Die VJ-Queen

Sabine Streich initiierte einen Award für Videojournalisten

„Videojournalisten sind die Egon Erwin Kischs des digitalen Zeitalters“, sagt die 38jährige Filmemacherin, Kamerafrau und Videojournalistin Sabine Streich. Seit zehn Jahren trainiert sie Redakteure bei der ARD, dem ZDF und der BBC zu Allroundtalenten. Aufgrund ihres außergewöhnliches Könnens, ihrer Leidenschaft für den Film und ihres enormen Engagements, kürten sie Kollegen zur „ VJ-Queen“. Am 11. Februar initiierte Streich gemeinsam mit dem ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender in Mainz ihren 4. International VJ Award. Ein Meilenstein.

„Sabine ist der Inbegriff der internationalen VJ-Szene“, sagt David Dunkley Gyimah, der eigens für den VJ Award aus London einflog, um in der Jury mitzuwirken. Gyimah stellt mit seinem „viewmagazin .com“ unter Beweis, dass es Videojournalisten möglich ist, selbst zu drehen, zu schneiden und ihre Filme gleich im Internet zu veröffentlichen.
„Preisgünstige Konsumkameras, die in der Lage sind, sendefähige Bilder zu liefern, haben weltweit das Fernsehgeschäft revolutioniert“, sagt Streich. Der neue frische Wind, der von den VJ ausgeht, erfasste zur Jahrtausendwende auch Deutschland. Etablierte Kameraleute, Tonleute und Cutter fürchteten, von den „jungen Wilden“ verdrängt zu werden. In den Anstalten des Öffentlichen Rechts tobte zunächst ein erbitterter Kampf. „Anfangs wurden wir öffentlich ausgepeitscht“, erinnert sich VJ-Pionier Bernd Kliebhan, der beim Hessischen Rundfunk (HR) die erste VJ-Abteilung der ARD aufgebaut hat. Als eine Märtyrerin der VJ-Bewegung fühlt sich Streich zwar nicht, aber sie spürte die Feindseligkeiten. „Ein VJ kann nie einen guten Kameramann oder Cutter ersetzten, weil er nur einen Ausschnitt des Handwerks beherrscht“, rechtfertigt Streich. „Ein VJ ist vielmehr eine Ergänzung zur klassischen Teamarbeit und eine Bereicherung für den Sender.

Zusammen mit dem New Yorker VJ-Papst Michael Rosenblum gab Streich die ersten VJ-Bootcamps in Deutschland. Ihr Führungsstil basiert auf Kollegialität und Kooperation. In den vier bis fünfwöchigen Trainingskursen will sie das Beste herausholen aus ihren Schützlingen, einen „guten Journalismus“ lehren: „Einen Journalismus, der eine innere Motivation hat.“ Das sei notwendig, denn die Arbeit des VJ ist „brutal anstrengend.“ „VJ sein ist nix für Waschlappen“, sagt Streich. „Ein VJ muss in den einzelnen Disziplinen viel geben, sich mit Kamera, Schnitt, Dramaturgie und journalistischen Formen auskennen.“
Die Sender, die Streich regelmäßig buchen, erkennen die Qualität der „Einmannkapellen“.
„Nachdem Frau Streich bei uns einen Vortrag gehalten hat, haben auch wir uns entschieden, VJ auszubilden“, erinnert Benedikt Otto, Produktmanager aktuelles Fernsehen des MDR in Erfurt. Mittlerweile verfügen alle öffentlich-rechtlichen Sender über eine schnelle „VJ Eingreiftruppe“.
Mit ihrem in über 20 Jahren erarbeiteten Know How, Tipps und Technik-Tricks, z.B. wie man aus billigen Baumarkt Taschenlampen eine Kamerabeleuchtung bastelt, will Streich ihren Schützlingen einen Wettbewerbsvorteil verschaffen. „Videojournalisten sind frei und unabhängig. Sie brauchen keinen Kameramann und keine Verwaltung“, sagt Helmut Altenpohl, der, wie Streich auch, in der renommierten ARD-ZDF-Medienakademie in Nürnberg Kurse gibt für VJ.

