Jugendmedientage in Hannover zur Ethik in den Medien
Für die Jugendpresse Deutschland steht das ganze Jahr 2009 im Zeichen der Ethik. Bei den Jugendmedientagen (JMT) vom 11. bis 14. Juni in Hannover, die sich an die jungen Medienmacher zwischen 16 und 25 Jahren richteten, hieß das Thema folglich „Ethik in den Medien – Eine Frage der Ehre“. Diese Frage diskutierten rund 500 junge Leute rund um die Expo-Plaza, betreut von einer guten Hundertschaft in den Team-T-Shirts.
Als die jungen Leute ab Mittag des ersten JMT-Tages in Gruppen auf der Expo-Plaza an der Hannover-Messe eintrafen, fegte ein kalter Wind durch das nur von oben schützende Zelt mit dem Anmeldungsstand. Sprühregen wechselte mit Regengüssen und schließlich zogen alle, die Leute vom Team am Counter und die Wartenden, mit blaugefrorenen Lippen zum Einchecken in das Gebäude der Fachhochschule Hannover, in der die wettergeschützte Medien-Messe samt dju-Infostand platziert war. Die abendliche Eröffnungsdiskussion musste dennoch im Freien stattfinden. Passend zur Lippenfarbe waren dann auch die an das Publikum und die Podiumsteilnehmer verteilten blauen Decken, damit das Zähneklappern der oben und unten Sitzenden nicht die Beiträge übertönt.
Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung und seit Beginn der Jugendmedientage 2003 in Schwerin Partner der Jugendpresse, nannte es gerade vor dem Hintergrund einer Krise der Medien wichtig, dass sich junge Leute mit den ethischen Grenzen in den Medien beschäftigen, „damit sie unkorrumpierbar bleiben“. „Setzt Euch an die Spitze der Debatte und rennt ihr nicht hinterher. Im Zweifel könnt Ihr Euch auf die Patentante Bundeszentrale immer verlassen, mit Rat und Tat und auch mit Kohle.“
Dass sich diese jungen Menschen über ethische Verstöße oder Grenzgänge in den Medien richtig empören können, zeigten die Reaktionen in einigen der Podiumsdiskussionen, Erzählcafés, Workshops und Symposien der vier Tage. So hielten viele den Deutschen Presserat für einen „zu zahnlosen Tiger“. Den Hinweisen zur Pressefreiheit, zur bevorzugten Selbstkontrolle statt Pressezensur und staatlicher Ahndung, der Betonung der Peinlichkeit für die Redaktionen und ihres Abwehrkampfs gegen Rügen, die auch bei Bild deutlich zu spüren sei, begegneten viele nur mit ungläubigem Gemurmel. Der Pressekodex, nicht gesetzliche Regulierung, müsse die Basis des professionellen Medienmachens sein, forderte auch Professor Michael Haller in seinem Eröffnungsreferat und spielte verschiedene Situationen als skrupelloser oder verantwortungsvoller Journalist nach dem Schema „good cop, bad cop“ durch.
Respektlos für die Auflage
Der geballten Kritik des Publikums sah sich besonders Volker Lensch, Leiter der Bildredaktion des Sterns, im dem für die generelle Diskussion exemplarischen Symposium über die „Macht der Bilder“ ausgesetzt. Das Magazin hatte in der JMT-Woche Titelblatt und -geschichte mit Fotos der deutschen Toten aus dem über dem Atlantik abgestürzten französischen Flugzeug aufgemacht. „Finden Sie das ethisch richtig? Ich würde das in meinem Fall nicht wollen.“ Lensch antwortete, er auch nicht, aber man müsse trennen zwischen Privatem und Beruf. Auch musste er zugeben, dass nicht von allen Hinterbliebenen ein Einverständnis für die Veröffentlichung vorgelegen habe. Doch dies sei Recherche und „unsere Leser erwarten das von uns.“ „Respektlos“ und „Ihr habt es Euch einfach gemacht, um Eure Auflage zu steigern“, schallte es ihm von den Rängen des Hörsaals entgegen. Rolf Nobel, Professor für Fotografie in Hannover und damit quasi Hausherr der Diskussionsrunde, stimmte dem Stern-Bildchef zu, dass der Bericht über das Unglück journalistische Pflicht sei, die Personifizierung jedoch problematisch. Mark-Oliver Multhaupt, bisher Chefredakteur der AP Bilderdienste in Mitteleuropa und nun Geschäftsführer der WAZ New Media und deren neuer Bildredaktion, sprang Lensch bei und fragte, wer sich denn als moralischer Richter aufspielen wolle, wenn die Leser das Blatt doch kauften. Die Antwort von den Rängen kam prompt: „Kriegen die Leute solche Fotos, weil sie es wollen, oder wollen sie das irgendwann, weil sie nichts anderes mehr kriegen?“ Ob sie denn im Verlauf ihrer Berufstätigkeit ihre Ideale so verloren hätten, wurden die beiden Bildchefs gefragt. Multhaupt brummelte unwirsch: „Sie können ja alles besser machen. Schaffen Sie doch ein ideales Produkt. Ich kaufe es.“ Aber nach so vielen Jahren im Mediengeschäft wisse er eben, dass es ein Geschäft sei.
„Zurück in die Zukunft“ hatte die Jugendpresse ihre Abschlussveranstaltung betitelt, in der Carsten Winter, Hannoveraner Professor für Medien- und Musikmanagement über die historischen medialen Grenzverschiebungen sprach, von den „Menschmedien“ der Schauspieler und Prediger zu den Flugblättern der Reformationszeit, den regelmäßig erscheinenden Zeitungen ab dem 17. Jahrhundert bis hin zu Radio und Fernsehen. Mit den digitalen Medien habe erneut eine Epoche der Grenzverschiebung begonnen. „Wir haben erstmals einen echten Paradigmenwechsel von einer Push- zu einer Pull-Kultur, es entsteht eine On-Demand-Kultur.“ Der Journalist sei nicht mehr der „Gatekeeper“ der Informationen, die sich die Nutzer selbst beschafften, sondern werde zum „Gatewatcher“. Die interpretative, einordnende Rolle des Journalismus werde wichtiger. „Mit einer neuen Definition der journalistischen Rolle verschieben sich auch die Grenzen der Medienethik“, behauptete Winter. Wohin, ließ er offen.