Bundestag beschließt trotz massiver Proteste BND-Gesetz

Kundgebung "BND-Gesetz stoppen" vor dem Brandenburger Tor und dem Berliner Reichstag. V.l.n.r: Lena Rohrbach, Christian Mihr, Katharina Nocun
Foto: www.GordonWelters.com

Der Deutsche Bundestag hat heute, am 21. Oktober 2016, das heftig umstrittene BND-Gesetz beschlossen. Gegen die Stimmen der Opposition hat die Große Koalition den deutschen Auslandsgeheimdienst damit ermächtigt, künftig auch Berufsgeheimnisträger wie Anwält_innen oder Journalist_innen zu überwachen, sofern sie sich im außereuropäischen Ausland und unter Einschränkungen auch im innereuropäischen Ausland aufhalten. Die FDP hat nun angekündigt, gegen das BND-Gesetz eine Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe einlegen zu wollen. Im Vorfeld der Abstimmung hatte ein breites zivilgesellschaftliches Bündnis gegen die Verabschiedung der Reform protestiert.

Mehrere Petitionen und die Übergabe von 24.000 Unterschriften an den Deutschen Bundestag, Protestveranstaltungen und von zahlreichen Seiten öffentlich geäußerte Kritik am Entwurf für das neue BND-Gesetz: Das deutsche Parlament blieb dennoch unbeeindruckt und hat die BND-Reform wie geplant beschlossen. Damit bekommt der deutsche Auslandsgeheimdienst die Möglichkeit, die Telekommunikation von Bürgerinnen und Bürgern außerhalb der Europäischen Union ungehindert zu überwachen. Auch das Ausspähen von EU-Bürger_innen ist unter der äußerst schwammig formulierten Einschränkung, dass dies „Erkenntnisse von außen- und sicherheitspolitischer Bedeutung“ bringen würde, fortan legal. Bedenklich vor allem: Das neue Gesetz enthält keine Klausel, die besonders sensible Berufsgruppen wie Menschenrechtsaktivist_innen, Ärzt_innen, Anwält_innen oder Journalist_innen vor der Ausspähung durch den BND schützt. Ein gravierender Eingriff in die Grundrechte und eine Gefahr für die Demokratie.

„Unsere Freiheit ist in Gefahr“, so formulierte es die Politikerin und Bürgerrechtlerin Katharina Nocun, Initiatorin einer Petition gegen die BND-Reform und Mitorganisatorin der Mahnwache, zu der sich gestern ein breites Bündnis von Journalistenverbänden, Medien und Bürgerrechtsorganisationen, darunter auch die dju in ver.di, vor dem Brandenburger Tor in Berlin versammelt hat. Zur Protestveranstaltung gekommen war auch der ehemalige Mitarbeiter des US-Nachrichtendienstes und Technische Direktor der National Security Agency (NSA) William Binney, der nach den Anschlägen vom 11. September 2001 aus dem Dienst der NSA ausschied, zum Whistleblower wurde und sich seitdem gegen staatliche Überwachung engagiert.

Der ehemalige NSA-Mitarbeiter William Binney spricht auf der Kundgebung "BND-Gesetz stoppen" vor dem Brandenburger TorFoto: www.GordonWelters.com
Der ehemalige NSA-Mitarbeiter William Binney spricht auf der Kundgebung „BND-Gesetz stoppen“ vor dem Brandenburger Tor
Foto: www.GordonWelters.com

Christian Mihr, Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen (ROG) warnte vor dem heutigen Tag der Abstimmung als einem dunklen Tag für die Grundrechte, insbesondere für die Rechte von Berufsgeheimnisträgern wie Journalist_innen, Pfarrer_innen oder Ärzt_innen. Für ihn stand bereits fest, dass die Reform mit den Stimmen der Großen Koalition das Parlament passieren würde. Dennoch kündigte er an, dass das Bündnis aus Organisationen und Verbänden, dass sich in den vergangenen Monaten vergeblich gegen das geplante BND-Gesetz eingesetzt habe, nicht aufgeben und sich weiterhin für die Menschenrechte wie das Menschenrecht auf Pressefreiheit einsetzen werde. Besonders scharf kritisierte Mihr daneben, dass das neue Gesetz Menschen einen unterschiedlichen Grund- und Menschenrechtsschutz abhängig von ihrer Nationalität zugestehe. Jurist_innen, Journalist_innen oder Mediziner_innen könnten den Menschen, die sich an sie wenden, nun keine Vertraulichkeit mehr garantieren: „Und das ist schlimm und der Bundesregierung offenbar total egal“, so Mihr.

Lena Rohrbach von Amnesty International, ebenfalls in das Bündnis involviert, prophezeite darüber hinaus düstere Aussichten für die Menschenrechtsarbeit weltweit, die künftig durch das neue BND-Gesetz massiv erschwert würde. Menschenrechtsorganisationen, Aktivist_innen, ganz normale Bürger_innen könnten auf dessen Grundlage vollkommen legal ausspioniert werden: „Das Gesetz stellt den größtmöglichen Eingriff in die Privatsphäre dar, den sich die Bundesregierung hätte ausdenken können.“

Kein Wunder also, dass der Bundesregierung nun der Konflikt mit Karlsruhe droht. Betroffen sind von den neuen Überwachungspraktiken nämlich zudem nicht nur ausländische Bürger_innen. Wie Katharina Nocun noch einmal deutlich machte, habe eine Studie des Chaos Computer Clubs, Sachverständiger beim Bundesverfassungsgericht, gezeigt, dass es tatsächlich technisch nicht ohne Weiteres möglich sei, festzustellen, ob eine Person deutscher Grundrechtsträger ist oder nicht. Das mache die Filter des BND besonders fehleranfällig und schütze in der Folge auch deutsche Bürgerinnen und Bürger nicht vor der nun legalisierten, sogenannten „Auslandsüberwachung“.

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