Diagnose: Für viele sozial unverträglich

Es debattierten (v.l.n.r.): Burkhard Blienert, SPD-Bundestagsabgeordneter, Sol Bondy, Produzent, Prof. Dr. Ursula von Keitz, Filmmuseum und Filmhochschule Potsdam, Prof. Dr. Andreas SchreitmŸüller, ARTE, Autorin Lisa Basten, Kultursenator Klaus Lederer (Die Linke), Christine Berg, Vize-Vorsitzende FFA und Moderator RüŸdiger Suchsland. Foto: Marijana Harder

Wenn die Berlinale das Kino feiert und Berlin deshalb Kopf steht, ist das gut für das Image des Films. Doch sind die Bedingungen, zu denen Kino- und Fernsehproduktionen entstehen, für viele Filmschaffende bestenfalls prekär. Das bestätigte das am Eröffnungstag mit Unterstützung der Pensionskasse Rundfunk zustande gekommenen Crew United-Panel.

Es diagnostizierte überdies, dass die Lage der Filmschaffenden in Deutschland absehbar auch so bleiben werde. Die Diskutanten verdeutlichten nicht nur erneut, wie stark jeder Aspekt der Filmherstellung, -finanzierung, -förderung, -vermarktung und -auswertung auf die Arbeitsbedingungen und Verdienstmöglichkeiten durchschlägt, sondern zeigten auch die Unmöglichkeit baldiger Veränderung. Sie beziehe sich nicht nur auf die mangelnde Solidarität, die eine schlagkräftige Bewegung verhindert, sondern auch auf die Endlichkeit von Geld für Produktionen und Aufmerksamkeit durch den Konsumenten. Am Ende des Tages könne eine Branche eben nur eine bestimmte Menge an Menschen ernähren. 

Bedingungsloses Grundeinkommen für Filmschaffende!

Allerdings nimmt gerade die Kreativbranche einen Sonderstatus ein. Hier soll – darf – nicht ausschließlich das Kommerzielle im Vordergrund stehen. Insofern kam die Schlüsselfrage auch aus dem Publikum: Wenn Produktionen ausreichend ausgestattet würden, ihre Zahl aber verringert würde, wie würde dann darüber bestimmt, wer die Jobs dort bekommt? – Wie also würde der Kuchen auf all jene verteilt, die davon leben möchten, obwohl er dafür zu klein ist? Die Antwort gab Lisa Basten, Wissenschaftlerin und Autorin des Buches „Wir Kreative! Das Selbstverständnis einer Branche“, und sie lautet: bedingungsloses Grundeinkommen. „Wenn man gerne einen Job macht, aber es klappt nicht so richtig mit ihm, dann müssen wir über eine Grundsicherung sprechen“, sagte sie. Für eine Grundsicherung, für die Basten in Klaus Lederer (Die Linke), Kultursenator von Berlin, einen Verbündeten auf dem Podium fand, lieferte sie noch weitere Argumente: Die heutige Erwerbsstruktur geht von einer 35- bis 40-Stunden-Woche, Festanstellung und vollumfänglicher Sozialversicherung aus. Das ist jedoch ein Modell des Industriezeitalters, das der Arbeitsrealität des digitalen Zeitalters nicht mehr entspricht. Noch gibt es keinen Ersatz dafür, es sei denn, man zählte Hartz IV und Mindestlohn dazu. Doch auch diese Instrumente liefern keine reelle Alternative, denn die Filmbranche, wie auch die Kreativ- und Digital-Wirtschaft generell, arbeiten projektorientiert und nicht nach dem 40-Stunden-Wochen-Prinzip.

Keine Arbeit unter Existenzminimum

Dass die Bedingungen in der Film- und Fernsehbranche für viele sozial unverträglich und inakzeptabel sind und Kreativität einen Wert hat, der bezahlt werden muss, stand bei allen Diskutanten außer Frage. Immerhin zeigt eine aktuelle Umfrage des Bundesverbands „Die Filmschaffenden e.V.“ mit 3.827 Teilnehmer_innen, dass nur zwei von fünf Filmschaffenden allein von ihrem Beruf leben können. Für Klaus Lederer ist die Branche sogar der Vorreiter für wegbrechende Lohnstrukturen. Die Probleme und Lösungen hier hätten Auswirkungen auf weitere Branchen wie etwa die Wissenschaften. „Wir müssen mehr über die Kräfteverhältnisse im Bereich des Kunst- und Kreativbereichs sprechen“, meinte Lederer daher. „Es ist ein Missverständnis, dass persönliche Freiheit mit der Gefahr verbunden sein muss, ins Nichts zu fallen. Im Kreativbereich wird Arbeit unter Bedingungen produziert, die einen gesellschaftlichen Skandal darstellen. Unter dem Existenzminimum darf keine Arbeit mehr verrichtet werden!“ Der Kulturpolitiker forderte, dass die Branche mehr für sich selbst tun müsse, merkte aber auch an, dass die Gewerkschaften in diesem Bereich zu schwach seien, etwas zu bewirken. Namentlich wurde ver.di in die Pflicht genommen. Dass die Gewerkschaft auf dem Podium nicht vertreten war, erklärte Moderator Rüdiger Suchsland mit der ohnehin umfangreichen Runde. (Allerdings hätte man das Panel auch anders besetzen können, Anmerkung des Autors). Lisa Basten empfahl Praktikables: „Das Problem könnte gelöst werden, wenn die Leute zusammenfinden, in die Verbände gehen, sie durch Veränderung stark machen, ein Pamphlet verfassen und für sich kämpfen.“

Erste Maßnahmen

Als erste Maßnahme wurden kürzlich im Filmfördergesetz (§ 2, Absatz 9) „sozialverträgliche Bedingungen“ als Fördergrundlage verankert. Das sei auch im Berliner Koalitionsvertrag festgehalten, werde also auch für die Medienboard Berlin Brandenburg gelten, so Lederer. „Die Politik ist vorangegangen und hat zur Branche gesagt: ‚Bewegt euch!‘“, meint Christine Berg, stellvertretende Vorsitzende der Filmförderanstalt (FFA). „Die FFA hat zudem die Mindestförderquote eingeführt, um gute Löhne bei den Produktionen zu gewährleisten. Aber wenn jemand die Situation schrecklich findet, muss er auch aufstehen, ehrlich sagen, was los ist und sich nicht hinter dem Argument verstecken, dass man dann keine Aufträge, Förderung oder Jobs mehr bekommt.“ Das betrifft das Problem des Einzelkämpfertums der Branche, da jeder denkt, er könne es schaffen. „Man arbeitet auf etwas hin“, begründet der Produzent Sol Bondy die Bereitschaft zur Selbstausbeutung. Konkret bedeute dies für ihn: nach fünf Jahren im Geschäft zahle er sich selbst mit seiner Firma One Two Films erstmals den Mindestlohn. Er könne seine erste majoritäre Produktion machen, die mit zwei Millionen Euro jedoch um eine halbe Millionen unterfinanziert sei, weshalb er keinen Tariflohn zahlen könne. Dass seine letzte Koproduktion „Der glücklichste Tag im Leben des Olli Mäki“ mehrere Preise gewonnen hat, helfe ihm dabei nichts.

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