Die späte Schicht
Die große, weite Welt kam zu ihm ans Bett, wenn er als Kind krank war: Dann stand Vaters Transistorradio auf dem Nachttisch von Klaus-Michael Klingsporn. Als er neun oder zehn Jahre alt war, kam sie noch beeindruckender näher: Auf einem alten Radiogerät standen die Namen ferner Sender, die nachts über Mittelwelle zu erreichen, wenn auch nicht zu verstehen waren. Voller Neugier nahm er den Apparat auseinander. Das war’s dann erst mal – das Zusammenbauen hat nicht so gut geklappt.
Nach dem Abitur in Bielefeld beschloss Klingsporn, nach den Spuren der 68er-Generation zu suchen. „Für die Studentenbewegung war ich damals ja leider zu jung“, sagt der 1958 Geborene lachend. Dafür schien Berlin am ehesten geeignet. Also schrieb er sich an der Freien Universität für Publizistik ein, denn die ganze Bandbreite von Nachrichten, Musik, Features sollte es sein. Wie er es an der „Radiothek“ des WDR als Jugendlicher so geschätzt hatte. In einem Seminar landete er beim Honorarprofessor Herbert Kundler. Der lehrte seit 1979 an der FU Berlin, war geschäftsführender RIAS-Intendant, Programmdirektor, Autor von Hörfunkreihen und Dokumentarfilmen und schrieb mit dem Berliner Kabarettisten Wolfgang Neuss das Drehbuch für „Wir Kellerkinder“. Der junge Klingsporn fiel ihm auf, er lud ihn zur Mitarbeit in den RIAS ein und die Karriere als Regieassistent und Regisseur im Hörfunk nahm ihren Lauf. Das Studium hat er abgeschlossen, was in seiner Branche nicht üblich gewesen sei, betont Klingsporn.
Sein Werkverzeichnis in „Klaumis Netz-Welt“ (www.klaumikli.de) verzeichnet seit 1990 insgesamt 27 Hörspiele und Kriminalhörspiele, 41 Hörspiele für Kinder und 13 künstlerische Features. Bei diesen Arbeiten und seiner „Alltagsregie“ bei anderen Sendungen im Deutschlandradio ist er sozialversicherungspflichtig beschäftigt, so dass er zu den „unstetig Beschäftigten“ gehört und nicht das Problem hat, mal ein Fall für die Künstlersozialkasse zu sein und dann wieder nicht. Das sei ein großes Problem für die Kolleg_innen, die auch als freie Autor_innen arbeiten. Eine jährliche Aufstellung der Tätigkeiten statt eines ewigen Hin und Her wäre ein Ziel, das Gewerkschaft und Politik anpacken sollten. Selbstständige im Radio finden in „Klaumis Netz-Welt“ auch Ratschläge und Kontakt zu ver.di, denn Klingsporn ist zu Beginn seiner Radioarbeit Mitglied der IG Medien geworden: „Das gehört für mich dazu“. Auch in ver.di engagiert er sich für die Freien.
Seine Arbeitszeit als Hörspielregisseur fällt meist in die zweite Schicht, das heißt von 18 Uhr bis 1.30 Uhr stehen die Studios im Deutschlandradio zur Verfügung. Gut, dass der drahtige „Umland-Berliner“ gerne mit dem Fahrrad unterwegs ist, auch bei klirrender Kälte. Bei einem Kinderhörspiel beginnen die Aufnahmen um 16 Uhr, denn Kinder dürfen höchsten vier Stunden und ohne Ausnahmegenehmigung maximal bis 20 Uhr arbeiten.
Vor der Woche Aufnahmezeit im Studio, wo er Szenen auch wiederholen lässt, bis sie seiner Vorstellung entsprechen oder sie an die Möglichkeiten der Sprecher_innen anpasst, steht die Besprechung des Skripts. Je nach Redakteur, Dramaturg und Autor kann Klingsporn Einfluss nehmen. Dann sucht er nach den passenden Stimmen, zusammen mit dem Besetzungsbüro. Nach den Aufnahmen ist die Arbeit für ihn und sein Team noch nicht erledigt. Bei großen Produktionen sind sie zu viert: Regisseur, Regieassistent_in, Toningenieur_in und Tontechniker_in
arbeiten an der Mischung, bis alles sendefertig ist. Wie findet er seine kleinen Sprecherinnen und Sprecher? Einserseits sind es Kinder von Schauspieler_innen, andererseits versucht er, Kontakt zu Schulen zu halten. Meist sind die Kinder nur drei Jahre einsetzbar, zwischen acht und elf Jahre alt und müssen problemlos lesen können. Dann beginnt der Stimmbruch, die Stimmen passen nicht mehr zu den Rollen.
Optimistisch ist er nicht für die Zukunft seines Metiers: „Das ist ein aussterbender Berufszweig“, kommentiert er mit einem wehmütigen Lächeln. Die Regie im Alltagsbereich werde immer mehr auf die Autor_innen verlagert. „Das können aber nur wenige gut“, meint er selbstbewusst. Wenn sie in Technik und Regie keine
direkten Ansprechpartner_innen bei der Produktion haben, „behindert es die Weiterentwicklung der Autor_innen. Sie schwimmen dann immer im eigenen Saft.“