Zweiter dju-Fotografentag über Chancen durch Multimedia-Projekte
„Wo geht die Reise hin?“ war der zweite Fotografentag der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union dju in Hannover überschrieben. Dass es sich nicht um eine geographische, sondern eine berufsorientierende Frage handelte, zeigte der Untertitel „Technik und Recht – Tendenzen rund um die Fotografie“. Über 120 Teilnehmerinnen und Teilnehmer widmeten sich einen Tag lang den Chancen des Internets für Fotografinnen und Fotografen, der Entwicklung des Presserechts und sowie den Restriktionen vieler Veranstalter und den Möglichkeiten des Widerstands. Im Foyer zeigten Teilnehmer eigene Arbeiten, überschrieben „Bilder am Bauzaun“.
Gastgeber des dju-Fotografentags war, wie schon 2005, der Fachbereich Design und Medien der Fachhochschule Hannover, der laut Rolf Nobel (Foto links), Professor für Fotojournalismus, mit über 100 Studierenden, darunter 31 Erstsemestern, die größte Ausbildungsstätte für den fotojournalistischen Nachwuchs in Europa sei. Dabei grenzte Nobel den für ihn wahren Fotojournalismus deutlich von den heute in vielen Magazinen gebotenen Bildern ab: „Nicht das schöne, sondern das erzählende Bild zählt.“ Da die wirtschaftlich guten Zeiten für Fotojournalisten jedoch seit rund 15 Jahren vorbei seien, bräuchten die jungen Leute heute mehr Kenntnisse in Medienrecht und einen größeren Überblick über die technische Entwicklung als frühere Generationen. Nicht zuletzt deshalb organisiere die FH Hannover vom 18. bis 21. Juni 2008 zum ersten Mal ein Festival für junge Bildjournalisten aus ganz Europa.
Eine Möglichkeit, mit Fotos neue Absatzmärkte durch neue Produkte zu erschließen, zeigte der Hannoveraner Absolvent Uwe Martin. Martin, der sich eng an den Medientrend in den Vereinigten Staaten orientiert, verwies darauf, dass sich nicht nur die Aufmerksamkeit junger Menschen immer mehr dem World Wide Web statt Zeitungen und Zeitschrift zuwende, sondern auch Werbeaktivitäten. So seien in den USA im Jahr 2006 die Einnahmen des Werbemarkts im Internet auf 16,9 Milliarden Dollar angewachsen und machten bereits sechs Prozent des jährlichen Werbevolumens dort aus.
Finanzielle Daumenschrauben
Fotografinnen und Fotografen, die sich zur Verbreitung ihrer Arbeiten das Internet zunutze machen, seien nicht mehr auf den Transport ihrer Bilder via Zeitschriften oder Zeitungen zum Leser angewiesen. Durch das Internet können Bilder und Podcasts von jedem Punkt der Welt aus blitzschnell weltweit verbreitet werden: „Quasi sind wir heute im Besitz der Druckerpresse“, kommentierte Martin diese Seite der Internet-Verbreitung. Finanziell werden die Daumenschrauben für Fotojournalisten allerdings immer enger. Die ganze Nachbereitung der Aufnahmen, von der technischen Bearbeitung bis zur Archivierung, falle inzwischen großenteils zu Lasten der Fotografen und werde, obwohl mühsamer und zeitraubender als die eigentlichen Aufnahmen, schlecht bezahlt. Gute Fotografen gebe es inzwischen auf allen Kontinenten, Magazine und Internet-Publikationen seien nicht mehr darauf angewiesen, dass europäische oder amerikanische Fotojournalisten Koffer und Kamera packten und durch die Welt zögen. Durch die sehr unterschiedlichen Lebenshaltungskosten dieser weltweiten Foto-Community können die Vermarkter die Honorare für Fotos weiter drücken in Tiefen, die für Fotografen in westlichen Industrieländern nicht mehr zum Überleben reichen.
Martins Antwort auf diese Abwärtsspirale ist ein neues, cineastisches Produkt anzubieten statt Fotos allein. Fotografien gekoppelt mit gut ausgesteuerten Interviews, eventuell auch Videosequenzen und Grafikanimationen führen zu erweiterten Ausdrucksformen und neuen Gewinnmöglichkeiten. Als Beispiel zeigte Martin (Foto rechts) einen längeren Ausschnitt aus Oliver Jobards Internet-Erzählung „Kingsley’s Crossing“ aus allen oben genannten Elementen, die einen jungen Afrikaner bei seinem verzweifelten Versuch begleitet, nach Europa zu gelangen.
