Zweifelhafte Botschafter

Die Bevölkerung steht im Visier der Initiative Neue soziale Marktwirtschaft

Die Bevölkerung steht im Visier der Strategen der Initiative mit dem verlockenden Titel Neue Soziale Marktwirtschaft, die angetreten ist, das Land zu verändern. Eine „Massage des öffentlichen Bewusstseins“ ist vonnöten, um die Massen auf neoliberalem Kurs zu halten. Sozialabbau unter Ausschaltung des Störenfrieds Gewerkschaft im Gegenzug zu einer erstarkenden Wirtschaft und ihrer Unternehmerverbände verbirgt sich hinter dem Mäntelchen, das Wohlwollen für alle suggeriert. Medien, Politiker und Wissenschaftler werden zu Werkzeugen einer geschickten PR für das Kapital.

Der Spiegel nutzte es für seinen Aufmacher. Der Focus druckte es in seiner Titelgeschichte mit der Unterzeile „Deutschland versinkt“ ab. Für das Handelsblatt war es schlicht das „Bild des Tages“. Die schweizerische Aargauer Zeitung bebilderte damit einen Bericht über die Jobmisere in Deutschland. Am Bundespressestrand in Berlin hatte die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) ein Plakat halb in der Spree versenkt. Die Aufschrift „Deutschland“ war nur noch zur Hälfte zu lesen. Darüber stand: „höchste Zeit für Reformen“ mit dem Logo der INSM „Chancen für alle“. Die Installation hatte nicht lange Bestand. Nach drei Tagen konfiszierte die Berliner Polizei das Transparent. Eine Presseerklärung der INSM folgte postwendend. Darin eine Erklärung zur Installation: „Uns steht das Wasser bis zum Hals – jetzt müssen endlich umfassende Reformen her.“

Die Protestinstallation unweit des Reichstages am Fuße der neuen Bundestagsgebäude war wie bestellt. Endlich konnte der Spiegel seine Story vom Abstieg Deutschlands wirkungsvoll inszenieren. Die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft hat die Cocktail-Oase mit dem feinen aufgeschütteten Sand als wirksamen Reklameort entdeckt. „Füße hoch, Abgaben runter“ prangt auf den Rücken der Strandkörbe. Das Bier wird in den Brutto-Netto-Biergläsern der INSM ausgeschenkt. Die große Differenz zwischen den beiden Eichstrichen wird gleich mit einem Sinnspruch der Initiative erklärt: „Das meiste schluckt der Staat.“ Die Initiative ist präsent, wo sich Abgeordnete zum entspannten Plausch treffen, Touristen auf den Beginn der Karibik-Nacht warten und unzählige Boote mit Berlinbesuchern vorüberziehen. Bei Eintritt werden die Besucher von der INSM mit augenzwinkernder Ironie auf das wohlige Leben im Steuerparadies eingestimmt. Im Liegestuhl unter dem Bundesadler aus Holz ist zu lesen: „Zurücklehnen im Steuerparadies. Maximal 25 Prozent Steuern. Keine Ausnahmen. Keine Tricks. Die reinste Entspannung.“

Was kaum jemand auf den ersten Blick vermutet: Die INSM ist ein Langzeitprojekt von Gesamtmetall, dem Zusammenschluss von 16 regionalen Arbeitgeberverbänden der Metall- und Elektroindustrie. Erst zu Beginn des Jahres 2004 hat der Unternehmerverband die Finanzmittel für die nächsten 5 Jahre zugesagt. 10 Mio. Euro für jedes Jahr. Die INSM wurde 1999 beauftragt, für einen Wandel im Meinungsklima zu sorgen und das Image der Wirtschaft zu verbessern. Dazu hatte man in Köln die Agentur berolino.pr gegründet. Sie bildet das Strategiezentrum der Initiative und wird von Tasso Enzweiler und Dieter Rath geleitet. Enzweiler war als Chefreporter bei der Financial Times tätig und Rath war Pressechef des Bundesverbandes der Deutschen Industrie. Zwei Medienprofis, die die PR der „APO des Kapitals“ steuern. Sie entwickeln mit Unterstützung der Agentur Scholz & Friends immer wieder neue Kampagnen, mit dem Ziel, die Bedingungen für die Wirtschaft zu verbessern. Eng verbunden ist berolino.pr mit dem Institut der Deutschen Wirtschaft (IW), das von Wirtschaftsverbänden finanziert wird. Das IW liefert ökonomische Expertisen als Basis für die Kampagnen.

