Dem Zensor trotzen

Türkische Filmemacherinnen beim IFFF in Köln über Filmkunst in Opposition

Schwerpunkt des „Internationalen Frauenfilmfestivals“ (IFFF) im April, das jährlich wechselweise in Dortmund und in Köln stattfindet, war die Türkei. Regisseurinnen und Filmemacherinnen führten in Köln Debatten zum Kampf um künstlerische Freiheit im Vorfeld und Nachklapp der Gezi-Park-Proteste.

Filmemacherin Pelin Esmer während Filmaufnahmen zu „Watchtower“. Foto: watchtowerfilm. com/#press
Filmemacherin Pelin Esmer während Filmaufnahmen zu „Watchtower“.
Foto: watchtowerfilm.com/#press

Auf dem Podium miteinander streiten, aber gegen Recep Tayyip Erdogans autokratische Regierung zusammen stehen, so die Maxime von Regisseurinnen aus türkischen Großstädten wie Istanbul, Ankara, Izmir und der Videoaktivistinnen vom Gezi-Park.
Bei einer Diskussionsrunde unter dem Titel „Image und Protest“ wurde deutlich, dass die Obrigkeit kritische Einflüsse fürchtet und dann mitunter autoritär reagiert. Beim öffentlichen Screening ihres Films „Shore“ in einem der am Meer gelegenen Dörfer, habe der örtliche Bürgermeister inmitten der Vorführung den Strom abgedreht, berichtete Rüya Arzu Köksal. Der Film handelt von der Verschandelung der Schwarzmeerstrände durch den Bau einer Küstenschnellstraße. Der Rückblick auf fröhliches Treiben, wie Menschen sich einst dort erholt, getanzt und gebadet hatten, wo später schweres Baugerät profitgieriger Bauunternehmer zerstörte Landschaften hinterließ, stellte eine Provokation dar. „Plötzlich alles dunkel und still; just an der Stelle des Films, als Erdogans zynische Lobrede auf Modernität und Urbanität begann!“ Köksal war anschließend gegen den Bürgermeister vor Gericht gezogen; die Meinungsfreiheit hatte gewonnen.

Anliegen der Videoaktivistin Güliz Saglam ist, Frauen im Widerstand eine Stimme zu geben und so ideologisch verzerrter Politik konservativer Mainstream-Medien „reale Bilder“ entgegen zu halten. Die Festival-Organisatorin Elem Celebi aus Istanbul ergänzte, 2013 sei es Polizeistrategie gewesen, den Widerstand gegen die Zerstörung des Gezi-Parks nur als Straßenkampf medial wahrnehmbar zu machen, nicht aber als friedlichen Protest.
Wie notwendig der feministische Kampf in der Türkei ist, zeigt in drastischer Weise „Nobody s home“ der Regisseurin Deniz Akcay Katiksiz aus Izmir: Eine Frau steht nach dem Tod ihres Gatten hilflos den Anforderungen des Alltags gegenüber. Beim kleinsten Anlass ruft sie nach ihrer berufstätigen Tochter. Die weiß sich der Tyrannei ihrer Mutter nur durch Heirat zu entziehen. „Der Film zeigt, dass die Familie in der Türkei völlig überbewertet ist“, kommentiert Celebi. Die konservative Regierung versuche alles, „um unabhängigen Frauen Steine in den Weg zu werfen und das patriarchalische System zu stützen“, empört sie sich. „Ständig müssen wir gegen Gesetze kämpfen, die überkommene Familienmoral zementieren.“
Zensur gebe es keineswegs nur in der Türkei, sondern überall auf der Welt, mitunter auf subtile Weise, meint die prominente Filmemacherin Pelin Esmer. Ihr Film „Watchtower“ wurde vergangenes Jahr beim IFFF gezeigt und ist derzeit in deutschen Kinos zu sehen. Es komme immer darauf an, wie viel Experimentierfreudigkeit oder kritische Haltung jeweils genehm sind, so Esmer gegenüber M. „Letztlich geht es um die Möglichkeit, Filme in Arthouse- oder kommerziellen Kinos zeigen zu können und ihre Finanzierung zu sichern.“ Verantwortliche staatlicher Kulturförderungen oder in Fernsehredaktionen hätten Verfügungsgewalt darüber. Je konservativer und festgefahrener sie seien, desto kleiner könnten Spielräume von Kreativen und Künstlern werden. Türkische Filmemacherinnen hätten aus der Bewegung um den Gezi-Park gelernt, jeden Tag aufs Neue nach ihren Rechten zu fragen und sich für ihre Gestaltungsfreiheit einzusetzen. Sie hätten aber erleben müssen, wie etwa die Emek-Kinos in einem historischen Bau im Istanbuler Stadtteil Beyoglu niedergerissen wurden. Immer wieder seien öffentliche Einrichtungen zerstört worden, um an deren Stelle Shoppingmalls und Boutique-Hotels zu errichten. „Dabei geht es nur um schnelles Geld. All das macht uns krank und müde, wir wollen unser Leben nicht nur vom Konsum bestimmen lassen“, meint Esmer. Ihre Filme hat sie mit einer Anfangsfinanzierung des türkischen Kulturministeriums hinbekommen, im Anschluss folgte erst europäische Förderung: im Fall von „Watchtower“ vom deutschen Medienboard Berlin-Brandenburg, dem französischen Centre nationale du cinéma (CNC) und dem europäischen Filmförderungsfonds Eurimage.
Das türkische Kulturministerium unterstütze kritische Filme teilweise nur mit sehr geringen Beträgen, sagt Köksal. „Wir haben keinen Luxus, also nichts zu verlieren.“, meint sie. „Du kannst sagen, was Du willst, aber die Konsequenzen musst Du tragen.“ Die Regierung habe ein Gesetz, in dem sie festschreiben wollte, jeden Film beim Kulturministerium registrieren zu müssen, erst nach anhaltenden Protesten zurückgezogen, so Celebi. Wie ist das Ministerium zu überzeugen, regierungskritische Filme zu fördern? Dazu eine Videoaktivistin verschmitzt: „Wir machen aus dem Material einfach zwei Filme, einen für uns und einen für das Ministerium.“

 

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