Das Forum der Berlinale zeigt ab Samstag Ra’anan Alexandrowicz‘ neuen Dokumentarfilm, in dem eine Studentin über online veröffentlichte Videos nachdenkt. Die zeigen die Konflikte von israelischen Soldaten und Siedlern mit palästinensischen Bewohnern der Westbank. Der Filmemacher untersucht in „The Viewing Booth“ jedoch nicht den Wahrheitsgehalt dieser Videobilder, sondern die widersprüchliche Interpretation des Gezeigten durch den Betrachter.
Eine Gruppe von Studierenden an einer US-Universität nimmt an einer Sichtung teil: In einer Kabine schauen sie sich 40 Videos aus der Westbank an. Der Filmemacher fordert die Betrachter*innen dazu auf, die Bilder aus dem Bauch heraus zu kommentieren. Zwanzig der Videos wurden von der israelischen NGO B’Tselem gepostet, die mit dem Bildmaterial Menschenrechtsverletzungen in den besetzten Gebieten nachweisen möchte. Die anderen Videos stammen aus der Presseabteilung der israelischen Armee oder von rechten Interessensgruppen in Israel. Alexandrowicz konzentriert sich in seinem Film auf die Studentin Maia Levy. Sie ist eine amerikanische Jüdin und Tochter israelischer Eltern. Zunächst glaubt man schnell zu wissen, wo Levy steht: Der von Soldaten an einer Bushaltestelle verhaftete Terrorist werde immerhin mit Würde behandelt. Außerdem mangele es einigen B’Tselem –Videos an Glaubwürdigkeit, so Levy. Sie seien mitunter inszeniert oder ihre Bilder wären – à la Fake News – aus dem Zusammenhang gerissen. Doch dann: Die Soldaten müssen doch begründen, warum sie mitten in der Nacht eine Hausdurchsuchung machen! Sind das wirklich Siedler, die Steine in das Haus einer palästinensischen Familie werfen?
Sechs Monate später zeigt Alexandrowicz Levy das Filmmaterial ihrer früheren Diskussionen. Sie sieht sich nun selbst dabei zu, wie sie Bilder über den Nahostkonflikt interpretiert, oft gefangen in ihren politischen Überzeugungen. Es geht den beiden jetzt um grundlegende Fragen: Warum reagieren wir auf Bilder so, wie wir es tun? Warum gelingt es dokumentarischen Bildern, unsere Meinung zu festigen, und ab welchem Punkt gelingt es ihnen, unsere Meinung zu ändern?
Regisseur Ra’anan Alexandrowicz hat in seinen früheren Filmen „The Law in These Parts“ (2011) und „The Inner Tour“ (2001) bereits unterschiedliche Aspekte der israelischen Besatzung beleuchtet. „The Viewing Booth“ ist jedoch in seiner Form und Struktur einzigartig. Die Sichtungskabine ist nicht nur Laborraum für Alexandrowicz Experiment, sondern auch sein einziger Drehort. Die Kamera wechselt wie in einem Spiegelsaal zwischen den Bildern: Videoausschnitte, dann Levys nachdenkliches Gesicht beim Betrachten und Kommentieren der Clips. Zwischendrin Alexandrowicz vor seinen beiden Monitoren, wenn er die Interaktion zwischen Levy und dem Gezeigten beobachtet.
„The Viewing Booth“ erzählt von einer ungewöhnlichen Begegnung zwischen einem Filmemacher und einer Zuschauerin. Ihre offenen und unmittelbaren Reaktionen legen ein Zeugnis ab über die Psychologie des visuellen Medienkonsums im digitalen Zeitalter.
The Viewing Booth von Ra’anan Alexandrowicz, Israel 2019
Filmvorstellungen:
Sa 22.02.: Zoo Palast 2, 19:30 Uhr
So 23.02.: Silent Green 20:00 Uhr
Mo 24.02.: Arsenal 1 17:00 Uhr
Sa 29.02.: Delphi 15:30 Uhr