Unternehmensimage aufpolieren

Studie des Autors

Die Studie, die Prof. Rudolf Speth im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung erstellt hat, ist zu finden unter: www.boeckler.de

Die Bevölkerung steht im Visier der Strategen der Initiative. Denn Umfragen zeigen, dass 67 Prozent mit dem Wort Reform Befürchtungen oder Skepsis verbinden. Was aber tun, wenn die Bevölkerung nicht will? Im Jahr 1999 hat der Verband Gesamtmetall mit seinem Präsidenten Kannegießer den Entschluss gefasst, für einen Stimmungsumschwung in der Bevölkerung zu sorgen. Dabei wollten sie gleichzeitig ein weiteres Problem beheben, das damit zusammenhängt, das schlechte Image der Unternehmer. Die Bevölkerung will nicht so wie die Führung in der Wirtschaft. Und die hat längst beschlossen, dass radikale Reformen notwendig sind.

Damit das hochgesteckte Ziel erreicht wird, hat die INSM einen hochkarätigen Kreis von Beratern, Politikern und Wissenschaftlern versammelt. Sie sollen die Botschaften der Initiative unters Volk bringen. Mit Hans Tietmeyer, Ex-Bundesbankpräsident, haben sie ein Schwergewicht als Vorsitzenden des Kuratoriums gewonnen. Zum 12-köpfigen Kuratorium gehören u. a. Martin Kannegiesser, Unternehmer und Gesamtmetallpräsident, Randolf Rodenstock, Aufsichtsratsvorsitzender der Rodenstock AG und Hans-Dietrich Winkhaus, Präsident des arbeitgebernahen Institutes der Deutschen Wirtschaft in Köln. Im Kreis der Kuratoren findet sich auch Oswald Metzger, der früher bei den Grünen für Wirtschaftspolitik zuständig war.

Flankiert wird diese Truppe, die angetreten ist, das Land zu verändern, von „Botschaftern“. Dort finden sich Roland Berger, Paul Kirchhof, die Grünenpolitikerin Christine Scheel, Arnulf Baring, Dominique Döttling, Ex-Vorsitzende der Wirtschaftsjunioren, Arend Oetker, BDI-Vizepräsident, Peter Glotz, Sigmar Mosdorf, Ex-Staatssekretär, Karl-Heinz Paqué, stellvertretender Landesvorsitzender der FDP in Sachsen-Anhalt und Nikolaus Schweikart, Vorstandsvorsitzender der ALTANA AG. Sie sollen die Botschaften der INSM in die Herzen und Köpfe der Bürger bringen und für eine positive Reformstimmung sorgen. Ihnen wird mehr Vertrauen entgegengebracht als dem Unternehmerverband Gesamtmetall. Der bleibt lieber im Hintergrund und besorgt das Geld. Denn das Image der Unternehmer ist beinahe so schlecht wie das der Parteien.

Die Initiative ist als eine parteiübergreifende angetreten. Zu Beginn waren auch noch mehr SPD-Politiker dabei. Wolfgang Clement, Wirtschaftsminister, Rainer Wend, Vorsitzender des Bundestagsausschusses für Wirtschaft und Arbeit, Florian Gerster. Heute will sich kaum mehr jemand aus der SPD zur Initiative bekennen.

