Datteln IV und der Journalist als Störer

Mehr als 100 Aktivisten protestierten am 2. Februar auf dem Kraftwerksgelände von Datteln IV. Foto: Björn Kietzmann

Die Proteste gegen die Inbetriebnahme von Datteln IV werden gerade intensiviert – trotz Corona. Nicht nur Klimaschützer und örtliche Bündnisse beklagen, dass das Steinkohlekraftwerk ungenehmigt am falschen Platz errichtet wurde und trotz Kohleausstieg noch ans Netz soll. Zu den Auseinandersetzungen ist eine Klage hinzugekommen gegen ein ausgesprochenes Aufenthaltsverbot für einen Fotografen. ver.di erreichte am 28. Mai einen Teilerfolg für die Pressefreiheit. Das Verwaltungsgericht Gelesenkirchen setzte das Verbot aus.  

Am 2. Februar – noch vor Corona also – organisierten Aktivisten eine morgendliche Protestaktion gegen das Kraftwerk des Unternehmens Uniper. Auf dem Gelände besetzten sie unter anderem ein Kohlefördergerät. Eine Reihe von Journalisten, auch der freie Fotograf Björn Kietzmann, waren vor Ort. „Ich und einige Kollegen haben dokumentiert, was dort geschah. Tatsächlich, das zeigen meine Fotos, bin ich so nah wie möglich ran an die Akteure. Der Protest war friedlich. Als ich alles überschaut und fotografiert hatte, haben ich und andere Journalisten das Gelände wieder verlassen. Erst da hat die Polizei auch meine Personalien aufgenommen“, beschriebt Kietzmann das Geschehen. Seine Fotos von dem Protesttag sind unter anderem im Spiegel, in der taz, der Bild-Zeitung und auf Onlineportalen erschienen.

Die Polizei, dein Freund und Hellseher

Völlig überrascht war Kietzmann dann, dass das Amtsgericht Recklinghausen am 17. April einen Strafbefehl gegen ihn ausgestellt hat, „ausdrücklich“ auf Betreiben der Kraftwerksfirma, so ist inzwischen klar. Der Bildjournalist soll wegen Hausfriedensbruchs 900 Euro Geldstrafe zahlen. Zur Last gelegt wird ihm, dass er das Betriebsgelände widerrechtlich betreten und „dort diverse Fotos von Umweltaktivisten“ gefertigt habe. Damit nicht genug: Kietzmann erhielt inzwischen vom Polizeipräsidium Recklinghausen – mithin vom Land Nordrhein-Westfalen – zusätzlich ein Betretungs- und Aufenthaltsverbot für das Kraftwerksgelände, das bis Mitte August befristet ist. Gegen beides – Strafbefehl und Verbotsverfügung – wehrt sich der Fotograf jetzt mit ver.di-Rechtsschutz.

„Erkenntnisse lassen darauf schließen“, dass sich der Pressefotograf „bei sich bietender Gelegenheit erneut mit Kraftwerksgegnern auf das umfriedete Grundstück des Kraftwerks begeben wird“, heiß es in der polizeilichen Begründung des Aufenthaltsverbotes. Es wurde am 14. Mai ausgesprochen, vorsorglich mit „Blick auf die Jahreshauptversammlung der Fa. Uniper und der Aufnahme des Vollastbetriebs“, weshalb mit „weiteren rechtswidrigen Störaktionen zu rechnen“ sei. Das Areal, das es betrifft, erstreckt sich weiträumig um den Kraftwerksneubau herum und umfasst mehrere Kilometer öffentliches Straßenland. Ausgenommen werden lediglich das Besucherzentrum für das Kraftwerk Datteln IV – dorthin müsste der Fotograf nun vermutlich einfliegen – und mögliche offizielle Presseeinladungen mit „Einverständnis des Hausherrn“. Das Verbot richte sich „nicht gegen Herrn Kietzmann als Journalisten, sondern als Störer“, heißt es vom Polizeipräsidium Recklinghausen.