Solche Projekte brauchen viel Zeit und daher eine relativ große Vorfinanzierung, für Martin meist die größte Hürde der Realisation. Allerdings sind hinterher nicht nur Bilder für Magazine entstanden, sondern auch Ton, Film und Grafikelemente, die es möglich machen, diese Reportage nicht nur Zeitungen und Zeitschriften samt Text und eine bessere Verschlagwortung der Fotos für die Archive anzubieten, sondern sie auch im Internet sowie den etablierten Medien Radio und Fernsehen zu platzieren. Der Pionier dieser Foto-Ton-Kombination Brian Storm bezeichnete dieses neue Produkt als „eine Brücke, die Märkte und Publikationsmöglichkeiten miteinander verbindet“. Martin zitierte ihn mit einem Erlös von rund 20.000 Dollar durch den Verkauf einer solchen Geschichte an Radio, Fernsehen, Internet und Zeitschrift in Großbritannien. Rolf Nobel nannte Honorare von 200 bis 1000 Euro für Podcasts beispielsweise bei GEO.
Die ruhige Schilderung mit Erzählungen aus dem Off, Texten, Videosequenzen und Bildern eignet sich nach Martins Beispielen sehr für komplexe Themen. Bislang, sagte Martin, sei die Konkurrenz in Deutschland noch nicht sehr groß, so dass die frühen Anbieter einen Profil- und Geschäftsvorsprung haben. Doch er schätzte, dass dies ein Zeitfenster von nur wenigen Jahren sei, in denen man sich hier eine „eigene Marke“ erarbeiten könne.
Für den heutigen Fotoprofi bedeute die Eroberung dieser neuen Darstellungsform erstmal Lernen. Die technischen Investitionen für anständige Tonaufnahmen et cetera bezifferte Martin auf rund 300 bis 1000 Euro, aber die Weiterbildung im Bereich Ton und Video sei Grundlage für ein absetzbares Produkt. Dass damit bisherige Berufsgrenzen zu Radio- und Fernsehjournalisten überschritten werden, räumte Martin ein: „Klar, wir pfuschen uns alle gegenseitig ins Handwerk und nehmen anderen etwas weg.“ Das wollten einige in der von Kathrin Gerlof moderierten Diskussion nicht so stehen lassen und betonten, hier entstünde ein ganz neues Multimediaprodukt. Skepsis gegenüber den Kosten für Nachrüstung und Weiterbildung sowie dem aktuellen Nutzen bei einem Medium, das doch zuerst Honorarverzicht und große finanzielle Vorleistung bedeute, zeigte sich in mehreren Diskussionsbeiträgen. Eine Kollegin brachte das geäußerte Unbehagen auf den Punkt: „Ich kann mir das am ehesten als Kooperation mit anderen, in ihrem Gebiet erfahrenen Kollegen vorstellen denn als Einzelkämpfertum. Ich weigere mich, als eierlegende Wollmilchsau zu dilettieren.“
Juristische Grenzziehung
Der Nachmittag des zweiten dju-Fotografentags galt rechtlichen Fragen. Der Hamburger Rechtsanwalt Helmuth Jipp (Foto links) beschrieb die Folgen des bekannten „Caroline-Urteils“ vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte im Jahr 2004. Langfristig bedeute dies eine Eingrenzung des in den 1960er Jahren entstandenen Begriffs der „absoluten Person der Zeitgeschichte“ und damit eine Korrektur der bisherigen Rechtsprechung durch das Bundesverfassungsgericht. Hatten früher Zeitungen, Zeitschriften und andere Medien sich selbst die Grenze gesetzt, was von öffentlichem Interesse ist und daher publiziert werden sollte, so sind es nun Gerichte, die in vielen Einzelfallentscheidungen diese Grenzen bestimmen. Setze sich die Auffassung des Gerichtshofs für Menschenrechte gegen die einem weiteren Begriff des öffentlichen Interesses verpflichtete Interpretation des Bundesverfassungsgerichts durch, so werde die Berichterstattung über Prominente und ihre Begleitung künftig sehr eingeschränkt. „Der Begriff der absoluten Person der Zeitgeschichte wird in Zukunft entfallen“, zeigte sich Jipp überzeugt. Die Redaktionen müssten sich ausgiebiger beraten (lassen), was abdruckbar sei. Für Journalistinnen und Journalisten werde es schwieriger, mit einem „zeitgeschichtliches Ereignis“ als Grund für eine Veröffentlichung zu argumentieren. (M 11/2004)
Auch abgesehen vom Glamour der Promis werden in Zukunft viele Fragen vor Gericht entschieden werden: Für welche Veröffentlichungsarten gilt eine Einverständniserklärung des Fotografierten, ab wie vielen Personen spricht man von einer Menschenmenge auf dem Bild, wie groß darf eine Person als „Beiwerk“ auf einem Landschaftsfoto sein? Zahlenmäßige Regeln greifen hier nicht und die Sprüche verschiedener Gerichte fallen zuweilen sehr unterschiedlich aus. Die Rechtsprechung zum Recht am eigenen Bild ist durch den Spruch des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in der Europäischen Union in Bewegung geraten.
