juden“ und vom „Weib“: Beide galten etwa als „unzivilisiert und triebhaft“, so Jonas Fedders von der Uni Frankfurt. Da Antisemitismus seit der Nazizeit in Deutschland ein Tabu ist, leben die alten Klischees codiert weiter. So finden sich antijüdische Verschwörungstheorien im aktuellen Antifeminismus wieder.  Die „Rockefellers und Rothschilds“ sollen den Feminismus erfunden haben, um eine „Weltregierung“ zu errichten, „die alles bestimmt und kontrolliert“, so Fedders mit Verweis auf einen von Neonazis initiierten Internet-Blog, nach dem der „Genderismus“ auf eine „Umerziehung zum neuen Menschen“ zielt. Ähnlich äußere sich die konservative Publizistin Birgit Kelle: „In den Augen der Strippenzieher an der Gender-Front stören Eltern nur noch bei der Umformung ihrer Kinder zum neuen Menschen.“

Kelle ist auch eine Aktivistin der „Demo für Alle“, die 2013 mit Protesten gegen Bildungsreformpläne in Baden-Württemberg startete und mittlerweile bundesweit für die traditionelle Ehe eintritt. Die Bewegung wird seit 2014 organisiert von der Initiative Familienschutz und der Zivilen Koalition, dem Kampagnennetzwerk von AfD-Politikerin Beatrix von Storch, erläuterte Katharina Hajek, die zusammen mit Katja Chmilewski von der Uni Wien die „emotionale Pädagogik“ der Neuen Rechten in Deutschland analysierte. Sie werteten Online-Auftritte und Reden auf der „Demo für Alle“ aus, um herauszuarbeiten, wie „diffuse Ängste“ sozial Prekarisierter für die Mobilisierung von Gefühlen genutzt werden. Feindbild ist der „biopolitische Staat“, der heterosexuelle Identität und Versorgerehe durch seine Bildungspläne gefährde. So sagte Kelle auf einer Demo: „Während wir hier im Regen stehen, arbeiten Menschen in Ministerien daran, das aberwitzige Konzept Gender-Mainstreaming in unsere Schulen rein zu bringen.“

Medien für „Gedächtnispflege“ und „Intervention“

Wie wichtig Medien für die Aktualisierung des kollektiven Gedächtnisses als „Kitt“ einer Gesellschaft sind, verdeutlichten Vorträge zu Bewegungsöffentlichkeiten am Beispiel von Fraueninitiativen und ihren Protagonistinnen. Helene Lange (1848-1930) „ist die Frauenrechtlerin mit den meisten Googletreffern“, so die Augsburger Kommunikationswissenschaftlerin Susanne Kinnebrock. Das liege an ihrer „Gedächtnispflege“ durch zahlreiche Veröffentlichungen. Langes Wirken erfuhr dennoch unterschiedliche Deutungen. Während sie in der Weimarer Republik als Bildungsreformerin und liberale Politikerin gewürdigt wurde, gab es in der NS-Zeit kein Gedenken. Kinnebrocks Resümee: Da Erinnerungen unterschiedlich gedeutet werden können, sollten sie rechtzeitig verschriftlicht werden, denn „kollektive Gedächtnisse sind umkämpft und sollten nicht kampflos aufgegeben werden.“

Als autonome Frauen in den 1970er Jahren für Emanzipation kämpften, war aus dem kollektiven Gedächtnis verdrängt, dass der linke, radikale Flügel der ersten deutschen Frauenbewegung bereits um 1900 Themen wie Mutterschaft und Sexualität behandelt hatte. Die Soziologin Ute Gerhard, Inhaberin des ersten deutschen Lehrstuhls für Frauen- und Geschlechterforschung, sagte, das sei erst durch die Analyse von Frauenzeitschriften wiederentdeckt worden.

Medien werden von Feminist_innen nicht nur zum Identitätsstiftenden Rückblick genutzt, sondern vor allem zur aktiven Einflussnahme auf die öffentliche Meinungsbildung. Monika Pater von der Universität Hamburg verdeutlichte das am Beispiel der frühen Lesbenbewegung in der BRD. Wegen schlechter Erfahrungen mit der Bildzeitung, die 1973 eine diffamierende Serie über „Das Verbrechen der lesbischen Frauen“ veröffentlichte, wurden die Aktivist_innen misstrauisch. Als der WDR 1974 die Doku „Und wir nehmen uns unser Recht“ produzierte, bestanden die dort interviewten Frauen des Lesbischen Aktionszentrums Berlin z. B. darauf, die Fragen vorher zu sehen. Als sie wegen der „Bild“-Serie im Gerichtssaal erschienen, titelte das Blatt am 17.11.1974: „Richter fliehen vor lesbischen Frauen“.

