Vom Krieg in Afghanistan und der harten Arbeit einer Krisenreporterin
Mit Unterbrechungen hat die RTL-Korrespondentin Antonia Rados seit Oktober aus Pakistan und seit der Einnahme Kabuls durch die Nordallianz auch aus Afghanistan berichtet. Die 48 Jahre alte Österreicherin ist eine erfahrene Krisenreporterin und seit 1993 Sonderkorrespondentin Ausland für RTL. Außerdem leitet sie seit 1995 das RTL-Büro in Paris.
Wie ist die Stimmung vor Ort? Haben die Menschen Hoffnung auf eine bessere Zukunft durch die neue Regierung?
Rados: Die meisten hoffen auf eine Verbesserung der Situation durch die neue Regierung. Aber Zweifel sind nach wie vor verbreitet, ob die verschiedenen Stämme mit dem Beschluss vom Petersberg wirklich zufrieden sind. Doch darüber wird ja die UNO-Schutztruppe wachen. Die einzigen, die sich freuen und für die die Situation seit November schon besser ist, sind die Frauen. Sie sind regelrecht euphorisch. Sie dürfen wieder arbeiten, beginnen langsam damit, die Burka abzulegen. Sie müssen sich vorstellen, dass es allein in Kabul 30.000 Kriegswitwen gibt, die ihre Familien und sich ernähren müssen.
Es gibt viele Gerüchte über Osama bin Laden. Inwieweit interessiert es die Menschen in Afghanistan, wo er sich aufhält oder ob er überhaupt noch lebt?
Es kümmert die Afghanen nicht. Sie sehen das als eine Angelegenheit der Amerikaner. Sie sorgen sich im Moment nur darum, wie sie den Winter überstehen sollen, ob sie genug zu essen haben und eine Wohnung finden. Sie müssen sich um ihr Überleben kümmern. Aber dadurch, dass Hilfslieferungen wieder ins Land gebracht werden können, ist die Situation schon ein bisschen besser.
Wie sicher oder unsicher fühlen Sie sich, wenn Sie aus Kriegs- und Krisengebieten berichten?
Für unerfahrene Kollegen ist die Arbeit in einem Kriegsgebiet natürlich schwieriger. Aber auch erfahrene Journalisten können eine trügerische Ruhe falsch deuten. Nehmen Sie das Beispiel meines Kollegen von der ARD, der Ende November in der vermeintlich sicheren Stadt Masar il Sharif von einem Gefecht zwischen der Nordallianz und entflohenen Talibankämpfern überrascht wurde und seine Live-Schaltung abbrechen musste. Natürlich habe ich eine Menge Erfahrung, die ich zum Beispiel im Golfkrieg oder im Kosovo gemacht habe. Das ist meine Art der Vorbereitung. Aber ich würde mich sowieso eher als vorsichtig vielleicht sogar als kleinen Feigling bezeichnen. Was mir in Afghanistan hilft, ist die Tatsache, dass ich früher schon mal hier war.
Wie schützen Sie sich in Krisengebieten? Welcher Schutz ist überhaupt möglich?
Ich arbeite immer mit Leuten zusammen, die ich kenne. Mein Kameramann, mein Dolmetscher, das sind alles Menschen, mit denen ich schon länger zusammenarbeite, denen ich vertrauen kann. Außerdem ist Afghanistan für mich, wie gesagt, relativ bekanntes Territorium. Ich war schon acht Mal hier, so dass ich mich einfach sicherer fühle als in einem völlig fremden Land.
Wie verhalten Sie sich als Frau in diesem Umfeld?
Natürlich muss man darauf achten, sich nicht provokativ zu verhalten. Allerdings möchte ich, wenn es nicht nötig ist, auch nicht unbedingt ein Kopftuch tragen. Im Vergleich zu den männlichen Kollegen sind die Arbeitsbedingungen hier schon sehr viel schwerer. Frauen waren hier in der Öffentlichkeit überhaupt nicht präsent, und respektiert werden sie auch nicht. Das macht meinen Job, den ich ja in der Öffentlichkeit ausüben muss, nicht gerade einfacher.
Wie sehen Sie selbst Ihre Aufgabe als Krisenreporterin?
