Analyse statt PR

Foto: Hendrik Schmidt / Picture Alliance

Wie sollen Medien über die AfD berichten? Ich habe ein paar Stichworte zusammengestellt, die mir wesentlich erscheinen. Sie speisen sich aus meiner Erfahrung als journalistische Mitarbeiterin der Amadeu Antonio Stiftung, die sich zum Ziel gesetzt hat, eine demokratische Zivilgesellschaft zu stärken, indem sie Projekte fördert und Organisationen, Medien, Kultureinrichtungen und Politikmacher*innen zum Umgang mit Rechtsextremismus und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit berät.

Im Zwiespalt: Medien und die AfD

Die AfD hat ein gespaltenes Verhältnis zur Pressefreiheit und zu den Medien. Berichten sie nicht in ihrem Sinne, sind es Lügner. Journalist*innen hingegen stehen vor der Herausforderung: Wie umgehen mit einer demokratisch gewählten Partei, die sich des rechten Populismus bedient, um ihre nationalistische und rassistische Programmatik unters Volk zu bringen? Eine längst überfällige Debatte!
Mehr unter: https://mmm.verdi.de/medien-und-die-afd/

Über die AfD muss berichtet werden – aber nicht über jede Kleinigkeit. Weder hochschreiben noch verschweigen, das ist die Kunst. Gut funktionieren Sammel-, Überblicks- und Analyseartikel. Die AfD verfolgt spätestens seit 2017 die Strategie, durch mehr oder weniger gezielte Provokationen Presseöffentlichkeit zu generieren – ihre Anhänger*innen wissen zu schätzen, wenn AfD-Thesen in breitenwirksamen Medien platziert werden, selbst wenn der Tenor des Artikels kritisch ist. Dies gilt sogar als Gütezeichen in einer rechtsalternativen Welt, die das Bild der „Lügenpresse“ verinnerlicht hat. Also: Nicht jede Einzelaktion berichten – aber das ideologische Gedankengebilde zeigen und einordnen. Dabei gilt außerdem: Möglichst viel in eigenen Worten sagen und möglichst wenig rechtsextreme oder rechtspopulistische Positionspapiere, Transparente, Facebook-Posts in ihren Worten wiedergeben – das reproduziert die Abwertung nur und freut die Menschenfeinde, die sie geschrieben haben. Alles, was zitiert wird, sollte auch eingeordnet werden.

Simone Rafael Foto: Amadeu Antonio Stiftung

# Zahlen und »Fakten« hinterfragen

Umfragen und Statistiken haben immer Autor*innen – manche von ihnen stehen der AfD nah. Deshalb sollte mediale Berichterstattung nicht jede scheinbare Sensationszahl unkommentiert übernehmen, sondern intensiv die Seriosität und Belastbarkeit von Zahlen und Quellen prüfen. In Talk-Runden (oder in Online-Diskursen) überwältigen AfD-Redner*innen Mitdiskutant*innen oftmals mit Zahlen und vorgeblichen Fakten. Stets sollten Quellen erfragt und »Fakten« auf ihren Wahrheitsgehalt hin überprüft werden. Aktuell (November 2019) hat die AfD eine Studie erstellen lassen, die auf den ersten Blick Wissenschaftlichkeit mit vielen Fußnoten suggeriert. Allerdings sind manche der zitierten Stellen keine recherchierten Beiträge, sondern Leserbriefe in Zeitungen.

# Menschenfeindliche Positionen benennen

Die AfD vertritt rassistische, islamfeindliche, antisemitische, sozialdarwinistische, wohlstandschauvinistische und sexistische Positionen – teilweise sogar den Nationalsozialismus verharmlosende Aussagen. Diese sollten als solche benannt werden – aber noch wichtiger ist es in der Presseberichterstattung zu erklären, warum diese Aussagen so eingeordnet werden und was an der Aussage problematisch oder schlicht demokratiefeindlich ist. Die bloße Benennung überzeugt Unentschlossene noch nicht von der Redlichkeit der journalistischen Wertung – die Begründung schon. Auch hinter scheinbar konservativen Themen steckt häufig eine Abwertung von Minderheiten oder die Einschränkung von Freiheitsrechten für Gruppen von Menschen.

