Süddeutsche Zeitung mit eigenem Team zur Datenauswertung
Irgendwann hat Martina Schories Chef festgestellt, dass es einfach zu verwirrend geworden ist mit den ganzen Datenreihen. Da hat der Chef, der nämlich der Chef der Entwicklungsredaktion der Süddeutschen Zeitung ist, beschlossen, dass das so nicht weitergehen kann und deswegen dürfen sich Martina und ihre vier Kolleginnen und Kollegen seit März offiziell „Datenteam” der SZ nennen: Ein eigenes Team mit eigener Chefin, das mit der Entwicklungsredaktion zusammenarbeitet.
Datenteam? Entwicklungsredaktion? „Die Entwicklungsredaktion ist das Team bei der Süddeutschen Zeitung, das für das Entwickeln von neuen Formaten zuständig ist”, erklärt Schories. „Und wir sind bei diesen Formaten für die Datensachen verantwortlich.” Für die Datensachen, das heißt: Dafür, Daten zu beschaffen und auszuwerten.
Aktuell haben Schories und ihre Kollegen für eine Recherche einen Teil der Datenbeschaffung an die Leser_innen ausgelagert. „Wir wollten wissen, wie stark die Leute tatsächlich durch ihre Miete belastet werden”, sagt Schories. „Dafür haben wir die Leser gebeten, einen Fragebogen auszufüllen und um die 57.000 Antworten bekommen.” Ohne eine Datenredaktion könnte keine Zeitung eine solche Masse an Informationen auswerten. Als vor ein paar Jahren die Erkenntnis in die Redaktionen eingesickert ist, dass so etwas nun möglich ist, war die Begeisterung deswegen erst einmal groß. So groß, dass die Frage, was man mit all diesen Daten nun umgeht, zunächst in den Hintergrund getreten ist. „Damals hieß Datenjournalismus noch: Wow, wir haben hier hunderttausend Daten, die visualisieren wir alle in einer Karte und der Leser kann sich dann alles anschauen”, sagt Schories. „Aber ein klassischer Journalist veröffentlicht ja auch nicht einfach sein Notizbuch.”
Dass es nicht nur darum geht, Daten zu sammeln, sondern dass man auch die richtigen Fragen stellen muss – das ist eine der wichtigsten Erkenntnisse des Datenjournalismus der letzten Jahre. „Die meisten Leute denken, wenn sie Datenjournalismus hören, an aufwendige und unverständliche Visualisierungen”, sagt Schories. „Dabei geht es in Wirklichkeit viel mehr darum, die Geschichte hinter den Zahlen zu finden.”
In ihrem letzten großen Projekt haben Schories und ihre Kollegen das Verhalten der AfD im Bundestag analysiert. Dafür haben sie hunderte Bundestagsprotokolle ausgewertet und darin nach Auffälligkeiten gesucht. „Dabei ist uns dann zum Beispiel aufgefallen, dass, seit die AfD im Bundestag sitzt, der Vermerk ‘Heiterkeit’ in den Protokollen stark abgenommen hat und stattdessen viel öfter ‘Lachen’ notiert war”, sagt Schories. „Wir haben uns dann die entsprechenden Reden angeschaut und festgestellt: Der Grund ist, dass die AfD nicht mit den anderen Fraktionen lacht, sondern sie auslacht – sie verwenden Lachen als Waffe.”
Es sind Feststellungen wie diese, um die es Schories in ihrer Arbeit geht, bei der trotzdem das Programmieren im Vordergrund steht. 85 Prozent ihrer Zeit, das schätzt Schories, verbringt sie damit, Codes zu schreiben. Das kostet Zeit: Fast fünf Monate hat die Umsetzung des Projektes „Die AfD im Bundestag” damals gedauert.
Lohnt sich der Aufwand? „Wenn die Begeisterung der Leute für das Stück nicht mit dem Aufwand wächst, dann müssen wir uns fragen: Erzählen wir die Geschichte richtig?”, sagt Schories. „Früher hatten wir viele solche Projekte: Da saßen dann drei Leute lang vier Monate an einem Projekt – und das Ergebnis sah schließlich superfancy aus, hat aber keine 20.000 Klicks gekriegt.” Inzwischen passiere so etwas kaum noch. „Das Verständnis dafür, dass Daten in erster Linie ein Recherchewerkzeug sind, ist heute viel größer als früher”, sagt Schories. Neben den Datenjournalisten gibt es bei der SZ Spezialisten fürs Storytelling, die sich überlegen, wie man den Leser_innen die großen Geschichten am besten aufbereitet.
Um auch in der Print-Redaktion ein Verständnis dafür zu schaffen, wie Datenjournalismus funktioniert, gibt es bei der Süddeutschen Zeitung zudem seit einiger Zeit „Austauschseminare” zwischen den Online- und Printredaktionen: Eine Art Praktikum, im Rahmen dessen die Zeitungsredakteur_innen bei den Onlinern mitarbeiten und andersherum. Und auch sonst arbeitet das Datenteam sehr eng mit der Redaktion zusammen: „Beim ‘AfD im Bundestag’-Projekt haben wir unsere Ergebnisse dann der Politik-Redaktion gezeigt und die haben uns geholfen, einzuschätzen: Stimmt unser Eindruck? Welche Ergebnisse sind am relevantesten?” Eine erfolgreiche Zusammenarbeit, findet Schories. „Der Datenjournalismus soll den klassischen Journalismus nämlich nicht ersetzen – sondern ergänzen.”