Unwahrscheinlich, aber amtlich

Abgesehen vom Betreten des Kraftwerksgeländes kann Kietzmann substanziell gar nichts vorgeworfen werden. Denn die Nutzung von Fotos stelle keine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit dar. Und der „bloße Umstand, dass er eine journalistische Dokumentation von Protesten vorgenommen hat, macht ihn noch nicht zu einem Aktivisten“, argumentiert Anwalt Dr. Jasper Prigge. Das weiträumige Betretungsverbot greife übermäßig in die Berufsfreiheit seines Mandanten ein. Auch deshalb wurde Klage eingereicht. Ob sich der Fotograf am 2. Februar widerrechtlich Zutritt zum Kraftwerksgelände verschafft habe, werde im gerichtlichen Verfahren erst aufzuklären sein, sagt Prigge und hat Akteneinsicht beantragt.

Zur Uniper-Hauptversammlung in Düsseldorf protestieren am 20. Mai BUND-Aktive gegen den „Irrsinn“ der Inbetriebnahme des Steinkohlekraftwerks. Foto: BUND/ Jörg Farys

Die Erwartung, Björn Kietzmann werde in den nächsten drei Monaten weitere Straftaten begehen, ist für Christof Büttner, bei ver.di NRW für den Medienbereich zuständig, eine nicht hinzunehmende behördliche Unterstellung. „So werden Berichterstatter vorauseilend zu Tätern gestempelt. Das verunsichert Kollegen nicht nur bei der Ausübung des Berufs, sondern verstößt gegen die Pressefreiheit.“ Im Übrigen, so der Gewerkschafter, habe sich Kietzmann mit ver.di schon einmal erfolgreich gegen amtliche Willkür behauptet. Dass ihm beim G20-Gipfel in Hamburg 2017 die Akkreditierung entzogen wurde, war erwiesenermaßen rechtswidrig.


Teilerfolg für die Pressefreiheit

Der Pressefotograf Björn Kietzmann darf am morgigen Samstag (30. Mai) eine weitere Protestaktion gegen das Kraftwerk Datteln IV journalistisch begleiten. Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen bezeichnete das bis Ende August datierte Aufenthalts- und Betretungsverbot für das Kraftwerksgelände und die nähere Umgebung als „Hängebeschluss“ und setzet es zeitweise aus.

Christof Büttner, Landesfachbereichsleiter Medien in ver.di NRW wertete die Entscheidung des Gerichts „als einen wichtigen Teilerfolg für die Pressefreiheit“.  „Das Betretungsverbot hätte die freie Berichterstattung über künftige Protestaktionen im Umfeld des Kraftwerkes durch unser Mitglied verhindert. Aus unserer Sicht war der Kollege nicht als Aktivist vor Ort, sondern in seiner Funktion als Pressefotograf. Wenn Journalistinnen und Journalisten ihre Arbeit nicht ausführen können und mit denen gleichgesetzt werden, über die sie berichten, führt das zu einer großen Verunsicherung bei der Ausübung des Berufs. Pressefreiheit ist ein unfassbar hohes Gut, das von uns allen gemeinsam gepflegt und geschützt werden muss“, heißt es weiter in der Pressemitteilung aus NRW. (Aktualisierung am 29. Mai 2020)


VG Gelsenkirchen: Vollziehung des Betretungsverbots muss aufgeschoben werden

Wie das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen am 07. Juli 2020 in einem Eilverfahren entschied (AZ.: 17 L 612/20), kann das durch das Polizeipräsidium Recklinghausen verfügte Aufenthalts- und Bereichsbetretungsverbot erst wirksam werden, wenn über die Klage dagegen rechtskräftig entschieden wurde. Das Polizeipräsidium hatte die sofortige Vollziehung angeordnet, wogegen sich Bildjournalist Björn Kietzmann nun erfolgreich gerichtlich gewehrt hat. In seiner summarischen Prüfung der Rechtslage führte das Gericht außerdem begründete Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Betretungsverbots an, kam insgesamt jedoch zu dem Schluss, dass das Verbot weder offensichtlich rechtmäßig noch offensichtlich rechtswidrig war und hat auf dieser Grundlage in einer Abwägung der Interessen zu Gunsten von Kietzmann entschieden.

(Aktualisierung am 09. Juli 2020)

 

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