Dass es Fotografinnen und Fotografen schwerer haben als ihre Kolleginnen und Kollegen der schreibenden Zunft, stellte ver.di-Urheberrechtsexperte Wolfgang Schimmel (Foto rechts) anschließend dar. Dies sei jedoch keine Angelegenheit des Urheberrechts, sondern vielmehr des Hausrechts, das Veranstalter vermehrt sehr restriktiv auslegen und Fotografen gar mit Knebelverträgen zum Verzicht auf die Vermarktung ihrer Arbeit zwingen wollten. Als Beispiele nannte Schimmel die Knebelverträge für Fotografen, die das Management von Robbie Williams in Anlehnung an frühere Fotoverbotsversuche der Kelly-Family durchsetzen wollte oder die Erklärung der Deutschen Bahn, alle ihre ICE-Züge seien Geschmacksmuster und dürften deshalb nicht von Unbefugten fotografiert werden. Neben dem Widerstand der Fotografen habe nichts so schnell solche Verträge zu kippen geholfen, wie die Lächerlichkeit, deren sich die Akteure dabei aussetzten. „Widerstand nützt was“, unterstrich Schimmel, erklärte aber auch: „Solche Verträge sind Untote, Zombies, Wiedergänger, die kommen alle paar Jahre wieder.“
Starker Partner dju
Ein ebenso immer wiederkehrendes Spiel seien neue Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGBs), die Verlage durchzudrücken versuchten, zuletzt beim Springer Verlag. Hier sollen den Urhebern für eine Einmalzahlung und damit für eine unangemessene Vergütung sämtliche Rechte abgekauft werden. Gegen diesen Vertragstext haben die dju in ver.di, der DJV und Freelens zusammen geklagt. Einige der beanstandeten Formulierungen zur Rechteabtretung wurden in einer einstweiligen Verfügung untersagt, doch beide Seiten haben Berufung eingelegt. Schimmel betonte, dass es damit zum ersten Mal seit Jahren erreicht wurde, einem Verlag Teile seiner AGBs zu verbieten. (M 06–07/2007)
Positiv wertete Schimmel auch die Chancen, in den Tarifverhandlungen über das „angemessene Honorar“, das im neuen Urheberrecht vorgeschrieben ist, zu akzeptablen Ergebnissen zu kommen. Vielleicht gehören dann Bildhonorare von fünf Euro bei Regionalverlagen einmal der Vergangenheit an. Und, wenn es gelingt, bei Anzeigenblättern einen größeren gewerkschaftlichen Organisationsgrad zu erreichen, könnten auch auf diesem Gebiet Verbesserungen erreicht werden.
Diesen Gedanken griff der Sprecher der AG Fotografen in der dju, Bundesvorstandsmitglied Peter Giefer, in seinem Schlusswort auf: Der Fotografentag solle nicht nur zum Vergleich des Ist- mit dem Soll-Zustand des Berufs dienen und des Weitertragens der Erkenntnisse in viele kleine und große Diskussionskreise, sondern auch bewusst machen, dass freie Fotografinnen und Fotografen in der dju mit ihrem Rechtsschutz und ihrem reichen Erfahrungsschatz einen starken Partner haben.