Beim jüngsten Mediensalon auf der „Pioneer One“ ging es diesmal um Wissenschaftsjournalismus. Fazit: Die konfrontative Gemengelage zwischen „Medien, Virologen und Aluhüten“ in der Corona-Krise bietet neue Chancen für Journalismus und Wissenschaft. Es gab einen digitalen Schub, mehr Leser*innen, bessere Zusammenarbeit und kritischen Umgang mit Daten. Einige Schlaglichter auf die Debatte.
Die Wissenschaftlerinnen in der Runde – Statistikerin Katharina Schüller, „Stat-up“-Geschäftsführerin, und Medizinerin Sylvia Thun, Professorin an der Berliner Charité – lobten die Corona-Berichterstattung. Sie habe dazu beigetragen, dass Deutschland in der Krise „so gut weggekommen“ sei.
Auch jetzt – wo Medien in „Hygiene-Demos“ wieder kritisiert würden – ist Schüller noch „gnadenlos optimistisch“, dass man „Leute, die nicht total verschwörungsgläubig sind, auch mit Fakten und guten Argumenten erreichen kann“. Sie ermunterte Journalist*innen, kritischer mit Fakten, Daten und Interpretationen umzugehen. Mehr Daten bedeuteten nicht zwangsläufig mehr Wissen.
Es komme darauf an, wie sie in Kontexte eingeordnet würden. So gebe es täglich News zu Infektionszahlen, weil immer aktualisierte Daten vorliegen. Über Folgen der Corona-Kontaktsperre wie häusliche Gewalt, die statistisch aufwändiger zu ermitteln sind, werde seltener berichtet. Mangels Datenmaterial seien ganze Realitätsbereiche ausgeblendet. Auch die Art der Aufbereitung und Präsentation von Daten sei wichtig, um sie in Kontexte einordnen und bewerten zu können. Dreidimensionale Grafiken könnten Verhältnisse verzerren. Wie das Framing Wirkung verändert, erläuterte Schüller am Beispiel von Frauen in Unternehmensvorständen: Die Aussage „10 Prozent mehr Frauen in Unternehmensvorständen“ erweckt einen anderen Eindruck als die Angabe „ein Anstieg des Frauenanteils in Unternehmensvorständen um 0,7 Prozentpunkte“.
Wiederum zollten auch die Medienvertreter*innen der Wissenschaft Respekt. Rasmus Buchsteiner, Chefkorrespondent von Media Pioneer Publishing, fühlt sich durch Virolog*innen ermutigt, „auch zu sagen, was wir nicht wissen“. BDZV-Pressesprecherin Anja Pasquay lobte Christian Drosten, der „so gut erklären kann, dass wir Wissenschaftsjournalisten gar nicht brauchen“. Auf die Frage von Moderatorin Tina Groll, „Zeit-Online“-Redakteurin und Bundesvorsitzende der dju in ver.di, wie denn die Kurzarbeit in Redaktionen mit der steigenden Informationsnachfrage in Coronazeiten zu vereinbaren sei, meinte Pasquay, dass journalistisches Personal wegen wegfallender Termine z. T. auch entbehrlich sei – etwa in der Sport- und Veranstaltungsberichterstattung. Dass die Realität eine andere sei, machte „Welt“-Redakteurin Kaja Klapsa deutlich. Wegen der „reduzierten Mannschaft“ würden sie jetzt andere Schwerpunkte in der Berichterstattung setzen. Positiver Nebeneffekt: Man käme weg von den reinen News und versuche eher, Hintergründe zu analysieren.
Ein „Schwarz-Weiß-Denken“ kritisierte Klapsa beim Medienumgang mit Virolog*innen: „Drosten ist unser Mann und Hendrik Streeck ist der, der Unruhe stiftet.“ Es sei „sehr ungeschickt“ gewesen, dass Streeck seine Studie zusammen mit Ministerpräsident Laschet präsentiert habe. Denn die Journalist*innen interessierten sich danach eher für die „PR-Geschichte“ als für die Inhalte der Studie. Politische Vereinnahmung habe den Virologen geschadet, meinte auch Rasmus Buchsteiner, da Christian Drosten mit Angela Merkel bei der Bundespressekonferenz erschien und Lothar Wieler mit Jens Spahn.
Zum Umgang mit „Aluhüten“ meinte Buchsteiner denn auch, man müsse „den Eindruck von Staatsnähe vermeiden“. Klapsa setzte auf Faktencheck und die Entwicklung von verständlicheren, emotionaleren Posts für Social Media – zumal ein Drittel derjenigen, die meinten, Medien und Politik hätten das Corona-Risiko übertrieben, im Netz aktiv seien. Schüller habe das selbst erlebt, als sie sich auf „Focus Online“ in die Debatte eingemischt und Kommentare „unter der Gürtellinie“ geerntet habe. Trotzdem setze sie auf Dialog mit denjenigen, die noch für Fakten zugänglich sind.
Die Schlussrunde war sich einig, dass sich aus der Coronakrise auch neue Chancen für den Journalismus ergeben. Pasquay stellte einen „unglaublichen Digitalisierungsschub“ fest, Zeitungen entwickelten Corona-Podcasts und Newsletter. Buchsteiner freute sich über die „Entschleunigung“, Schüller über die neue Wertschätzung von Statistiken und Klapsa hoffte, dass „wir die neu gewonnenen Leser auch halten können“.
Der „Mediensalon“ ist eine Kooperationsveranstaltung von Deutschem Journalistenverband DJV Berlin – JVBB e.V., der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di und der gemeinnützigen Werkstatt für Medienkompetenz meko factory – diesmal in Kooperation mit „Pioneer“.
Nachtrag: Technische Probleme beim Live-Stream
Die Premiere auf der Pioneer One war für die Online-Teilnehmenden des Mediensalons ein Desaster. Da der kostenfreie Stream von meko factory wegen technischer Probleme nicht funktionierte, konnte als Ausweichlösung nur der kostenpflichtige Stream der Pioneer-Plattform angeboten werden. Dies löste bei zahlreichen Teilnehmer*innen verständlicherweise verärgerte Reaktionen aus: „Sehr ärgerlich!“ und: „Eine Frechheit!“ meko-factory-Geschäftsführer Christoph Nitz warb um Verständnis und versprach einen Mitschnitt, der mittlerweile hier auf Facebook abgerufen werden kann: https://www.facebook.com/watch/?v=2882452625186708