Die Botschafter ziehen durchs Land und verkünden immer wieder die gleichen Parolen: „Deutschland ist auf dem Arbeitsmarkt ein Jurassic Park“ (Roland Berger); „Gewerkschaften und Verbände haben zu viel Macht“ (Hans Tietmeyer); „Wir brauchen Reformen, um Verbesserungen im Niedriglohnsektor zu erreichen“ (Rainer Wend). Ganz besonders einer tut sich dabei hervor: Hans Tietmeyer, Aushängeschild der INSM und ehemaliger Präsident der Bundesbank. Tietmeyer hat regelmäßige Kolumnen in der Welt und im Handelsblatt. Er versorgt damit die Öffentlichkeit mit immer neuen Parolen aus dem Hause Enzweiler und Rath. Der angestrebte „gesellschaftliche Klimawechsel“ ist nur so herbeizuführen.

Um die Herzen und Köpfe der Bevölkerung zu erreichen, kann nichts dem Zufall überlassen werden. Profis sind gefragt für die „Massage des öffentlichen Bewusstseins“. Mit unserem alten Politikverständnis hat das nichts mehr zu tun. Politik wird bei der INSM von Werbeprofis gemacht. Mit 10 Mio. Euro im Rücken lässt sich die Lobbyarbeit für den Arbeitgeberverband und die Wirtschaft leichter machen. Genutzt werden dabei alle Medien: Anzeigen in Zeitungen, Interviews, Filme, Internet, Hörfunk. „Integrierte Kommunikation“ nennen Kommunikationsfachleute ein solches Vorgehen. Die eingesetzten Medien werden aufeinander abgestimmt. Die INSM macht sich die Mittel der modernen Kampagnenführung zunutze. Notwendig dazu sind Geld, ein langer Atem und eine Strategie. Ein Glanzstück lieferte die Initiative mit dem Slogan „Sozial ist was Arbeit schafft“. Er wurde Schritt für Schritt in den öffentlichen Diskurs lanciert. Bereits im Jahr 2000 benutzte ihn Dagmar Schipanski, Botschafterin der Initiative und 1999 Kandidatin um das Bundespräsidentenamt. Im Mai 2002 wurde die INSM-Kampagne „Sozial ist …“ eröffnet. Edmund Stoiber zog mit diesem Slogan in die Bundestagswahl. Und der Slogan war die Überschrift des Hauptredners, Bundesminister Wolfgang Clement, beim INSM-Kongress in Berlin.

Aufgabe der Botschafter ist es ihre Bekanntheit einzusetzen und als Multiplikatoren zu wirken. Sie gehören inzwischen zu den Stammbesetzungen der Talkshows von Christiansen, Illner, etc. Damit schaffen sie es, Themen auf die politische Tagesordnung zu setzen und das Meinungsklima zu prägen.

Grenzen verschwinden

Ausgearbeitet werden die Kampagnen von der Werbeagentur Scholz & Friends in Berlin. Im Grunde ist die INSM eine Erfindung von Scholz & Friends. Die Agentur designt nicht nur die Anzeigen, sondern ist auch mit strategischer Beratung behilflich. Bis zu 60 Mitarbeiter der Agentur werden am Projekt INSM beschäftigt. Scholz & Friends betreibt sogar eine Redaktion für den Internetauftritt der INSM. Dort werden Nachrichten aus Politik und Wirtschaft aufbereitet und kommentiert – jetzt sogar mit einem Nachrichtenticker.

