An der Schnittstelle

„Zeit“-Bildredakteurin Amelie Schneider (3.v.l.) erklärte die spezielle Bildsprache in der gedruckten Ausgabe. Mit ihr auf dem Podium: Nadja Masri (Ostkreuzschule), Henner Flohr (FAZ) und Moderatorin Miriam Zlobinski (v.l.). Foto: Marcel Zeumer

Weil Bildredaktionen mehr können als nur Bilder beschaffen

Bildredaktionelle Tätigkeiten und die Menschen, die sie leisten, stehen selten im Fokus. Das solle sich ändern: Der erste digitale Studientag Bildredaktion beim Studiengang Fotojournalismus und Dokumentarfotografie der Hochschule Hannover am 19. November 2021 rückte Akteure und Erfordernisse ins Blickfeld. „Zwischen Symbol und Information – Der bildredaktionelle Umgang mit der Fotografie im Journalismus“ wurde debattiert.

„Bildredakteur*in“ sei keine geschützte Berufsbezeichnung, es gebe außerhalb des Arbeitsfeldes wenig Wissen über dessen Spezifik, kein Handbuch, kein Austauschgremium, erklärte Organisator und Gastgeber Dr. Felix Koltermann. Und dass originäre Bildredaktionen flächendeckend „nur bei den überregionalen Blättern und Onlinemedien sowie in Zentralredaktionen wie bei Funke“, im Lokaljournalismus aber „weitestgehend inexistent“ seien. Nicht einmal 50 solche redaktionellen Einheiten zähle man also. Doch auch ohne eigenes Ressort fielen bildredaktionelle Tätigkeiten in den Medien allerorten an.

Trend zum visuellen Journalismus

In einem Impulsvortrag beleuchtete zunächst Norbert Küpper aktuelle Trends für Fotoarbeit und Editorial Design. Als erfahrener Zeitungsdesigner und Buchautor befasst sich Küpper auch mit Grundlagenforschung. Wie wichtig Bilder als „Einstiegsmomente in die Zeitungsseite und für maximale Aufmerksamkeit“ sind, belegte er an Beispielen, darunter Lokalzeitungen wie „Mindener Tageblatt“, „Fuldaer Zeitung“ oder „Kölner Stadtanzeiger“. Der Trend „zum visuellen Journalismus“ führe eindeutig zu größeren Fotos als Aufmachern, zu aufgeräumten Seiten mit weniger Themen, zu klaren Hierarchien in den Bildgrößen sowie zu Bild-Blocks. Die Verwendung ganzer Foto-Sequenzen, von extremen Hoch- oder Querformaten oder freigestellter Bilder sorgten für mehr Dynamik. Auch bei Porträts zeige sich eine Entwicklung zu zeitschriftenartiger Gestaltung mit viel Weißraum, Unschärfeeffekten oder außergewöhnlichen Formaten; online zu mehr Bewegtbild-Nutzung.

Es dominiere sehr nahes Herangehen und der Pars-pro-Toto-Blick auf Details, zusätzlich suche man ungewöhnliche Kameraperspektiven und Blickwinkel, etwa aus der Luft oder knapp über der Erdoberfläche. Noch immer selten in deutschsprachigen Zeitungen seien Fotoreportagen; in den Niederlanden oder skandinavischen Ländern bildeten sie übliche „Höhepunkte“ redaktioneller Bildarbeit und würden als Möglichkeit zu „Visual Story Telling“ genutzt. In hiesigen Lokalredaktionen sei die Praxis weiter stark verbreitet, Texter von Terminen auch Fotos mitliefern zu lassen. Da sei „keine Änderung in Sicht“. Doch habe Deutschland nach Einschätzung Küppers bei Bildgrößen und Bildqualität international „aufgeholt“.