# Interviews: Gut vorbereitet fragen

Gute Interviews mit AfD-Vertreter*innen zeichnen sich durch konsequente Fragen bis zum Kern einer Aussage aus. Rechtsradikale arbeiten mit Ängsten, Anschuldigungen und Mutmaßungen – Lösungen für die Probleme, die sie darstellen, haben sie selten. Meist ist die einzig präsentierte Lösung schlicht Rassismus (Grenzen zu, Migrant*innen raus usw.). Zur Konsequenz ihrer Forderungen stehen sie nur ungern (Menschen an Grenzen erschießen, Religionsfreiheit einschränken, „Menschen jagen“ als Gewaltaufruf verstehen usw.). Sinnvoll ist außerdem, alle von AfD-Vertreter*innen als „Fakten“ präsentierte Aussagen zu hinterfragen und gegebenenfalls richtig zu stellen – oft genug wurden AfD-Mitglieder bereits beim Lügen in Interviews ertappt. Aber gegen Sie sich keiner Illusion hin: Zielgruppe eines kritischen oder gar entlarvenden Interviews ist vor allem die politisch interessierte bis unentschlossene Öffentlichkeit. AfD-Anhänger*innen leben in großen Teilen inzwischen in einer wahnhaften Alternativwirklichkeit, in der noch das entlarvendste Interview – etwa das ZDF-Interview mit Björn Höcke zu seiner Sprache und seinem Demokratieverständnis im September 2019 – als PR-Erfolg gewertet wird, und sei es durch Täter-Opfer-Umkehr (der Interviewer habe so unfair gefragt usw.).

# Interviewrunden: Mit guter Vorbereitung

Wenn AfD-Politiker*innen in Interviewrunden sitzen: Ist der oder die Moderator*in einem geschulten Agitator inhaltlich gewachsen? Sind es die Mitdiskutierenden? Es ist wenig hilfreich, wenn einem rhetorisch geschulten AfD-Politiker gegenüber eine politisch wenig bewanderte Schauspielerin sitzt, die dann die Demokratie argumentativ vertreten soll. Gesprächspartner*innen auf Augenhöhe machen auch einfach das Gespräch journalistisch interessanter. Hilfreich ist auch, sich nicht an AfD-Gästen „abzuarbeiten“, sondern die AfD lieber zu Sachthemen einzuladen, nicht zu ihren Lieblings-(Provokations-)Themen. Nach einem antisemitischen Terroranschlag ist es unnötig, einem AfD-Vertreter Raum für Rechtfertigungen, Whataboutism („Was ist mit Linksextremismus?“) oder Abwertungen anderer Gruppen zu geben – auch wenn Journalist*innen auf der Suche nach Sensationen vielleicht erhoffen, dass genau dies bei den Zuschauer*innen zieht. Wenn sich Moderator*innen durch ihre Fragen als „Anwält*innen“ der Zuschauer*innen darstellen: Bitte nicht nur Perspektiven von „besorgten Bürger*innen“ übernehmen, sondern auch die von Geflüchteten oder angegriffenen Minderheiten.

# Ausgewogenheit ohne Selbstdarstellung

Muss die AfD immer mit befragt werden, um ausgewogen zu berichten? Wenn sie immer alle Parteien befragen, die bei Ihnen zur Wahl antreten, kommen sie kaum darum herum. Wenn Sie sonst auch auswählen – dann nein. Wenn es daran Kritik gibt? Muss man sie aushalten. Und am besten begründen, warum man der AfD kein Podium bieten will. Alternative ist: Positionen referieren, aber nicht direkt zitieren (weniger Möglichkeit zur Selbstinszenierung).

# Umgang mit Sachpositionen: Beweggründe benennen

Bei Berichten über AfD-Sachpositionen auch die dahinterliegende Intention benennen, denn die ist nämlich oft anders als bei anderen Parteien (z.B. AfD wehrt sich gegen „Frühsexualisierung“ an Schulen – Wirkt wie: Sorgt sich um Kinder – Gemeint ist: Abwertung von homosexuellen, transsexuellen und queeren Menschen).

# Guter Journalismus reicht

Keiner der Tipps für die Berichterstattung über die AfD kann und sollte nicht auch für die Berichterstattung über andere politische Akteur*innen angewandt werden. Handwerklich gut gemachter und konsequenter Journalismus ist ein gutes Mittel zum Umgang auch mit der AfD.

Zum Schluss noch einen Wunsch an Chefredakteur*innen, Chefs und Chefinnen vom Dienst, der allerdings auch nicht nur für die AfD gilt: Auch wenn es menschlich ist, provokante Aussagen zu titeln und zu twittern, weil sie Aufmerksamkeit und Klicks bekommen, wäre es im Sinne einer journalistischen Verantwortung für gesellschaftliche Debatten wünschenswert, zumindest abwertenden Aussagen nicht durch Zitat in Überschriften oder Posts zu verstärken. Eine sachliche, aber dennoch interessante Überschrift zu finden, ist doch auch eine journalistische Herausforderung.

Simone Rafael ist Chefredakteurin von www.belltower.news – Netz für digitale Zivilgesellschaft, der journalistischen Plattform der Amadeu Antonio Stiftung.

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