Dass dabei die Grenzen zwischen Journalismus und Werbung verschwinden, stört niemanden. Aus den Meinungsbeiträgen von Tietmeyer, die in verschiedenen Tageszeitungen erscheinen, zitieren Nachrichtenagenturen und andere Zeitungen ohne auf den Entstehungskontext hinzuweisen. Durchlässig werden die Grenzen auch durch Medienpartnerschaften. Mit der Wirtschaftswoche betreibt die INSM zusammen ein Reformbarometer. Wissenschaftler bewerten dort monatlich die Umsetzung der angekündigten Reformen. Mit dem Wirtschaftsmagazin impulse zusammen hat die INSM einen Journalistenpreis ausgelobt. Journalisten bekommen Preise für ihre Darstellung der Verkrustungen des deutschen Wirtschafts- und Sozialsystems, für ihre Berichte über den Meisterzwang im Handwerk und für die Serie „Bremsklotz Bürokratie“ im Handelsblatt. Weitere Partnerschaften gibt es mit dem Focus, mit der Hörzu, mit zahlreichen Lokalzeitungen und mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS).

Jüngstes Produkt der Zusammenarbeit mit der Wirtschaftswoche ist ein Städteranking. München ist Deutschlands Wirtschaftsmetropole No. 1. Die Daten und den wissenschaftlichen Sachverstand hat das Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) in Köln beigesteuert.

Die INSM rekrutiert auch eine stattliche Riege professoralen Sachverstands. Stapel von Gutachten sind produziert worden. Die Professoren sorgen nicht nur für Wissen, sondern versorgen die INSM auch mit wissenschaftlicher Reputation. Aber die INSM konnte das Image einer Unternehmerinitiative nicht ganz abstreifen. Deshalb soll es jetzt einen Förderverein geben, in den interessierte Bürger gegen einen Mitgliedschaftsbeitrag beitreten können. Das Trommeln der INSM blieb nicht ganz ohne Wirkung. „Der mentale Wandel ist eingeleitet“ frohlockte Oswald Metzger im Handelsblatt.

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Die Zukunft der Filmförderung

In der morgigen Plenarsitzung des Bundestages wird über die Zukunft der deutschen Filmwirtschaft entschieden, der vom Bundestagsausschuss für Kultur und Medien beschlossene Gesetzentwurf zum Filmfördergesetz (FFG) steht zur Abstimmung auf der Tagesordnung. ver.di begrüßt eine Reform der Filmförderung, denn in Zukunft müssen Filmproduktionen Tarif- und Urheber-Vergütungen verbindlich einhalten.
mehr »

Rundfunkreform mit vielen Fragezeichen

Bis zuletzt hatten die öffentlich-rechtlichen Anstalten auf ein Ende der Blockade einer Beitragserhöhung durch die Ministerpräsidenten der Länder gehofft. Die Verweigerungshaltung der Politik ließ ihnen am Ende keine Wahl: Am 19. November kündigten ARD und ZDF eine Klage beim Bundesverfassungsgericht an, um ihren Anspruch auf die von der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs (KEF) errechnete Empfehlung einer Beitragserhöhung um 58 Cent auf 18,94 Euro monatlich durchzusetzen.
mehr »

Audiodeskription: Die KI liest vor

Die Hälfte der öffentlich-rechtlichen Sender verwendet inzwischen auch synthetische oder mit Künstlicher Intelligenz (KI) generierte Stimmen, um für Fernsehformate Audiodeskriptionen zu erstellen. Das ergibt sich aus Nachfragen von M bei den neun ARD-Landesrundfunkanstalten und beim ZDF. Neben professionellen Sprecher*innen setzen der MDR, WDR, NDR, Radio Bremen und das ZDF auch auf synthetische oder KI-Stimmen für die akustische Bildbeschreibung.
mehr »

Gendergerechtigkeit per KI überprüfen

Ein Gender-Analyse-Tool der Technischen Universität München zeigt, wie Frauen medial ausgeklammert werden. Das Ziel vom  Gender Equality Tech Tool – GETT  ist es, die Sichtbarkeit von Frauen in der Berichterstattung bewusst zu fördern. Mit GETT kann über eine Kombination aus klassischen Algorithmen und Open-Source-KI-Modellen nachgeprüft werden, wie oft Frauen im Vergleich zu Männern in den Medien genannt und wie sie dargestellt werden.
mehr »