Sind Journalisten nur „dabei“, oder schon „mittendrin“, wenn sie Freundschaften schließen, selbst anpacken und helfen? Dürfen sie das als „neutrale Berichterstatter“ überhaupt? Diesen Fragen widmete sich am 23. September eine Diskussionsveranstaltung von Netzwerk Recherche (netzwerkrecherche.org/termine/stammtische/berlin/) und der taz im vollbesetzten Berliner taz-Cafe.
„Sie sind also Journalist und Aktivist in einer Person“, bekam der Tagesspiegel-Redakteur Matthias Meisner von einem Vertreter der sächsischen Landesregierung zu hören. Er hatte auf dem Weg zu einem Pressetermin eine Kleiderspende für Geflüchtete bei einer zivilgesellschaftlichen Einrichtung abgegeben. Auch der taz-Redakteur Martin Kaul wurde von einem Redaktionskollegen gefragt, wie er es mit seiner journalistischen Objektivität vereinbaren könne, wenn er während seiner Reportage-Tätigkeit am ungarischen Keleti-Bahnhof Anfang September den dort gestrandeten Flüchtlingen Wasser und Lebensmittel besorge.
Neben Meisner und Kaul waren der Fotograf Björn Kietzmann und die NDR-Journalistin Alena Jabarine eingeladen. Sie hatte Anfang September Undercover als Flüchtlingsfrau verkleidet in einem Erstaufnahmelager in Hamburg mit versteckter Kamera gefilmt. Kietzmann hat in den letzten Wochen Flüchtlinge auf der griechischen Insel Lesbos mit der Kamera begleitet und ihre Route durch die Balkanländer bis nach Budapest dokumentarisch festgehalten. Er sei bei seiner Arbeit als Fotograf schon öfter in Krisengebieten gewesen. Daher habe es ihn überrascht, wie stark ihn die Notsituation der Geflüchteten in Ungarn psychisch mitgenommen hat, betonte Kietzmann. Martin Kaul hatte bereits in einem taz-Beitrag geschrieben, wie ihn die Zustände um den Keleti-Bahnhof belasteten. Solche Zustände habe er in einem europäischen Land nicht für möglich gehalten: Er habe durch eine Unterführung einen mitteleuropäischen Bahnhof verlassen und sei in ein Notstandsgebiet eingetreten. Ursprünglich hatte Kaul einen mehrstündigen Kurztrip in Budapest geplant. Er wollte Geflüchtete in einem Zug aus Budapest Richtung Deutschland begleiten. Erst vor Ort entschied er sich für einen längeren Aufenthalt.
Auch Alena Jabarine hatte ihren sechstätigen Aufenthalt in der Hamburger Flüchtlingsunterkunft auch sehr kurzfristig geplant. Ihr größtes Problem war am Ende, den neuen Bekannten, die ihr dort mit Rat und Tat als vermeintlich allein reisende Flüchtlingsfrau geholfen hatten, ihre Rolle als Journalistin zu offenbaren. Am Anfang seien manche schockiert gewesen. Am Ende überwog aber die Dankbarkeit, dass sie die Zustände in der Unterkunft einer größeren Öffentlichkeit bekannt macht. Die Veranstaltung machte einmal mehr ein Grundproblem deutlich, mit dem vor allem freie Medienarbeiter immer wieder konfrontiert sind. Von ihnen wird verlangt, sich schnell in neue Themen einzuarbeiten. Aber so werden sie kaum vorbereitet auf Notstandssituationen wie in Keleti.
„Ich bleibe auch in meiner Rolle als Journalist Mensch“, hatte Kaul dem Kollegen geantwortet, der fragte, ob er als Wasser- und Essensspender noch objektiv sein kann. Bei der Diskussion im taz-Cafe gab es in dieser Frage keine Kontroversen. Dass ein solches humanitäres Verständnis nicht alle Medienvertreter teilen, wurde Anfang September deutlich. Eine ungarische Kamerafrau wurde dabei gefilmt, wie sie einem syrischen Mann mit seinem Kind im Arm beim Grenzübertritt ein Bein stellte und ihn so zum Sturz brachte.