„Bildredaktionen arbeiten an einer elementaren Schnittstelle, sie kombinieren visuelle Anreize und journalistische Sorgfaltspflicht“, so Miriam Zlobinski, die auf dem ersten Podium Leiter*innen von Bildredaktionen begrüßen konnte. „Vielschichtige Kompetenzen“ bescheinigte Nadja Masri von der Ostkreuzschule für Fotografie professionellen Bildredakteur*innen, die auf einem visuellen Bildgedächtnis fußten, „dezidierte Darstellungs- und Analysefähigkeiten“ ebenso umfassten wie Neugier und ethische Grundsätze, aber auch Netzwerken und den Willen, redaktioneller Fotoarbeit „eine eigene Handschrift zu geben“. Organisieren und Kommunizieren sowie inhaltlich-konzeptionelles Denken müssten hinzukommen. Der Beruf hieße aus gutem Grund nicht „Bildbeschaffer“.

Nicht ausschließlich nachrichtlich

Henner Flohr berichtete davon, dass die Bildredaktion der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (FAZ) täglich 16.000 Fotos neu ins System gespielt bekäme, alle würden gesichtet, um letztlich die auszuwählen, die in der täglichen Ausgabe stattfinden sollen: „Inhalt steht ganz klar im Fokus.“ Speziell bei Seite-1-Titelbildern versuche man, „nicht ausschließlich nachrichtlich vorzugehen, häufiger um die Ecke zu denken und mit dem Text neue Zusammenhänge herzustellen“.

Als Wochenzeitung stehe man weniger in der aktuellen Informationspflicht, erklärte Amelie Schneider für die Printausgabe „Die Zeit“. Aufmacherbilder würden von der Idee über Konzept, Bildsprache bis zum Lichteinsatz meist selbst beauftragt, mit Fotograf*innen besprochen und im Studio produziert. Bildunterschrift und Foto-Nachweis wiesen das entsprechend aus. Über die Wichtigkeit eines „Code of Publication“ bestand Konsens. Exakte Angaben über Entstehungsort, -zeit und mögliche Bearbeitung von Aufnahmen stärkten die Bildlesefähigkeit des Publikums und dienten der Glaubwürdigkeit des Mediums, so Masri. Man müsse „Fotos für die Leser einordnen und nachvollziehbar machen“, bekräftigte Schneider. Wegen der speziellen Bildsprache sei die Nutzung von Stockfotos bei der „Zeit“ fast ausgeschlossen. Flohr hielt dagegen: Schon aus Zeitgründen kämen Stockfotos und Symbolbilder mit informativem und illustrierendem Charakter in der aktuellen Produktion bei der „FAZ“ breit zum Einsatz.

Ziemliche Übereinstimmung zeigte sich in der Frage, ob Spaltengestaltung und vorgegebene Formate den Beschnitt von Fotos rechtfertigen: „Wir sehen Fotografen auch als Urheber. Extreme Beschnitte sind grenzwertig“, so Flohr für die „FAZ“. Von Ausnahmen abgesehen solle sich eine Redaktion nicht anmaßen „Fotos durch Beschnitt besser machen zu wollen“, so Masri. Noch weiter ging Amelie Schneider: „Jedes Bild, das beschnitten werden muss, ist für den konkreten Fall nicht das richtige.“ Fotografen hätten das Recht, sich gegen Veränderungen zu wehren.

Königsdisziplin mit schlechtem Image?

Die „Zeit“-Bildchefin brach eine Lanze für das „Symbolfoto“. Ungeachtet des schlechten Images sollte es zur „Königsdisziplin aufgewertet“ werden. Man könne auch mit Einzelbildern aus dokumentarischem Kontext symbolische Aussagen entwickeln. Die Gefahr, dass Leser*innen gegenüber solchen „gestellten Fotos“ dann nachrichtliche Bilder weniger zu schätzen wüssten, sah dagegen Flohr. Generell scheine das Misstrauen des Publikums gegenüber Fotos zu wachsen, sagte er mit Blick auf Leserreaktionen. Der Wahrheitsgehalt werde hinterfragt oder sogar kriminelle Energie bei Fotobearbeitung vermutet. Flohr betonte die „vermittelnde Rolle“ von Credit und Bildinformation, um etwa auch zu zeigen, dass Fotos – wie aktuell solche von der polnisch-belarussischen Grenze – als Handout von staatlichen Behörden oder Regierungen kämen. Schneider sprach sich dafür aus, „neue Regeln zur Fotokennzeichnung einzuführen“ und Aufnahmeumstände ausführlich auszuweisen. Masri riet, Fotos als „historische Momentaufnahme“ zu kennzeichnen.