Strategien gegen antifeministische Diskurse

Wie man heute „der Öffentlichkeit verkaufen kann, dass Feminismus notwendig ist, weil wir in einer Welt ohne Gleichberechtigung leben“, erläuterte Kaitlynn Mendes von der englischen Universität Leicester am Beispiel des Amber Rose Slut Walks in den USA. Die internationale Anti-Vergewaltigungs-Bewegung Slut Walk startete 2011 in Kanada, nachdem ein Polizist in Toronto gesagt hatte, Frauen sollten sich nicht wie Schlampen (sluts) kleiden, wenn sie sexuelle Übergriffe vermeiden wollten. Es sei schwierig, „außerhalb der Logik des neoliberalen Kapitalismus zu agieren“ stellte Mendes fest und berichtete, wie erfolgreich die amerikanische Aktivistin Amber Rose Marktmechanismen für „brand feminism“, d. h. seine Etablierung als „Marke“ nutzt. Rose gewinnt große Firmen als Sponsoren, verkauft Party-Tickets, T-Shirts, Pussy-Hüte.

„Interventionen in die Antifeminismusdebatte“ analysierte Genderforscherin Franziska Rauchut vor dem Hintergrund aktueller Entwicklungen in Deutschland. Bereits 2006 diffamierte FAZ– Politikchef Zastrow Gender-Mainstreaming als „politische Geschlechtsumwandlung“ und eine „Hart-aber-fair-“Sendung fragte 2015: „Nieder mit den Ampelmännchen – Deutschland im Gleichheitswahn?“ Eine Gegenöffentlichkeit versuchte, diesen antifeministischen Bestrebungen zu begegnen – etwa in feministischen Medien oder Kinofilmen.

Wie Zeitungen und TV-Sender diesen Diskurs thematisieren, untersuchte Rauchut an Medienbeiträgen zwischen 2014 und 2017. Ergebnis: Antifeminsimus erscheint als Backlash – Gegenreaktion des „vernachlässigten Mannes und Vaters“. Es gibt Appelle, Feminismen nicht gegen einander auszuspielen und Hinweise auf „Interventionen, Widerstand, Protest und Geschlechterforschung“. Die Berichterstattung sei „ambivalent“ gewesen. Da gab es Verteidigungstrategien wie „Nicht alle Feministinnen sind Männerhasser“, aber auch kapitalismuskritische Angriffe auf antifeministische Positionen. Als positiv aus feministischer Sicht wertet Rauchut eine  „Tagesspiegel“ -Serie von 2015 über die Gender Studies und eine WDR-„Frau-TV“-Sendung, in der Protagonist_innen gegen Antifeminismus zu Wort kommen. Aus den Ergebnissen entwickelt Rauchut einen Leitfaden zur Sensibilisierung für (anti-)feministische Berichterstattung, der in etwa einem halben Jahr publiziert werden soll. Sechs Punkte gilt es demnach zu beachten – etwa „Begriffe erklären und (wieder-)besetzen“. Den „besorgten Bürgern“ z.B. die „besorgten Demokratinnen“ entgegenstellen.

Fazit: Angesichts von Antifeminismus auf der einen Seite und inflationärem Gebrauch des Begriffs „Feminismus“ auf der anderen wurde vor allem über Reaktionsmöglichkeiten diskutiert: Wie können Spaltungen innerhalb der quer-feministischen Bewegung vermieden und wie können ihre Anliegen in die breite Öffentlichkeit getragen werden, ohne dass insbesondere die im feministischen Projekt enthaltene Gesellschaftskritik verloren geht. Antworten bot der Appell von Elisabeth Klaus, die forderte, „zentrale Werte wie Gerechtigkeit und Solidarität“ nicht aufzugeben und Unterschiede zwischen Feminist_innen zum Ausdruck zu bringen und sachlich dazu Stellung zu nehmen: „Der Kampf muss auf allen Ebenen der Öffentlichkeit stattfinden.“

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