Veranstaltungsreihe „Journalismus ist kein Verbrechen“ – 2. Station: Frankfurt am Main
Mustafa Kuleli ist in Frankfurt am Main von besorgten Gewerkschafter_innen der dju in ver.di empfangen worden. Sie wollten wissen, was sie für die etwa 150 in der Türkei inhaftierten Kolleg_innen tun können. „Ich schätze die Solidarität sehr, aber wir müssen alle noch mehr Aktivität zeigen“, sagte der Generalsekretär der türkischen Journalistengewerkschaft TGS.
Wie schlimm die Situation für die inhaftierten Journalist_innen in der Türkei tatsächlich ist, hatte Mustafa Kuleli zuvor bereits am Nachmittag des 5. Mai im Interview mit der Frankfurter Rundschau in deren Redaktionsräumen geschildert. Auch der Fachbereichsleiter Medien, Kunst und Industrie (Hessen) bei ver.di, Manfred Moos, berichtete abends bei der Veranstaltung im Frankfurter DGB-Haus, wie brutal es im Gefängnis zugeht: Silivri sei ein Ort, „an dem sich Journalisten, Politiker und Autoren befinden, die in verschärfter Einzelhaft festgehalten und deren Rechte missachtet werden“. So zitierte er aus einem Interview über die Haftbedingungen des seit mehreren Monaten inhaftierten Journalisten Ahmet Sik, das dessen Bruder Bülent Sik „taz gazete“ gegeben hatte.
Die Politologin Ilkay Yücel, Schwester des seit 27. Februar in der Türkei inhaftierten deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel, berichtete bei der Veranstaltung in Frankfurt, dass ihr Bruder vor allem unter der Einsamkeit leide. Er habe mit Ahmet Sik zusammen in eine Zelle gewollt. Das sei abgelehnt worden. „Wir wollen alles in unserer Macht stehende tun, damit die Kolleginnen und Kollegen freikommen“, sagte Manfred Moos. Aktuell hat die dju eine Kampagne mit Postkarten mit dem Aufdruck „Journalismus ist kein Verbrechen“ initiiert. Die werden, mit Grüßen von deutschen Journalist_innen versehen, an die Kolleg_innen dort im Gefängnis verschickt, um zu signalisieren, dass sie nicht in Vergessenheit geraten sind.
Nach den Schilderungen, in welch fatale Situation die mutigen türkischen Journalist_innen geraten, weil sie die Meinungsfreiheit nicht aufgeben wollen, stellte eine Mitarbeiterin des Hessischen Rundfunks eine kritische Frage: Wie hatte es so weit kommen können, dass hierzulande erst so spät registriert wurde, dass sich der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan vom vermeintlichen Demokraten zum Despoten entwickelte? Die deutsche Bundesregierung habe wohl beide Augen zugedrückt, weil es ihr „um florierenden Waffenhandel und auch um ein eigenes Interesse an der Verbreitung von Religion ging“, vermutete sie. Ähnlich sieht es Mustafa Kuleli: Bundeskanzlerin Angela Merkel habe selber zugegeben, dass der BND seit 2009 die türkische Regierung abgehört hatte. Die deutsche Bundesregierung hätte also vieles wissen müssen. Ihr Schweigen ist aus seiner Sicht einzig „durch den Versuch zu erklären, die eigenen ökonomischen Interessen aufrecht zu erhalten“.
Auf die Frage, ob der Putschversuch möglicherweise von Erdogan inszeniert worden sei, um seine Macht anschließend ausbauen zu können, antwortete er mit Bedacht eher unbestimmt: Journalisten, die sich in Kommentaren oder Kolumnen mit dieser Frage beschäftigt hätten, seien allesamt im Gefängnis. Da er in der kommenden Woche wieder in die Türkei zurück fahre, wolle er sich dazu nicht äußern. Auf die Bemerkung einer Gewerkschafterin hin, dass sie sich sowieso um ihn Sorgen mache, zückte er sein Handy und zeigte einen anonym gesendeten Tweet, der bei ihm nach seinem vorausgegangenen Vortrag einen Tag zuvor in Stuttgart eingegangen war: Zu sehen war ein fingiertes Symbol des türkischen Geheimdienstes MIT mit der Aufschrift „Spezialbüro“. Offenbar sei dies als Mittel der Einschüchterung gedacht, konstatierte Mustafa Kuleli. Motto: Nach seiner Kritik am türkischen Regime in der baden-württembergischen Hauptstadt solle er sich in Frankfurt und bei weiteren Auftritten in Braunschweig, Hamburg und Berlin mal zügeln.
Was also kann man tun, um die Journalist_innen in der Türkei zu stützen? Kemal Calik vom Bund türkischer Journalisten in Europa (ATGB) sagte: Einerseits gebe es Überlegungen, die Familien der mutigen Pressevertreter_innen mit einem Hilfsfonds finanziell zu unterstützen. Andererseits denke man beim ATGB darüber nach, eine Delegation von namhaften Kolleg_innen aus renommierten Zeitungen wie Welt oder Spiegel zur Bundesregierung zu schicken, um auf sie Druck auszuüben, damit sie sich Erdogan gegenüber eindeutig verhalte: „Es geht darum, die Pressefreiheit ernsthaft einzufordern, sowie auch die sofortige Haftentlassung aller Kolleginnen und Kollegen, die – weil sie diese verteidigen – ins Gefängnis eingesperrt werden“, bekräftigte er.
Die nächsten Termine:
- 6. Mai Braunschweig: 19 Uhr Diskussionsveranstaltung im Gewerkschaftshaus
- 8. Mai Hamburg: 19:30 Uhr Abendveranstaltung im Hamburger Gewerkschaftshaus
- 9. Mai Berlin: 19 Uhr im ver.di-Haus