Ob und wie Bildredaktion ohne Bildredakteur*innen funktioniere, wurde in einem Panel zum Lokaljournalismus debattiert. Einen „erheblich gewachsenen Stellenwert“ hätten Fotos in der Tageszeitung, sie seien „nicht wegzudenken“ und erfüllten „Einladungs- und Ankerfunktion“ attestierte das Podium. Doch lagen Anja Bleyl aus der Zentralredaktion der Funke Mediengruppe und die freie Bildredakteurin Ina-Jasmin Kossatz oft konträr zu Hendrik Brandt, Chefredakteur der „Hannoverschen Allgemeinen Zeitung“ (HAZ), der Bildredaktion als Querschnittsaufgabe crossmedialen Herangehens sah. Digitale Ausspielwege zuerst zu bedienen erfordere integriertes Arbeiten: „Ein Reporter fährt zu einem Unfall, recherchiert, macht Fotos und ein Video und speist das unmittelbar für den gesamten weiteren Produktionsprozess zur Nutzung ein.“ Sollten Bildredakteur*innen zwischengeschaltet werden, müsse das „ein ganzer Stab von Menschen sein, die parallel arbeiten“. Das sei ineffektiv. „Wir wollen das, was nur einmal gemacht werden muss, auch nur einmal tun.“

Eine Analyse zur Fotonutzung, an der Ina-Jasmin Kossatz 2019 beteiligt war und die 168 Lokalteile von Zeitungen in Nordrhein-Westfalen einbezog, bestätige: Ein Großteil von Fotos sei von ausgewiesenen Fotograf*innen gemacht worden. Fast in gleichem Umfang würden aber Fotos von schreibenden Redakteur*innen verwendet – oft als Beleg-„Schnappschuss“, dass Autor*innen wirklich vor Ort waren. Ihre Hospitation in der Lokalredaktion von Bocholt-Borken habe bestätigt: „Das meiste wird mit Autorenfotos bebildert. Und die Kolleg*innen erklärten mir, sie würden gern mehr übers Fotografieren lernen“, so Kossatz.

Qualifizierung bleibt wichtig

Fotoarbeit sei Thema interner Schulungen, versicherte der HAZ-Chefredakteur, „wenngleich noch nicht umfänglich genug“. Qualifizierung bleibe wichtig, zumal Bewegtbild-Nutzung im Lokalen zunehme. Parallel, so Brandt, sehe er einen „Rückgang von Optionen für angestellte Fotograf*innen. Die müssten ihre Existenz täglich rechtfertigen und sich „zusätzlich ertüchtigen“. Mehr Wertschätzung und bildredaktionelle Aufmerksamkeit für das Lokale forderte Anja Bleyl. Selbst bei Online-Ausgaben solle man sich durch „eigene Inhalte“ hervortun, „die man nicht ergooglen kann“. Qualität koste auch hier vor allem Zeit.

Nach einer „visuellen Handschrift für die gedruckte Zeitung“ fragte Moderator Felix Koltermann. „Old Fashioned“ fand das der HAZ-Chefredakteur, schließlich arbeite daran keiner mehr allein, Standards würden „immer wieder neu ausgehandelt“. „Wir debattieren viel“, versicherte Anja Bleyl für Funke. „Unser Ziel: Das beste Bild in den Aufmacher. Das kann aber durchaus auch eine Illustration sein…“ Sie forderte, Bildredaktionen ernster zu nehmen, in der Fotoarbeit mehr Flexibilität zu erreichen, „mehr Geschichten hinterm Bild zu erzählen und Fotos auch atmen zu lassen“.

 

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