„Geht gleich rein in die Story“

„Sabine kann Leute begeistern, ihren Ehrgeiz wecken“, beobachtet Altenpohl. „Aber auch quälen“, fügt Streich lachend hinzu. Zu einer ihrer Kursteilnehmerinnen sagt sie: „Ich bin bei dir ein bisschen strenger, weil ich weiß, dass Du es besser kannst.“ Ihr Credo: „Macht immer nur solche Filme, die ihr auch selber anschauen würdet!“Dabei sehen sich Videojournalisten oft „Auge in Auge“ mit der Bestie, beispielsweise bei einem Bericht über eine Alligatorfarm in Hessen. Streich berichtet, wie ein VJ ins Wasser sprang, um von den riesigen, weit aufgerissenen Zahnreihen der Alligatoren Nahaufnahmen zu machen. Zwar meint Streich, „geht gleich rein in die Story“. Aber von solchen Kamikazeeinsätzen sei abzuraten!
Um ihre Leistungen zu würdigen und eine Gemeinschaft zu bilden, initiierte Streich als Kuratorin den Internationalen VJ-Award, der in der Branche hohes Ansehen genießt. ZDF-Redakteur Bodo Witzke lobte die hohe Qualität der 250 Einreichungen:„Der VJ-Award gibt Filmemachern eine Plattform, sich weiter zu bilden, Anregungen aufzunehmen und zu geben.“
Um die Kosten für das Event und Preisgelder in Höhe von insgesamt 12.000 Euro zu stemmen, holte Streich das ZDF, den Hessischen Rundfunk, die Bauhaus Universität Weimar, das Schweizer Fernsehen, die Deutsche Welle, den Westdeutschen Rundfunk, Apple und die Multimediainitiative Rheinland-Pfalz (rlp-inform) ins Boot.
„Ohne die Initiative von Frau Streich gebe es den VJ Award nicht“, sagt Otto anerkennend. Und auch ZDF-Kollege Jochen Klug beobachtet: „Sie ist die Galionsfigur der VJ.“ Schade nur, dass Klug offensichtlich ganz vergessen hat, die Initiatorin des Preises auch in seinem ZDF Nachrichtenbeitrag über den VJ-Award zu erwähnen. Doch auch ohne „Credit“ vom ZDF wächst die weltweite Fangemeinde der VJ-Queen, die gerade ein ausgezeichnetes Trainingshandbuch über Videojournalismus veröffentlich hat.
Ihre glühende Leidenschaft für den Film, gepaart mit einer außerordentlichen Zähigkeit und einem nahezu missionarischen Sendungsbewusstsein, hält sie auch im 9. Schwangerschaftsmonat nicht davon ab, noch akrobatisch Kameras zu jonglieren. Ihr VJ-Award war der Erste Streich und der Zweite? „Sabine vergiss nicht dein Kind zu kriegen“, scherzt , Martin Ordolff vom ZDF, der sie einfach zu gut kennt.

Buchtipp

„Videojournalismus, Ein Trainingshandbuch“,

Sabine Streich, UVK,
1. Auflage 2008,
276 Seiten, br., Abb.: 50 fb.
ISBN 978-3-89669-590-1,
EUR 24,90 / CHF 44,00

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Nicaraguas bedrohte Medien

Die Diktatur des nicaraguanischen Präsidentenpaars Daniel Ortega und Rocio Murillo hat in den letzten Jahren immer mehr Journalist*innen ins Exil getrieben. Unter erschwerten Bedingungen berichten Menschen wie Lucía Pineda vom Nachrichtenkanal "100% Noticias" oder Wendy Quintero nun aus dem Ausland. Für diese Arbeit nehmen sie stellvertretend für viele andere am 26. November 2024 den Menschenrechtspreis der Friedrich-Ebert-Stiftung entgegen.
mehr »

KI beinflusst Vielfalt in den Medien

Künstliche Intelligenz kann journalistische Texte in verschiedene Sprachen übersetzen und damit viel mehr Nutzer*innen ansprechen. Gleichzeitig kann sie aber auch Stereotype, die in diesen Texten enthalten sind, verfestigen. Gefahren und Chancen von KI-Anwendungen im Journalismus standen im Fokus der diesjährigen NxMedienkonferenz der Neuen deutschen Medienmacher*innen (NdM), die sich für mehr Vielfalt in den Medien einsetzen.
mehr »

Fakten for Future

Menschen jeden Alters machen sich Sorgen um die Zukunft unseres Planeten. Carla Reemtsma ist Klimaschutzaktivistin und Mitorganisatorin des Schulstreiks Fridays for Future („Klimastreik“) in Deutschland. Als Sprecherin vertritt sie die Bewegung auch in der medialen Öffentlichkeit. Wir sprachen mit ihr über Kommunikationsstrategien, Aktivismus und guten Journalismus.
mehr »

Öffentlichkeit ohne Journalismus

Schwindende Titel, schrumpfende Redaktionen, immer geringere Abonnentenzahlen – dass gerade der Lokaljournalismus vielerorts unter Druck steht, ist nicht neu. Doch was bedeutet das für die lokale Öffentlichkeit, die inzwischen von vielen selbstbewussten Medien-Akteuren mitgestaltet wird? Eine aktuelle Studie der Otto-Brenner-Stiftung beschäftigt sich mit genau dieser Frage.
mehr »