Editorial: Chancen und Veränderung

„Es verändert sich alles am Journalismus: die Recherche, bei der unheimlich viele Quellen unter Einschluss von Social Media zu verarbeiten sind, und die Informationsverarbeitungsprozesse in Redaktionen.

Vor allem aber ändern sich die Beziehungen zwischen Medien und Publikum“, beschreibt Volker Lilienthal im M-Interview digitalen Journalismus. Die Ergebnisse der gleichnamigen Hamburger Studie belegen diesen Wandel des Berufes, der bereits in vollem Gange ist. Der Datenjournalist, die mobile multimediale Reporterin, der Social-Media-Redakteur, die Redaktionsmanagerin bewegen sich in neuen Arbeitsprozessen, die schon heute durch eine fortgeschrittene Technisierung und Automatisierung geprägt sind. Chancen werden benannt. So könne der Journalist beispielsweise durch eine Quellentransparenz – im Netz für den Nutzer per Link jederzeit nachvollziehbar – „das von Erosion bedrohte höchste Gut des Journalismus, nämlich seine Glaubwürdigkeit, wieder herstellen“ (Lilienthal).

Mit Blick auf den „Boulevard“ erfährt journalistische Glaubwürdigkeit tagtäglich schwere Blessuren. Aber ist das, was an bunten, vielfach erfundenen Geschichten mit der Regenbogenpresse millionenfach unter die Leute gestreut wird, überhaupt noch Journalismus? Ist es auch Boulevard, wenn Tageszeitungen oder das Fernsehen im Ringen um die Aufmerksamkeit der Rezipienten zu mehr Personalisierung und Emotionalisierung greifen? Sind es Quote, Reichweite und Klickzahlen, die eine Boulevardisierung aller Medien legitimieren? Wie breit also machen wir den Boulevard, fragten die ver.di-Medienmacher auf ihrem 28. Journalistentag mit einer „Kritik unterm Regenbogen“.

Um journalistische Glaubwürdigkeit und Unabhängigkeit in der Berichterstattung geht es nicht zuletzt, wenn M-Kolumnist Günter Herkel noch einmal die Interessenverquickung namhafter Journalisten mit Lobbyorganisationen aufs Korn nimmt. Fühlen sie sich ertappt, geht es selbst unter Kollegen rüde, mitunter sofort juristisch zu.

Mit einem Hinweis „In eigener Sache“ stellt M die Weichen für die Zukunft unserer Publikation und verabschiedet sich am Ende eines ereignisreichen Medienjahres!

Karin Wenk,
verantwortliche Redakteurin

Weitere aktuelle Beiträge

Was tun gegen defekte Debatten

Das Land steckt in der Krise und mit ihm die Diskussionskultur. Themen wie Krieg und Pandemie, Migration und Rechtsextremismus polarisieren die politische Öffentlichkeit. In ihrem Buch „Defekte Debatten: Warum wir als Gesellschaft besser streiten müssen“ suchen Julia Reuschenbach, Politikwissenschaftlerin an der FU Berlin und Korbinian Frenzel, Journalist und Redaktionsleiter Prime Time bei Deutschlandfunk Kultur, nach Auswegen aus der diskursiven Sackgasse.
mehr »

Breiter Protest gegen Radiokürzungen

Als die Bundesländer im vergangenen September Reformvorschläge für ARD, ZDF und Deutschlandfunk vorgelegt haben, war klar: Diese beinhalten starke Kürzungen. Die ARD-Häuser müssen im Auftrag der Politik über die Verringerung von Radiowellen entscheiden. Die Anzahl der regionalen Hörfunkprogramme in der ARD soll demnach von rund 70 Wellen auf 53 sinken. Dagegen regt sich breiter Protest.
mehr »

Kriminalität nicht mit Migration verknüpfen

Kriminelle Migranten bedrohen die Sicherheit in Deutschland“ – dieses alte rechte Narrativ wird von der AfD neu belebt und verfestigt sich in der Mitte von Gesellschaft und Politik. Medien, die diese realitätsverzerrende Erzählung bedienen, weil sie meinen, die laute Minderheit repräsentiere ein öffentliches Interesse, spielen mit dem Feuer.
mehr »

Mit BigTech gegen Pressefreiheit

Der Vogel ist frei“ twitterte der US-Milliardär und Big Tech-Unternehmer Elon Musk am 28. Oktober 2022, dem Tag seiner Übernahme des Kurznachrichtendienstes Twitter, der damals noch den blauen Vogel als Logo hatte. Der reichste Mann der Welt wollte nach eigener Aussage den Dienst zu einer Plattform der absoluten Redefreiheit machen: „Freie Meinungsäußerung ist die Grundlage einer funktionierenden Demokratie, und Twitter ist der digitale Marktplatz, auf dem die für die Zukunft der Menschheit wichtigen Themen diskutiert werden“, hatte er zuvor erklärt.
mehr »