Alter Spruch: Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen
Die Deutsche Bahn, Air Berlin und auch die Deutsche Telekom haben ihre spezifischen Journalistenrabatte gestrichen. Begründung: Sie seien nicht mehr zeitgemäß. Was halten Sie davon?
Jörg Schillinger: Ob Journalistenrabatte zeitgemäß sind oder nicht, das mag im Ermessen eines jeden Einzelnen liegen. Journalisten erfüllen natürlich eine wichtige Aufgabe in der Demokratie. Wenn man als Unternehmen diese Aufgabe zweifelsfrei unterstützen kann, ist das gut. Wenn ein Unternehmen sagt, wir gewähren keine Rabatte, dann ist das ebenso legitim.
Die Abschaffung der Rabatte erfolgte unter dem Eindruck der Wulff-Debatte. Kann man Produktrabatte für Journalisten wirklich auf eine Stufe stellen mit der mutmaßlichen Vorteilsnahme des einstigen höchsten Repräsentanten der Bundesrepublik Deutschland?
In der Debatte um Herrn Wulff ging es auch darum, dass man an allen Ecken und Kanten irgendwelche Vergünstigungen ergattert, die andere Leute nicht kriegen. Gerade die Medien und viele Journalisten haben gern drauf rumgeritten und gesagt, wie böse alles ist. Viele hatten aber vielleicht selbst einen Ausweis in der Tasche, der ihnen massive Vergünstigungen gewährt. Insofern war für mich immer etwas zweifelhaft, ob man dann so laut auf die Rechtmäßigkeit oder Unrechtmäßigkeit von Herrn Wulffs Verhalten pochen sollte.
Wo verläuft für Sie die Grenzlinie zwischen maßvollen Journalistengeschenken und Korruption?
Da gibt es sicher auf der einen Seite die steuerlichen Grenzziehungen, auf der anderen Seite natürlich auch die Grenze, wo Anstand und guter Geschmack überschritten werden. Wenn ein Kaffeehersteller einem Journalisten bei der Pressekonferenz ein Pfund Kaffee mitgibt zum Probieren, halte ich das für in Ordnung. Wenn der gleiche Hersteller ihm aber einen Laptop in die Hand gibt und sagt „Schreibt mal schön über uns!“, dann ist das ein eindeutiger Versuch, auf journalistische Inhalte Einfluss zu nehmen. Das geht zu weit.
Rabattgesetz und Pressekodex – sollte das gesetzlich genauer fixiert werden oder reicht der Pressekodex?
Ich bin dagegen, immer gleich nach Gesetzesänderungen zu rufen. Wir werden schon genügend eingeengt an jeder Ecke. Ich meine, der Pressekodex reicht hier aus. Meine Erfahrungen mit Journalisten von sehr großen Verlagshäusern sind durchaus positiv. Die meisten halten den Kodex, auch den hauseigenen, stringent ein und sagen: So, wir nehmen das Päckchen jetzt mal mit, geben es aber in den Weihnachtsbasar von SOS Kinderdorf. Die Selbstverpflichtung reicht da wirklich aus. Es wäre schön, wenn die großen Verlage bei dieser konsequenten Haltung bleiben und die kleineren vielleicht nachziehen. Aber Gesetze haben wir schon genug.
Einige Verlage geben sich als Vorreiter einer klaren Grenzziehung. Springer zum Beispiel brüstet sich damit, die Ziffer 15 des Pressekodex seit Jahr und Tag als Bestandteil des Arbeitsvertrags aufgenommen zu haben. Aber lässt nicht selbst der Kodex jede Menge Interpretationsspielraum?
Wo kein Ankläger, da kein Richter. Aber man muss das Ganze natürlich kontrollieren. Deswegen tun die Verlage auch gut daran, bei der internen Revision ab und zu mal nachzufragen. Und so manches Unternehmen sollte sich natürlich auch überlegen, was angemessen ist. Wenn man mal einen Kaffee spendiert, ist das okay. Aber Flugreisen oder sonstige Vergünstigungen, wenn sie nicht unmittelbar mit dem Geschäftszweck zusammenhängen, sollten von den Beteiligten wirklich auf den Prüfstand gestellt werden.
Wie steht es mit Politikern, die auf Auslandsreisen Journalisten mitnehmen, und für deren Reisekosten aufkommen? Ist das nicht schon ein Einfallstor für inhaltliche Korruption? Wer allzu kritisch berichtet, fliegt beim nächsten Mal vielleicht von der Liste der Begleitpersonen.
Das sollte nicht sein. Wir wissen natürlich, dass alle Verlage durch die Konkurrenz, vor allem auch durch das Internet, stark unter Druck geraten sind. Wenn das dazu führt, dass gar nicht mehr berichtet wird über gewisse Dinge, wäre es sehr schade. Manche Verlage lösen dieses Dilemma ganz gut. Eine Frankfurter Zeitung setzt gelegentlich unter einen Artikel den Vermerk, die Nutzung dieses Automobils wurde so und so ermöglicht. Für den Journalisten würde das heißen: Wenn es nicht möglich ist, dass der Verlag eine Reise bezahlt, dann sollte er die Unabhängigkeit haben, mitzufahren, und trotzdem kritisch zu berichten, so wie es sein Job erfordert.
In Zeiten der Krise schrumpfen die Redaktionsetats. Besteht nicht die Gefahr, dass gerade schlecht bezahlte freie Journalisten umso stärker in Versuchung geraten, nicht auf fragwürdige Gratifikationen zu verzichten?
Das ist schon problematisch. Wenn ich manchmal höre, was Freie heutzutage so verdienen, dann kommen einem wirklich die Tränen. Es müsste von Anfang an klar sein, dass eine Vergünstigung wie etwa eine verbilligte Flugreise den Inhalt der Berichterstattung nicht beeinflusst. Mir wäre auch lieber, wenn die Verlage nicht knauserig sein müssten, wenn sie in eine gute Journalistenausbildung investieren und die Journalisten angemessen bezahlen würden. Trotzdem sollten gerade die Freien wirklich überlegen, von wem sie was annehmen.
Interview: Günter Herkel