Mit 86 Jahren ist die Journalistin Eva Brillke immer noch umtriebig
Freitagnachmittag in der städtischen Helene-Nathan-Bibliothek in Berlin-Neukölln. Viele Jugendliche wuseln um die Regale und suchen nach Büchern. Andere sitzen in Gruppen zusammen und diskutieren leise. Dazwischen ein paar ältere Menschen. Eva Brillke strahlt. „Schau nur diese jungen Leute aus unterschiedlichen Kulturen“, ruft die zierliche 86-jährige Journalistin, „die wollen alle etwas lernen und darüber schreibt niemand etwas“.
Korrekturlesen bei «M»
Vor drei Jahren hat sie’s selber getan. Beim Lesemarathon des Verbandes der Schriftsteller war sie das erste Mal hier. „Ich war so hingerissen und dann bin ich wiedergekommen, um für den Artikel zu recherchieren.“ Dass über den so gescholtenen „Problembezirk“ Neukölln wenig Gutes gedruckt oder gesendet wird, ärgert Eva. „Geradezu spürbar ist hier das Bemühen Zugewanderter, nicht nur die Sprache ihrer neuen Heimat beherrschen zu lernen, sondern auch ihr Wissen um die Geschichte, die Gebräuche und Lebensbedingungen zu erweitern.“ So steht es in ihrem liebevollen Porträt, das sie für das Sprachrohr – der ver.di-Fachbereichszeitung für Berlin-Brandenburg – geschrieben hat.
Für ihr Alter ist Eva geradezu umtriebig. Geht ins Konzert, ins Theater, besucht Galerien und liest viel. Die Versammlungen und Unternehmungen der ver.di-Senioren möchte sie nicht missen. Da werden dann auch schon mal gemeinsam Briefe an Senatoren und Fraktionsvorsitzende formuliert, um für ältere und sozial benachteiligte Menschen den Zugang zu Kultur- und Bildungseinrichtungen einzufordern. Und als in einer Versammlung vor Jahren die Bitte vorgetragen wurde, Freiwillige könnten sich zum Korrekturlesen der ver.di-Publikationen melden, hat auch Eva die Hand gehoben. Seitdem hat der Fehlerteufel in der „M“ kaum noch eine Chance. Am Stück zehn Stunden Korrekturlesen ist für sie kein Problem.
Das Engagement für Menschen ist für Eva eine Lebensquelle. Sie tut das mit ganz viel Leidenschaft, und das ist in ihrer Biografie begründet. Als die Nazis die Macht ergriffen, war sie 11, bei Kriegsende 23 Jahre. Gestohlene Jugend. Evas sonst feste Stimme wird brüchig. „Ich habe so viel entsetzliches Elend erlebt.“ Sie erzählt von ihrem Vater, dem Sozialdemokraten Adolf Rupprecht. Wie er für die SPD erst die Konsumgenossenschaft mit aufbaute und später der Konzentrations AG, die Holding der Parteizeitungen und -verlage, vorstand – und von der Gestapo verfolgt wurde. Eva atmet tief durch und ihre Stimme wird wieder fester. „Der 8. Mai 1945 war einer der wichtigsten Tage in meinem Leben.“ Fortan wollte sie „dafür sorgen, dass so etwas nie wieder geschieht“.
Während der Nachriegswirren wohnte Eva im Westteil Berlins. Geprägt durchs Elternhaus möchte sie Journalistin werden und begann ein Volontariat bei der „Filmwelt“. Die Fünfziger Jahre werden für die junge Frau zu nachgeholten Lernjahren. Abitur auf der Abendschule und Journalismus im Fernstudiengang. Beim Das Volk in Erfurt arbeitete sie in der Leserbriefredaktion – „da hatte man sein Ohr ganz nahe an der Bevölkerung“ – und wurde später verantwortliche Redakteurin für den Landkreis. Doch viel lieber wollte sie Kulturjournalistin werden. Sie schwärmt von der Aufbruchstimmung. „Überall wurden Büchereien, Kinos, Theater, Schulen und Kindergärten eröffnet.“ Da schimmert ihre Leidenschaft für Kultur- und Bildungsthemen durch. Teilhabe der Menschen an Bildung und Kultur ist für Eva „der Schlüssel für fast alles“. Als „gute Schule, in der ich viel gelernt habe“, bezeichnet Eva ihre Zeit bei verschiedenen Betriebszeitungen. Nahe an den Menschen und ihren Alltagssorgen zu sein, war ihr wichtig. „Da hast du die ganze Palette des Lebens.“
„Dann war ich 1970 da, wo ich immer hinwollte – in der Kulturredaktion einer ‚richtigen’ Zeitung.“ Das war die BZ am Abend -– eine Art sozialistisches Boulevardblatt – und hier blieb Eva bis zur Wendezeit. Die Zeitung erschien gegen 14 Uhr. „Nach der Arbeit sind die Menschen abgespannt, und wir hatten den Anspruch, das Geschehene mit leichter Feder zu vermitteln“. Sie war Stammgast beim Kabarett Die Distel und hat die Programme rezensiert. Die breite Palette des Fernsehgeschehens gehörte auch zu ihrem Berichterstattungsgebiet. Da war sie gerne dabei, wenn Filme gedreht wurden und sie darüber Reportagen schreiben durfte.
Positives contra Kleingeist
Gab es Vorgaben, wie kulturelle Ereignisse zu bewerten waren? Eva lacht und erzählt, wie der Film „Die Legende von Paul und Paula“ die Redaktion spaltete. Weil sich Paul anfänglich nicht zu Paula bekennen möchte, und dabei keine gute Figur macht, seien die Männer gegen den Film gewesen. „Wir Frauen fanden den Film wunderbar.“ Nicht nachvollziehen kann sie, dass der Film „Spur der Steine“ verboten wurde. Wie ist Eva mit solchen Widersprüchen umgegangen? Wenn sie sagt, sie habe sich bei ihrer Arbeit kaum eingeengt gefühlt, nimmt man ihr das ab. „In vielen Dingen war ich wohl sehr blauäugig“, sagt sie nachdenklich. Und relativiert: Einerseits wurde in der DDR viel getan, damit „die Massen“ an der Kultur teilhaben können und andererseits gab es viele kleingeistige Funktionäre. „Die DDR war eben auch ein Experiment.“