Freie Online-Journalisten in den USA
„Über 90 Prozent unserer Journalisten arbeiten heute online. Das lässt sich in den USA gar nicht mehr vermeiden“, meint Dian Killian von der National Writers Union (NWU), die ausschliesslich freiberufliche Autoren organisiert.
Anders als in Deutschland gilt in Nordamerika als Exot, wer seine Recherchen noch immer nicht im Internet verwertet. Und smart, wer seine Inhalte „cross-media“ anbietet und dabei mit dem web beginnt. Dian Killian organisiert die Journalisten der NWU: „Die Arbeitsbedingungen und Honorare für online-publishing bilden sich hier und jetzt heraus. Wenn wir nicht heute vernünftige Standards erkämpfen, werden unsere Kinder fragen, was wir in dieser entscheidenden Zeit gemacht haben.“
„Jetzt vernünftige Standards erkämpfen“
Die Gewerkschaftszentrale der NWU für die Osthälfte der USA liegt nahe des Union Square mitten in Manhattan/New York. Nur ein paar hundert Meter entfernt trifft sich Altes und Neues: Am westlichen Ende der 14. Straße liegt der alte „meat district“, wo immer noch süßlicher Gestank aus ein paar alten Fleischereien dringt. Doch mehrere Fabrikgebäude stehen leer. In anderen brennt bis tief in die Nacht das Licht auf fast allen Etagen. Hinter den Fenstern sind Popart-Poster, exotische Topfpflanzen oder verzierte Spiegel zu erkennen. Hier liegt heute auch das Zentrum der „Silicon Alley“: Angezogen von preiswerten Mieten haben sich in den letzten Jahren unzählige kleine Internet-Firmen niedergelassen – auch Medienagenturen und Journalistenbüros.
„Hier ist das Weltzentrum für Internet-Inhalte“ tönt Jason Calacanis, der mit seinem webmagazin „Silicon Alley Reporter“ die junge online-Medienszene vertreten will. Doch Calacanis mit seinem journalistischen Ansatz gilt Spöttern als stellvertretend für den „atemlosen Clan der schicken geeks und Unternehmer, die New Yorks neue Medienindustrie bevölkern“ (so die web-Ausgabe der „New York Times“): Im „Reporter“ scheint so manches Firmenporträt gleich von dessen Chef selbst geschrieben worden zu sein – und daneben blinkt ein teures Werbebanner, das auf die homepage der aufs Positivste „Besprochenen“ führt.
„Manche machen ihre Regeln selbst“
„In der neuen online-Welt wird oft noch zu wenig unterschieden zwischen Produktverkauf und Nachrichtenvermittlung. Manche online-Journalisten machen sich spontan ihre Regeln selbst im Vorbeikommen“, erklärt Mike Hoyt von der online-„Columbia Journalism Review“. „Viele Leute bei den online-Medien sind jung, arbeiten frei und wechseln ständig von einem Auftraggeber zum anderen.“ Die „Review“ beschäftigt sich mit ethischen Fragen des Journalismus und wird herausgegeben von der New Yorker Columbia Universität, die auch Journalisten ausbildet. An den Rückmeldungen der Absolventen merken Mike Hoyt und seine Kolleginnen aber auch, dass sich online-Journalismus nicht mehr abtun lässt: „Natürlich gibt es Nacht-und-Nebel-Unternehmen auch bei den neuen Medien. Aber generell wird online-Journalismus bei uns schon seit Jahren nicht mehr als Journalismus niederer Güte begriffen.“
Mit schlechtem online-Journalismus muss sich auch kein user mehr abgeben: Originäre webmagazine wie „salon“ bieten täglich Anspruchsvolles von der aktuellen Politik bis zur Buchbesprechung. Und Blätter wie die „New York Times“ sind bereits seit Mitte der 90er Jahre im Internet vertreten: auch mit eigenen web specials, journalistischen Pionierleistungen, die oft schon mehr als nur ahnen lassen, wie die journalistische lange Form – Reportage, Feature – im Netz ausschauen kann.