Ich bin freiwillig hier, und das muss man sich immer vor Augen halten. Es ist zwar oft sehr harte Arbeit, gerade z. B. in Kabul, wo wir in ungeheizten Räumen in Schlafsäcken auf Matratzen schlafen. Auf der anderen Seite ist meine Arbeit sehr befriedigend für mich. Ich lerne verschiedene Facetten der Menschen kennen, kann an viele verschieden Orte reisen und meine Neugier immer wieder befriedigen. Wenn jemand Zweifel hat, ob er dieser Situation gewachsen ist, sollte er sich besser nicht für diesen Beruf entscheiden.
Wie gehen Sie mit Nachrichten über getötete Journalisten um? Verdrängt man solche Nachrichten, damit man überhaupt weiter arbeiten kann?
Der Tod von Kollegen berührt mich immer sehr. Man kennt sich untereinander gut, gerade bei der Berichterstattung aus Kriegsgebieten. Man schläft im gleichen Hotel, tauscht Neuigkeiten und Probleme aus und unterstützt sich gegenseitig. Außerdem ist auch immer der Gedanke da: Das hätte auch mich treffen können.
Was halten Sie von dem Vorschlag des ARD-Vorsitzenden Fritz Pleitgen, Journalisten ähnlich wie das Rote Kreuz mit einem international anerkannten Sonderstatus auszustatten, um mehr Sicherheit bei der Arbeit zu gewährleisten?
Natürlich ist alles gut, was der Sicherheit und dem Schutz dient. Allerdings frage ich mich, wie ein solcher Sonderstatus aussehen soll. Zum einen sterben auch Mitarbeiter vom Roten Kreuz, wenn sie in Krisengebieten tätig sind. Andererseits ist die Formulierung „international anerkannt“ irreführend. Ich muss dabei immer an die Geschichte eines Kollegen denken, der in Nicaragua zu Zeiten des Bürgerkrieges mit einem Auto unterwegs war, das mit „TV“ gekennzeichnet war. Der Wagen wurde schwer beschossen. Der Kollege erkannte zwei Wochen später den Kommandanten der Gruppe, die das Fernsehteam überfallen hatte, und fragte ihn, warum er ein Auto hatte beschießen lassen, das extra mit „TV“ gekennzeichnet war. Der Kommandant fragte ihn daraufhin: „What is TV?“ Ich will damit sagen: Jedes Bemühen um mehr Schutz ist gut, allerdings gibt es da manchmal eine große Kluft zwischen den gutgemeinten Vorstellungen von Leuten, die nicht vor Ort sind, und der Realität.
Was tut Ihr Sender RTL für Ihre Sicherheit? Gibt es Ratschläge aus der Heimatredaktion, sich nicht in gefährliche Situationen zu begeben?
Nur der Journalist vor Ort kann die Lage auch einschätzen. Niemand aus der Zentrale kann mehr wissen als der Reporter, der alles hautnah miterlebt. Als Frau habe ich es da manchmal auch leichter. Einer Frau wird eher eine zurückhaltende Art unterstellt. Männer haben da mit dem Image zu kämpfen: „Der will doch nur zeigen, wie mutig er ist, unterschätzt dabei aber vielleicht den Ernst der Lage.“
Alles, was der Sender aber für den Korrespondenten tun kann, tut er auch. Außerdem ist es gut, mit der Zentrale zu sprechen und das Gefühl zu haben, dass sich jemand um einen sorgt.
Was macht Sie immer wieder stark genug, an diesem Beruf festzuhalten?
Es ist umgekehrt. Der Beruf hat mich einmal gepackt und hält mich fest. Ich kann nichts dagegen tun. Außerdem ist es vielleicht die Gnade eines kurzen Gedächtnis, dass ich immer wieder mit frischer Energie und ohne lähmende Gefühle meine Arbeit verrichten kann. Angst habe ich oft genug. Dann beziehe ich mich oft auf das alte Sprichwort: „Nur Helden und Idioten haben keine Angst.“ Außerdem mache ich zwischen den erschütternden ja auch viele schöne Erfahrungen. Ich lerne viele Menschen kennen. Mich interessiert die Welt. Und für mich gibt es keine Alternative.
Also ist der Beruf noch immer Ihr Traumberuf?
Schlicht und einfach: Ja.
Das Gespräch führte Nicole Tepaße