Der Markt für Freie ist auch schon da: Bei „salon“ wird die Hälfte des Inhalts von Freien geschrieben, bei der „New York Times“ immerhin noch ein Fünftel, zitiert ein Freien-Ratgeber für online-Journalisten Selbstauskünfte der beiden Organe. „Online markets for writers – how to make money by selling your writing on the internet“ – bringen die Autoren Anthony und Paul Tedesco ihr Anliegen schon im Titel auf den Punkt und legen gleich pragmatisch-nordamerikanisch nach: „Die Märkte sind da und reale Herausgeber zahlen reale Schecks.“ Auf über hundert Seiten treten die Autoren dann den Beweis an: Sie und andere Kollegen künden in einem Honorar-Spiegel von ihren Erfahrungen und Einkünften bei einzelnen online-Magazinen – von „ABCNEWS.com“ bis „Word.com“. Die Bandbreite reicht dabei von „keine Spesenerstattung, 10 Dollar pro Artikel“ bis „alle Ausgaben bezahlt, 2 Dollar pro Wort“.
„Bei Erstveröffentlichungen im Netz kämpfen wir zuerst um Mindesthonorare“, sagt Dian Killian von der Gewerkschaft NWU. „Jeder Mitarbeiter von McDonalds bekommt einen gesetzlichen Mindestlohn. Aber wenn man einen Journalisten findet, der ohne Honorar arbeitet, ist das gestattet.“ Die Gewerkschaft hat auf ihrer eigenen site eine Seite eingerichtet, auf der sich Mitglieder über Honorare informieren und austauschen können.
Weniger Mehrfachnutzung durch online-Verbreitung
Doch oft liegt die Tücke in neuen, webspezifischen Details: Auch in den USA überlebten Print-Freie jahrzehntelang durch Mehrfach-Verkauf ihres Materials an viele Medien aus verschiedenen Regionen. Nun landen die Artikel gleich nach dem ersten Verkauf fast überall in der online-Ausgabe einer Zeitung oder eines Magazins. Warum sollte die „Los Angeles Times“ einen Reise-Artikel über ein Ski-Ressort kaufen, den die „New York Times“ schon in der Woche zuvor ins Netz gestellt hat – abrufbar natürlich auch für interessierte user in Los Angeles?
„Dabei wird im Schnitt für online-Artikel sogar weniger bezahlt als für Print-Artikel“, berichtet Judith Levine aus New York. Die freie online-Journalistin kämpft mit der NWU gegen Dumping. Die Ergebnisse sind bisher widersprüchlich: „Wenn ich mein Einkommen auf einen Stundensatz umrechne, verdiene ich zwar nicht weniger als Print-Journalisten. Aber das liegt nur daran, dass online-Stücke oft weniger Reporter-Arbeit erfordern und online-Redakteure nach Abgabe im Schnitt viel weniger oder gar keine Verbesserungen vorschlagen.“ Trotzdem möchte sich Judith Levine eine langfristige Perspektive online aufbauen: „Ich achte sehr genau darauf, in meinen Verträgen nicht alle Rechte für meine online-Beiträge abzugeben.“
Die NWU empfiehlt, online-Artikel nur zeitlich begrenzt zu verkaufen: für die Dauer eines „Erscheinungszyklus“. Wobei dieser zum Beispiel als beendet gilt, wenn der Inhalt einer Internet-Seite komplett oder größtenteils ausgewechselt wird. Eindeutiger ist eine andere Regelungsmöglichkeit, wo nach Ablauf eines festgelegten Datums sämtliche Rechte am Artikel wieder an die Autorin zurückgehen. Artikel von bleibendem Wert können natürlich gerne über das festgelegte Datum hinaus auf einer Seite bleiben. Doch dann muss die Autorin auch wieder neu bezahlt werden. Von der Verwertungslogik her ein Ausgleich für entgangene Wiederholungs- und Übernahmehonorare, die im Internet in der Regel keinen Sinn mehr machen. „So verleihen Freie ihren content nur zeitweise für kommerzielle Zwecke“, fasst Dian Killian die Forderung zusammen – mit Begriffen, die manchen Journalisten durchaus stören können.
Online-Journalismus befinde sich in einer entscheidenden Phase, meint heute in den USA jeder, der sich mit dem Thema beschäftigt. Mike Hoyt von der „Columbia Journalism Review“: „Noch ist relativ wenig Geld unterwegs im online-Journalismus, doch das ändert sich: Bald werden große Geldtöpfe bereitstehen für content, der in vielerlei Formen immer neu verkauft wird.“
- Die Recherche-Reise nach New York fand im November 2000 statt im Auftrag der IG Medien und des Multimediabüros, in dem die IG Medien gemeinsam mit DPG und HBV Technik und Arbeitswelt der Neuen Medien untersucht.